Sieben NRW-Parteien für Bürgerräte
Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022 sprechen sich SPD, Grüne, FDP, Linke, Piraten, Volt und ÖDP für Bürgerräte aus. Das zeigt eine Auswertung der Wahlprogramme der Parteien sowie der Wahlprüfsteine des Vereins "Mehr Demokratie".
So heißt es bei der SPD: „Wir wollen die parlamentarischen und direktdemokratischen Verfahren durch beratende Formen der Bürgerbeteiligung, wie zum Beispiel Bürgerräte, ergänzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Auf Landesebene werden wir Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen einsetzen und hierdurch der sozial ungleichen Teilhabe an politischen Prozessen entgegenwirken, indem möglichst viele Interessen frühzeitig eingebunden werden, die sonst keine Berücksichtigung finden.“ Die Erfahrungen mit Bürgerräten sollen nach den Vorstellungen der SPD mittelfristig in ein Bürgerbeteiligungsgesetz einfließen.
Unterstützung für Kommunen
Außerdem wollen die Sozialdemokraten auf kommunalen Ebene Verfahren prüfen, die den gemeinsamen Austausch und das kollektive Abwägen konkreter Entscheidungsprobleme beinhalten. Städte und Gemeinden sollen dabei unterstützt werden, sich Regelungen für ihre Bürgerbeteiligungsverfahren zu geben.
Die Grünen wollen „Bürgerräte zu ausgewählten Zukunftsthemen“ einberufen. Erfahrungen aus dem Bund und anderen Ländern zeigten, dass Bürgerräte stark darin seien, im Dialog konstruktive Lösungen zu finden. Der Landtag soll über die von Bürgerräten erarbeiteten Empfehlungen beraten.
Mehrwert für repräsentative Demokratie
Für die FDP hat die repräsentative Demokratie durch „neue Instrumente der Beteiligung“ einen Mehrwert. „Möglichkeiten der Bürgerberatung durch Hausparlamente, die Erweiterung des Petitionsrechts oder durch per Zufall bestimmte Bürgerräte sind hier mögliche Optionen“, so die Liberalen. Die Linke befürwortet Bürgerrat-Modellversuche auf Kommunal- und Landesebene.
Die Piraten beklagen, dass die Parlamente „leider sehr mit Berufspolitikern besetzt“ seien. Es fehle an Diversität. Geloste Bürgerräte könnten mit ihrer beratenden Funktion eine gute Ergänzung für die repräsentative Demokratie sein.
Volt sieht in Bürgerräten „ein innovatives Instrument, mit dem die Bürger komplexe politische Fragen erörtern sowie Feedback und Empfehlungen an die repräsentativen Organe auf kommunaler, aber auch nationaler oder regionaler Ebene geben können.“ Die Partei setze sich für Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen ein, die man auf Landes- und Kommunalebene in Pilotprojekten erproben wolle. Auch die ÖDP befürwortet Bürgerräte, „solange sie nur beratende Funktion haben“
CDU mit verwirrender Antwort
Die CDU lehnt in ihrer Antwort auf eine Anfrage von Mehr Demokratie Bürgerräte auf Landesebene ab, verwirrt aber mit ihrer Begründung: „Wir stehen für eine möglichst breite Öffentlichkeitsbeteiligung, um die Akzeptanz von Maßnahmen zu fördern. Die im Grundgesetz angelegte Gewaltenteilung erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen den vielen berechtigten Interessen. Gerade in der heutigen Zeit hat unsere Demokratie gezeigt, wie anpassungsfähig und lösungsorientiert sie ist.
Bürgerräte sind nur innerhalb des staatlich gesetzten Rahmens handlungsfähig und dürfen daher nicht mit Hoffnungen und Legitimationsansprüchen überfrachtet werden. Mit dem Beirat Klimaschutz.NRW haben wir bereits ein Gremium aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen festgeschrieben, um einen aktiven Austausch zu Klimaschutzzielen voranzutreiben.“
All das ließe sich sich als Begründung für Bürgerräte niederschreiben, denn diese ermöglichen eine sorgfältige Abwägung zwischen verschiedenen Interessen. Außerdem stellt niemand infrage, dass Bürgerräte nur innerhalb von geltendem Recht und Gesetz agieren dürfen. Der Beirat Klimaschutz.NRW wiederum könnte sehr gut mit einem Klima-Bürgerrat auf Landesebene kooperieren.
Aussage im Widerspruch zum Wahlprogramm
In ihrem Landtagswahlprogramm hatte die CDU noch versprochen, dass sie „die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie umsetzen“ will. Die Kommission „Subsidiarität und Partizipation“ hatte unter Beteiligung aller Landtagsfraktionen im Mai 2021 empfohlen, „zu prüfen, inwieweit (in einem ersten Schritt) ein Bürgerrat auf Landesebene mit den gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Konzept zu Etablierung und Implementierung deliberativer Verfahren für Kommunen und Land unter Erprobung verschiedener Diskussionsformate entwickeln kann.“
Am 18. Mai 2021 hatte die Kommission „Subsidiarität und Partizipation“ 85 Handlungsempfehlungen zu den Themen kommunalpolitische Ehrenamt, politische Beteiligung, politische Bildung, Digitalisierung und zur Zusammenarbeit der Landtage vorgelegt.
„Laien können fundiert mitentscheiden“
„Bürgerräte (…) nehmen in der Diskussion um geeignete Instrumente zur Stärkung der Demokratie in den letzten Jahren eine immer größere Rolle ein“, stellt der Bericht der Enquetekommission fest. Die dabei per Zufallsauswahl ermittelten Bürgerinnen und Bürger trügen in enger Anbindung an die Politik und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten zur Klärung politischer Streitfragen bei. Laien könnten hierdurch fundiert mitentscheiden.
Thematisch bewährt hätten sich solche deliberative Verfahren bei Infrastrukturmaßnahmen (insbesondere auf der kommunalen und Länderebene). Geeignet seien sie zudem - wie Beispiele aus dem Ausland und vereinzelte inländische Projekte zeigten - auch für Verfahrensfragen und institutionenpolitische Themen.
Landtagsabgeordnete für Bürgerräte
In einer Online-Veranstaltung des Vereins „Mehr Demokratie“ am 21. März 2022 hatten sich Landtagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen und FDP für landesweite Bürgerräte ausgesprochen. „Wir finden das Instrument grundsätzlich gut. Es gibt ja auch schon viele Beispiele. Es kommt auf die Ausgestaltung an“, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete Björn Franken in der Diskussion.
Für die FDP erklärte Angela Freimuth, dass es eine Offenheit gebe, sich mit dem Thema Bürgerräte auch näher auseinanderzusetzen und diese auch als ein Instrument anzunehmen, um die repräsentative Demokratie zu ergänzen. „Für mich ist es ein wichtiger Punkt, dass es eine Ergänzung zur repräsentativen Demokratie sein soll und nicht ein Ersatz“, erklärte die Vizepräsidentin des Landtags.
"Ein gutes Instrument"
Laut Matthi Bolte-Richter halten die Grünen Bürgerräte für ein „gutes Instrument“. „Wir als Grüne haben uns in einem Antrag für die Einrichtung eines Klima-Bürgerrates ausgesprochen. Wir haben zu Beginn der Pandemie schon das Instrument der Bürgerräte für die Post-Corona-Zeit als ein Instrument ins Spiel gebracht, wo man mit Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam die Welt nach der Pandemie besprechen kann, um auch an Szenarien zu arbeiten, wie eine Zukunft nach der Pandemie aussehen kann“, erläuterte Bolte-Richter die Aktivitäten seiner Fraktion zum Thema. Man sei erpicht darauf, in der nächsten Legislaturperiode das Thema unter neuer Mehrheit beherzt anzugehen.
Auch Prof. Dr. Rainer Bovermann von der SPD befürwortet Bürgerräte: „Ich bin eigentlich sicher, dass wir in der nächsten Wahlperiode das Experiment Bürgerrat auf Landesebene erleben werden.“
Kampagne für Bürgerräte
Mit der Kampagne "Mitmachland.NRW" macht sich der nordrhein-westfälische Landesverband von Mehr Demokratie für Bürgerräte stark. Zur Kampagnenseite
Mehr Informationen:
- Wahlprüfsteine von Mehr Demokratie zur Landtagswahl in NRW
- Online-Diskussion: Mehr Bürgerbeteiligung in NRW durch Bürgerräte?
- NRW-Enquetekommission empfiehlt Bürgerräte
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