Wahlrecht: Bundestag braucht Bürgers Rat

Wie viele Abgeordnete sollen im Deutschen Bundestag sitzen? Bis heute konnten sich die Parteien nicht auf ein tragfähiges Wahlrecht einigen, das diese und andere Fragen auf befriedende Weise beantwortet. Ein Bürgerrat könnte helfen.
Der Bundestag hatte am 8. Oktober 2020 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD eine Wahlrechtsreform beschlossen. Eine Dauerlösung war diese Änderung allerdings nicht. Mit der Bundestagswahl 2021 war das Parlament von 709 auf 734 Sitze gewachsen. Und es hätte in Zukunft noch größer werden können. Eine Reformkommission sollte es richten, doch die Regierungsfraktionen waren zuvor mit einem eigenen Vorschlag vorgeprescht.
Wahlrechtskommission und Ampelvorschlag
Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte eine Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit eingesetzt. Diese war zwischen dem 7. April und dem 2. Dezember 2022 mehrfach zusammengetreten.
Die Kommission hatte sich mit dem Ziel einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament befasst und die rechtlichen Rahmenbedingungen erörtert. Die Kommission hatte zudem Vorschläge zur Bündelung von Wahlterminen, zur Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre sowie zur Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers/der Bundeskanzlerin geprüft. Der Abschlussbericht der Kommission wurde am 12. Mai 2023 an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben.
Unabhängig davon hatte der Bundestag am 17. März 2023 mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP eine Reform des Wahlrechts beschlossen. Ziel der Ampelparteien war es, die Zahl der Abgeordneten deutlich zu reduzieren. Ursprünglich hatten sie eine Verkleinerung von seinerzeit 734 auf 598 Abgeordnete angestrebt. Letztlich wurde eine Verkleinerung auf 630 Mandate entschieden.
Grundmandatsregelung sollte entfallen
Mit der Reform sollte zudem die Grundmandatsregelung wegfallen. Sie hat es bisher regional starken Parteien ermöglicht, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, aber mindestens drei Direktmandate erringen. Davon profitierte bei der Bundestagswahl 2021 die Linke, die als Fraktion in den Bundestag kam, obwohl sie bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erzielt hatte.
Ganz erheblich verändert wurde auch die Wahl in den Wahlkreisen. Deren bisherige Grundidee, wonach der nach Mehrheit der im Wahlkreis abgegebenen Erststimmen ermittelte Sieger den Abgeordnetensitz erhält, wurde aufgehoben. Um Überhang- und Ausgleichsmandate zu verhindern, ist eine Deckung durch die Zweitstimme vorgesehen: Ein Kandidat mit den meisten Stimmen im Wahlkreis bekommt ein Wahlkreismandat nur dann, wenn nach dem Ergebnis der Zweitstimmen der jeweiligen Partei ein Sitz verfügbar ist.
Zur Verteilung der Sitze werden innerhalb einer Partei die Bewerber, die in ihrem jeweiligen Wahlkreis die meisten Stimmen geholt haben, nach ihrem Wahlkreisstimmenanteil gereiht. Dieser Reihe werden dann höchstens so viele Mandate zugeordnet, wie der Partei nach ihrem Zweitstimmenergebnis im Bundesland zustehen.
331 statt 299 Listenmandate
Stehen einer Partei mehr Sitze zu, als Personen im Wahlkreis die meisten Stimmen bekommen haben, werden diese zusätzlichen Sitze wie bisher durch die Liste besetzt. Stehen weniger Sitze zur Verfügung, haben die Personen mit dem geringsten Wahlkreisstimmenanteil das Nachsehen und das Wahlkreismandat wird nicht zugeteilt. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 zogen aufgrund dieser Regelung 23 Wahlkreissieger nicht ins Parlament ein.
Durch die Reform werden nun 331 Mandate statt wie ursprünglich vorgesehen 299 Parlamentssitze über die Landeskandidatenlisten der Parteien vergeben. Damit soll die Zahl der Abgeordneten, die einen Wahlkreis über die Erststimmen gewinnen und trotzdem nicht in den Bundestag kommen, möglichst gering gehalten werden.
Verfassungsbeschwerden gegen neues Wahlrecht
Organisiert vom Verein "Mehr Demokratie" hatten 4.242 Menschen Verfassungsbeschwerde gegen das neue Wahlrecht erhoben. Zusammen mit dieser Verfassungsbeschwerde wurden sechs weitere Verfahren von CSU und LINKE sowie der CSU-geführten bayerischen Landesregierung am 23./24. April 2024 vom Bundesverfassungsgericht verhandelt.
In seinem am 30. Juli 2024 verkündetem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Zweitstimmendeckungsverfahren mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die 5 %-Sperrklausel verstößt aber derzeit gegen das Grundgesetz. Bis zu einer Neuregelung gilt sie mit der Maßgabe fort, dass bei der Sitzverteilung Parteien mit weniger als 5 Prozent der Zweitstimmen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihre Bewerber in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben.
Keine Anpassung bis zur Bundestagswahl 2025
Im Bundestag gab nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bis zur Bundestagswahl 2025 keine Anpassung des Wahlrechts. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Britta Haßelmann erklärte: "Für die laufende Wahlperiode sehen wir keine Notwendigkeit, mit Blick auf die Grundmandatsklausel jetzt aktiv werden zu müssen. Durch die Anordnung des Gerichts herrscht Klarheit für die Bundestagswahl im September 2025".
Aus Koalitionskreisen hieß es nach einem Gespräch der Fraktionschefs, es habe grundsätzlich unterschiedliche Bewertungen zwischen Regierung und Union gegeben, die in der noch zur Verfügung stehenden Zeit vor der Bundestagswahl nicht auszuräumen seien. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz erklärte, dass das Wahlrecht wieder auf die Tagesordnung komme, sobald die Union wieder an der Regierungsbildung beteiligt sein werde.
"Schaden an unserer Demokratie"
Nach der Bundestagswahl 2025 hatte Merz diese Ankündigung wiederholt. "Wenn 23 Wahlkreise Wahlkreisabgeordnete wählen, die anschließend nicht in den Deutschen Bundestag kommen, dann ist das ein Schaden an unserer Demokratie". Das könne nicht so bleiben.
Auch der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder beklagte eine Benachteiligung von gewählten Direktkandidaten. "Dieses unfaire und undemokratische Wahlrecht" zu reformieren, sei einer der ersten Punkte, die die Union in der neuen Legislaturperiode angehen wolle, so Söder.
Streit über Wahlrecht seit 2008
Der Streit um das Bundeswahlrecht zieht sich bereits seit dem Jahr 2008 hin. In seinem Urteil vom 3. Juli 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht das seinerzeit geltende Wahlrecht wegen des negativen Stimmgewichts für verfassungswidrig erklärt und dem Bundestag aufgegeben, spätestens bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.
Am 25. Juni 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht das zuvor mit den Stimmen von CDU und FDP im Bundestag beschlossene Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt, weil es etwa zu viele Überhangmandate erlaube. Mehr als 3.500 Bürgerinnen und Bürger hatten dagegen geklagt. Als Reaktion darauf hatte der Bundestag am 21. Februar 2013 ein neues Bundeswahlgesetz beschlossen. Trotzdem wuchs die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate weiter an.
Bürgerräte in Kanada
Parteien und Fraktionen sind beim Thema Wahlrecht naturgemäß befangen. Denn wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält, hängt nicht nur vom Wahlergebnis, sondern auch vom Wahlrecht ab.
In Kanada hat man Bürgerräten bereits die Formulierung von Leitlinien für das Wahlrecht überlassen. In der kanadischen Provinz British Columbia hatte die Regierung 2004 eine zufällig ausgeloste Bürgersammlung ins Leben gerufen, um über Änderungen des Wahlsystems zu beraten.
Der Bürgerrat bestand aus 161 Mitgliedern. Je ein Mann und eine Frau waren nach dem Zufallsprinzip aus jedem der 79 Wahlbezirke von British Columbia ausgewählt worden. Dazu zwei indigene Mitglieder und ein Vorsitzender. Die Mitglieder der Versammlung wurden per Zufallsauswahl bestimmt, die ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis und eine gerechte Vertretung nach Altersgruppen und der geografischen Verteilung der Bevölkerung gewährleistete.
12-wöchige Lernphase
Der Bürgerrat durchlief eine 12-wöchige "Lernphase" mit Präsentationen von Experten, Gruppendiskussionen und Zugang zu einer Reihe von Quellen zum Thema Wahlrecht. Die Arbeit beinhaltete eine Überprüfung der verschiedenen weltweit gebräuchlichen Wahlsysteme und ihrer verschiedenen Auswirkungen auf den politischen Prozess. Darauf folgte eine mehrwöchige öffentliche Konsultationsphase.
Die Bürgerrat-Mitglieder hielten über 50 öffentliche Anhörungen ab und erhielten insgesamt 1.603 schriftliche Stellungnahmen. Anschließend berieten die Mitglieder über das zu empfehlende Wahlsystem und legten dabei drei Kriterien fest, die sie für am wichtigsten hielten: eine angemessene Repräsentation der Wählerinnen und Wähler, der Provinz-Bezirke und der Wählerentscheidung.
Reformvorschlag
Als Ergebnis der Beratungen schlug der Bürgerrat vor, das bestehende Mehrheitswahlrecht durch das System des „Single Transferable Vote“ - der übertragbaren Einzelstimmgebung - zu ersetzen. Damit sollte das Problem der unwirksamen Stimmen bei der reinen Mehrheitswahl behoben und eine bessere Repräsentation aller abgegebenen Stimmen bewirkt werden. Bei diesem Verfahren werden mehrere Sieger pro Wahlkreis ermittelt. Es dient explizit der Wahl von Personen, nicht der Wahl von Parteilisten.
Diese Empfehlung wurde den Wählern in einem Referendum, das gleichzeitig mit den Provinzwahlen 2005 abgehalten wurde, vorgelegt. Für eine Verbindlichkeit des Ergebnisses war eine „Super-Mehrheit“ erforderlich. Diese umfasste die Zustimmung von 60 Prozent aller Abstimmenden und einfache Mehrheiten in 60 Prozent der 79 Bezirke. Beim Referendum wurde der zweite dieser Schwellenwerte mit einer Zustimmung von 77 der 79 Abstimmungsbezirke erreicht. Der Anteil der Ja-Stimmen lag mit 57,7 Prozent jedoch unter der 60-Prozent-Marke. Die Empfehlung des Bürgerrates wurde deshalb nicht umgesetzt.
Bürgerrat in Ontario
Der Bürgerrat in British Columbia war trotzdem Vorbild für eine ähnliche Bürgerversammlung in der kanadischen Provinz Ontario. Diese verglich das seinerzeit genutzte Wahlsystem mit möglichen Alternativen. Im Mai 2007 empfahl die Versammlung mit einer Mehrheit von 94 : 8, dass Ontario eine Mischform aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht mit Erst- und Zweitstimme einführen sollte, wie es auch in Deutschland angewendet wird. Die Empfehlung des Bürgerrates wurde von den Wählern aber am 10. Oktober 2007 in einem Referendum abgelehnt. 63 Prozent der Abstimmenden votierten dagegen.
Der wichtigste Faktor für das „Nein“ in Ontario war laut dem Beteiligungsexperten Peter MacLeod ein Mangel an Identifikation mit dem Bürgerrat. „Die stärkste Verbindung zu einer Ja-Stimme war nicht das Wissen über die Besonderheiten des Wahlsystems, sondern die Bekanntheit des Bürgerrates“, erklärt MacLeod. In British Columbia sei die Identifikation mit der dortigen Bürgerversammlung ungleich höher gewesen.
MacLeod ist einer der führenden Experten Kanadas im Bereich von Bürgerengagement und deliberativer Demokratie sowie Gründer und Vorsitzender von MASS LBP. Seit 2007 bemüht sich diese Organisation darum, die Bürger in schwierige politische Entscheidungen einzubinden. Gleichzeitig leistet sie Pionierarbeit bei der Nutzung von zufällig ausgelosten Bürgerräten.
Losversammlung in Yukon
Im kanadischen Territorium Yukon hat ein Bürgerrat im September 2024 die Änderung des lokalen Wahlsystems vorgeschlagen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfehlen die Abkehr vom derzeitigen Mehrheitswahlrechts hin zum System der Rangfolgewahl. Am 3. November 2025 findet über diesen Vorschlag ein Referendum statt.
Bei der Rangfolgewahl - auch Präferenzwahl genannt - können alle Wählerinnen und Wähler die von ihnen bevorzugten Kandidatinnen und Kandidaten ankreuzen. Dabei haben sie auch die Möglichkeit, alle Mandatsbewerber in der Reihenfolge ihrer Präferenz in eine Rangfolge zu bringen. Ein Kreuz auf dem Stimmzettel macht deutlich, welcher Kandidat die erste Wahl des jeweiligen Wählers ist. Für einen Wahlsieg benötigt ein Kandidat in seinem Wahlkreis 50 Prozent plus eine der abgegebenen Stimmen.
Präferenzen der Wähler zählen
Erhält niemand 50 Prozent plus eine Stimme, scheiden nacheinander die Kandidaten mit der geringsten Anzahl an Erststimmen aus dem Rennen aus. Die nächste Präferenz der Wähler, die den ausgeschiedenen Kandidaten als ihre erste Wahl angekreuzt haben, wird dann auf die verbleibenden Mandatsbewerber verteilt. Das Verfahren wird so lange fortgesetzt, bis ein Kandidat mindestens 50 Prozent plus eine der abgegebenen Stimmen erhält.
Aktuell fordert die Initiative „Fair Vote Canada“ einen Bürgerrat über das nationale Wahlrecht in Kanada, bei dem die Abgeordneten ebenfalls durch das Mehrheitswahlrecht bestimmt werden. Hierdurch fallen viele Wählerstimmen unter den Tisch und kleine Parteien werden benachteiligt. "Fair Vote Canada" will die Kanadier über Alternativen diskutieren lassen.
Bürgerrat in den Niederlanden
Im Jahr 2006 berieten in den Niederlanden 140 Mitglieder eines Bürgerrates über eine Reform des Wahlrechts. Auf Initiative des Ministers für Verwaltungsreform, Alexander Pechtold, hatte die Regierung den Bürgerrat einberufen und diesem die Frage gestellt, „wie die Wahlen der Zweiten Kammer in Zukunft am besten durchgeführt werden können“.
Der Bürgerrat traf sich an insgesamt zehn Wochenenden zu Information, Diskussionen und Beratungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berieten in drei Phasen. In einer ersten Phase wurden die Mitglieder der Losversammlung über die verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung von Wahlsystemen informiert. In der zweiten Phase reisten die Mitglieder des Bürgerrates durch das Land, um die Meinungen anderer Niederländer einzuholen. In der dritten und letzten Phase haben die Ausgelosten ihre Reformvorschläge erarbeitet.
Verhältniswahlrecht empfohlen
Der Bürgerrat empfahl die Einführung eines Verhältniswahlsystems. Über hybride Listen sollten die Wählerinnen und Wähler mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben. Die Wähler haben dabei die Freiheit, einen Kandidaten ihrer Wahl zu wählen, während die Parteien weiterhin eine gewisse Kontrolle über die Reihenfolge der Mandatsbewerber auf den von ihnen aufgestellten Kandidatenlisten behalten.
Bei der Entscheidung eines Wählers für einen bestimmten Kandidaten sollte sich dessen Chance erhöhen, tatsächlich in das Unterhaus gewählt zu werden. Vorzugsstimmen hätten mehr Gewicht als derzeit. Unabhängig davon, wie die Wählerinnen und Wähler wählen, bestimmt in diesem System nicht mehr die Partei, sondern der Wähler die Zusammensetzung des Parlaments.
2008 hatte die seinerzeitige Regierung die Vorschläge des Bürgerrates zur Reform des Wahlrechts abgelehnt. Ende 2018 empfahl die Enquetekommission Parlamentarisches System die Einführung des vom Bürgerrat vorgeschlagenen Wahlsystems. Der Vorschlag der Losversammlung wurde dem Parlament im Dezember 2020 zur Beratung vorgelegt. Der Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit.
Bürgerrat in Vorarlberg
Im österreichischen Bundesland Vorarlberg hatte ein Bürgerrat im Jahr 2022 Vorschläge zur Verbesserung von Wahlen formuliert. Die Mitglieder der Losversammlung empfahlen so eine bessere und unabhängige Informationen vor Wahlen, die Möglichkeit von Online-Wahlen, ein Wahlrecht für Ausländer und mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie.
Bürgerräte zum Wahlrecht ermöglichen die breite Beratung einer wichtigen Demokratiefrage, ohne dass dabei parteipolitische Interessen im Vordergrund stehen. Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer Zusammensetzung ein Abbild der Bevölkerung darstellen, können ihre Ansprüche an ein Wahlsystem formulieren. Abgeordnete erfahren, welche Kriterien ein Wahlsystem nach Meinung der Wähler erfüllen muss. Da Bürgerräte von einer intensiven Berichterstattung in den Medien begleitet werden, sind deren Beratungen für die gesamte Gesellschaft ein wichtiger Lernprozess.
Geloste Gremien bei Blockaden sinnvoll
"Geloste Gremien ergeben Sinn, wenn es in der Politik Blockaden gibt. In Deutschland würde sich zum Beispiel die Erarbeitung eines neues Wahlrechts anbieten", sagt dazu etwa Prof. Hubert Buchstein, Politikwissenschaftler am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Greifswald.
"Es ist angesichts seiner politischen Umstrittenheit lohnenswert, das Wahlrecht dem Parteienstreit zu entziehen und in eine ausgeloste Bürgerversammlung auszulagern. Durch ein solch unabhängiges, parteipolitisch neutrales, von 'normalen' Bürgern getragenes und von Fachleuten beratenes Gremium kann sichergestellt werden, dass Erwägungen über eigene (Wieder-)Wahlchancen keine Rolle spielen", schrieb er bereits 2017 zusammen mit dem Politikwissenschaftler Dr. Michael Hein auf dem Verfassungsblog. Parlamentarische Entscheidungen über das Wahlrecht litten an einem „Neutralitätsdefizit“.
"Wahlrechtsfragen sind Machtfragen"
"Wahlrechtsfragen sind bekanntlich Machtfragen. Wird über sie im Parlament entschieden, so wird dies zwangsläufig von Annahmen der Parteien über zukünftige Vor- oder Nachteile beeinflusst", so die beiden Demokratie-Experten. Die Wahlrechtsexperten Prof. Florian Grotz und Prof. Friedrich Pukelsheim befürworten in einem Essay-Podcast der FAZ ebenfalls einen Bürgerrat zum Thema Wahlrecht.
Vieles spricht also dafür, die Menschen auch in Deutschland beim Thema Wahlrecht per Bürgerrat mitreden zu lassen.