Erster Bürgerrat in Kroatien ein Erfolg

08. November 2023
Roman Huber / Mehr Demokratie

Im kroatischen Rijeka haben 33 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger am 7. Dezember 2023 ein Bürgergutachten 90 Empfehlungen zur Verbesserung der lokalen Verwaltung und Bürgerbeteiligung an Oberbürgermeister Marko Filipović übergeben.

Aufgabe des Bürgerrates war es

  • sich mit dem System der kommunalen Selbstverwaltung und den Möglichkeiten zur lokalen Bürgerbeteiligung vertraut machen
  • zu überlegen und zu diskutieren, wie das System der lokalen Selbstverwaltung verbessert und die lokale Bürgerbeteiligung verbessert werden kann
  • gemeinsam Empfehlungen für Maßnahmen zu entwickeln, die die Stadt Rijeka ergreifen sollte, um die lokale Selbstverwaltung zu verbessern und mehr Bürgerbeteiligung vor Ort zu ermöglichen

Bei der Lösung dieser Aufgabe wurden die Teilnehmer von Expertinnen und Experten für Verwaltung und Bürgerbeteiligung unterstützt.

Bürgerrat für Bürgerräte

Zu den Bürgerrat-Vorschlägen gehört die Schaffung eines Forums zum direkten Austausch mit den Bürgern. Vor Wahlen soll besser über die Kandidatinnen und Kandidaten und deren Ziele informiert werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollen über die Bedeutung und Nützlichkeit von Bürgerbeteiligung sowie über ihre Bürgerrechte und -pflichten aufgeklärt werden. Eine breite Streuung von Informationen über viele Kanäle soll alle Einwohner der Stadt erreichen.

Durch Kinder- und Jugendstadträte sollen sich Kinder und Jugendliche mit der Kommunalpolitik vertraut machen. Bürgerräte sollen Bürgermeister und Stadtrat regelmäßig beraten. Diese sollen ein Regelwerk zu deren Durchführung erhalten. Ein eigener Bürgerrat soll Möglichkeiten zur dauerhaften Nutzung von Bürgerräten beraten. Außerdem sollen Bürgerhaushalte durchgeführt werden. Einwohner sollen sich außerdem mit Bürgeranträgen und Petitionen in die Stadtpolitik einbringen können.

Als angenommen galten alle Empfehlungen, die die Zustimmung von mindestens 75 Prozent der Bürgerrat-Teilnehmer fanden.

Abbild der Stadtbevölkerung

Der Bürgerrat hatte vom 3. November bis zum 7. Dezember 2023 insgesamt sieben Mal getagt. Die Losversammlung wurde aus den an einer Teilnahme interessierten Ausgelosten so zusammengestellt, dass sie nach Geschlecht, Alter und Wohnort ein Abbild der Stadtbevölkerung war. Das jüngste Bürgerrat-Mitglied war 22 Jahre alt, der älteste Teilnehmer war 74.

1.000 Haushalte waren zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen worden. Zur Gewinnung von Teilnehmern wurde das aufsuchende Losverfahren angewandt. Hierbei wurden Einwohner Zuhause besucht, um sie über den Bürgerrat zu informieren und sie zum Mitmachen zu bewegen. Teilnehmen konnten alle Einwohner Rijkas ab 18 Jahren mit Wahlrecht bei den nationalen Wahlen in Kroatien. Das Losverfahren wurde vom Meinungsforschungsinstitut Stratosfera zusammen mit der zivilgesellschaftlichen Organisation SMART entwickelt.

Unterstützung für Teilnehmer

Nicht teilnahmeberechtigt waren Mitglieder des Stadtrates oder des Kreistages des Kreises Primorsko-Goranska und deren Haushaltsangehörige. Gleiches galt für Angestellte der Stadt Rijeka, Mitglieder des Bürgerrat-Durchführers SMART sowie andere an der Vorbereitung oder Durchführung des Bürgerrates Beteiligte und deren Haushaltsangehörige.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich verpflichtet, an mindestens fünf der sieben Bürgerrat-Sitzungen teilzunehmen. Für die Teilnahme gab es eine Aufwandsentschädigung von 140 Euro. Alle Teilnehmer haben zudem kostenlos Verpflegung, eine Busfahrkarte sowie ein Angebot zur Kinderbetreuung erhalten.

Empfehlungen mit außergewöhnlicher Qualität"

Initiatorin des Bürgerrates war die Stadt Rijeka zusammen mit dem Verein zur Entwicklung der Zivilgesellschaft SMART. Beide wurden dabei von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt, die den Bürgerrat auch mitfinanziert hat.

Oberbürgermeister Marko Filipović bedankte sich bei den Teilnehmern des Bürgerrates: „Ich kann es kaum erwarten, Ihre Empfehlungen zu lesen und bin davon überzeugt, dass jede einzelne von ihnen von außergewöhnlicher Qualität ist. Ob alles möglich und umgesetzt werden wird, werden wir sehen, nachdem wir sie analysiert und geprüft haben, was im Rahmen unserer Möglichkeiten umgesetzt werden kann.“

Es war schön, zusammenzuarabeiten

In einer gemeinsamen Erklärung äußerten die Bürgerrat-Mitglieder, dass sie mit ihrem eigenen Beitrag und Beispiel zur Verbesserung von Rijeka beitragen und arbeiten wollen. Es sei sehr wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem die Bürger ihre Bedürfnisse äußern, sich am Leben der Stadt beteiligen und sich zum Wohle aller engagieren können, unabhängig davon, welche Gruppe eine Aktion initiieren möchte, betonten sie.

Bürgerrat-Teilnehmerin Jasminka Vukelić bedankte sich persönlich und im Namen der anderen Ratsmitglieder für die Möglichkeit, an diesem Projekt mitzuwirken:„Es war wirklich schön für uns, zusammenzuarbeiten und ich hoffe, dass dieser Rat nicht der letzte sein wird.“

Eindrücke von der ersten Sitzung

Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand von Mehr Demokratie, hat die Stadt Rijeka bei der Planung des Bürgerrates beraten. Bei der Auftaktsitzung am 3. November 2023 war er vor Ort. Hier schildert er seine Eindrücke:

„Im Bürgerrat sitzt ein alter Kriegsveteran, der 'seine Brille vergessen' hat, also vermutlich nicht oder nicht gut genug lesen kann. Der junger Mann, der neben ihm sitzt, liest ihm die Texte vor und erklärt sie ihm.

Aufsuchendes Losverfahren wirksam

Es sind Menschen dabei, die laut eigener Aussage noch nie irgendwo teilgenommen haben. Ein Anästhesist, der gestern noch sagte, er könne nicht kommen, hat kurzerhand seine Schicht verschoben und macht Nachtschicht, damit er doch teilnehmen kann. Für viele ist es das erste Mal im Kreis zu sitzen und zu einer Gruppe zu sprechen und einander zuzuhören.

Die meisten Teilnehmer kommen über das aufsuchende Losverfahren. Die Moderatorinnen und Moderatoren waren selbst unterwegs und haben an den Türen geklingelt. Da es keine Daten aus dem Einwohnermeldeamt gab, wurden Straßen ausgelost und von von Hausnummer x bis z an jeder Tür geklopft.

Bürgerrat jetzt schon ein Erfolg“

Für Sonja Schirmbeck, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung Kroatien, war der Bürgerrat schon vor seinem Beginn ein Erfolg, denn alle 'wussten' zuvor, dass Bürgerbeteiligung in Kroatien nicht funktionieren und niemand kommen würde. Und jetzt so eine diverse Gruppe. Mehrere andere Städte im Land sind schon neugierig, auch der Bürgermeister der Hauptstadt Zagreb.“

Nach Abschluss der Arbeit des Bürgerrates wurden dessen Empfehlungen auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht. Außerdem werden die Bürgerrat-Vorschläge allen wichtigen Interessengruppen in der Stadt zur Prüfung und Kommentierung zugeschickt. Oberbürgermeister Marko Filipović wird allen Teilnehmern im ersten Halbjahr 2024 eine ausführliche Stellungnahme zukommen lassen.

Mehr Informationen: Vijeće građana Rijeka