Nächstes Level der EU-Bürgerbeteiligung
Die Bertelsmann-Stiftung hat am 24. Juni 2022 in einem Bericht ein Modell für eine ständige Beteiligung der Bürger an der Entscheidungsfindung der EU vorgestellt. Geschehen soll dies durch Bürgerräte.
Die Europäische Kommission hatte am 17. Juni 2022 einen Plan vorgestellt, wie sie die Ergebnisse der am 9. Mai 2022 zu Ende gegangenen Konferenz zur Zukunft Europas weiterverfolgen und ihre Vorschläge in gesetzgeberische Maßnahmen umsetzen will. Unter anderem hatte die Kommission vorgeschlagen, Bürgerräten die Möglichkeit zu geben, über bestimmte wichtige Vorschläge zu beraten und Empfehlungen abzugeben.
Vorschlag eines Bürgerforums aufgegriffen
Die EU-Kommission hat damit einen Vorschlag eines zufällig gelosten EU-Bürgerforums aufgegriffen, das im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas stattfand. Das Konferenzplenum hatte sich diesem Vorschlag am 30. April 2022 angeschlossen. Danach sollen Bürgerräte in der EU einen rechtsverbindlichen Rahmen bekommen.
Laut einer aktuellen Studie, die gemeinsam von der Bertelsmann-Stiftung und dem European Policy Centre (EPC) durchgeführt wurde, fehlt es der EU an einer funktionierenden Infrastruktur für die politische Beteiligung der Bürger.
Bürgerräte institutionalisieren
"Es ist gut zu sehen, dass die Kommission beschlossen hat, Bürgerräte häufiger zu nutzen - insbesondere bei wichtigen Gesetzesvorschlägen", sagte Dr. Dominik Hierlemann, Experte für Bürgerbeteiligung bei der Bertelsmann-Stiftung und Mitautor der Studie, in einem Interview mit der Brussels Times.
In ihrem neuen Bericht schlägt die Bertelsmann-Stiftung ein mit Demokratieexperten entwickeltes Modell für die Institutionalisierung von Europäischen Bürgerräten vor. Es würde die EU zu einem Vorreiter in Sachen innovativer Bürgerbeteiligung machen und die oft zitierte Kluft zwischen Brüssel und seinen Bürgern verringern, heißt es in dem Bericht.
„Unser Modell ist bürgerzentriert“
"Unser Modell ist bürgerzentriert. Es beschreibt, wie Europäische Bürgerräte direkt mit der Politikgestaltung der EU verbunden werden können. Wir haben sogar eine Interinstitutionelle Vereinbarung entworfen, die die EU-Institutionen nur noch unterschreiben müssten“, so Hierlemann.
Das Modell erfordere keine Änderung EU-Verträge oder institutionelle Änderungen. Die Europäischen Bürgerräte würden zu einem ständigen Mechanismus der EU-Politikgestaltung werden, der mit dem jährlichen Haushaltszyklus und der Rede der/des Präsident/in der Europäischen Kommission zur Lage der Union verbunden ist.
Bürgerräte tagen jährlich
Die EU-Bürgerräte sollen jährlich tagen. Die Losversammlungen sollen aus 204 Mitgliedern aus allen EU-Mitgliedsstaaten bestehen, die in fünf bis acht Sitzungen ihre Empfehlungen entwickeln.
Themenvorschläge für die europäischen Bürgerräte sollen aus den EU-Institutionen oder aus der Bevölkerung kommen können. Die zu beratenden Themen sollen die europäischen Bürger direkt betreffen, aktuell und zukunftsorientiert sein und sich auf konfliktträchtige Themen beziehen.
Bürgerbeirat wählt Themen aus
Ein Bürgerbeirat (Citizens' Board) soll als ständiges Gremium die zu beratenden Themen auswählen und Fragen für die Bürgerrat-Beratungen formulieren. Der Bürgerbeirat soll sich aus 54 zufällig ausgelosten Mitgliedern – zwei aus jedem EU-Mitgliedsstaat - zusammensetzen, die bereits an EU-Bürgerräten teilgenommen haben.
Der Bürgerbeirat soll außerdem das Verfahren jedes Bürgerrates festlegen, die Reaktion der EU-Institutionen auf die Ergebnisse überwachen und die Umsetzung der erarbeiteten politischen Empfehlungen begleiten.
Hohe Standards
Für die EU-Bürgerräte sollen die bei solchen Verfahren üblichen Standards gelten: klarer Zweck und klares Mandat, gute Organisation, ausreichende Ressourcen und Zeit für die Beratung der Bürger, Verfügbarkeit von hochwertigem Fachwissen und relevanten Informationen, Simultanübersetzung und Transparenz.
Die Bürgerrat-Verfahren würden von einem professionellen Beteiligungsunternehmen durchgeführt. Die Entscheidungen des Bürgerrates über seine Empfehlungen sollen auf Konsens beruhen oder von mindestens 75 Prozent der Bürgerrat-Mitglieder unterstützt werden. Auch Minderheitenmeinungen sollen dokumentiert werden.
EU-Institutionen müssen antworten
Nach Abschluss der Beratungen soll das Bürgerrat-Sekretariat einen offiziellen Bericht erarbeiten, der die von den Bürgern entwickelten Empfehlungen zusammenfasst. Der Bericht würde vom Bürgerrat genehmigt, veröffentlicht und an die EU-Institutionen übermittelt.
Wie bei anderen Bürgerräten auch gäbe es für die EU keine rechtliche Verpflichtung, die Empfehlungen der europäischen Bürgerräte umzusetzen. „Allerdings müssten alle EU-Institutionen auf die Vorschläge antworten. Insbesondere wären die Institutionen verpflichtet, einen gemeinsamen Aktionsplan zu entwickeln. Ein Bürgerbeirat wird diesen Prozess überwachen und kann Rückmeldungen geben. Dies würde für Transparenz und Rechenschaftspflicht sorgen“, erklärt Hierlemann
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