Ein Bürgerrat für's Klima

Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland und Schottland haben es vorgemacht, jetzt ist Deutschland gefolgt. Vom 26. April bis zum 23. Juni 2021 lief der bundesweite Bürgerrat Klima. 160 zufällig ausgewählte Menschen kamen zusammen und diskutierten über mögliche Maßnahmen zum Umgang mit der Klimakrise. Dabei wurden sie von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft informiert.

Die Teilnehmenden berieten gemeinsam, wie Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreichen kann - unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte.

Klimaschutzziel mit Klimapaket nicht zu erreichen

Deutschland hat sich im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens dazu verpflichtet, seinen Beitrag dazu zu leisten, den globalen Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. „Mit dem im Dezember 2019 vom Bundestag beschlossenen Klimapaket ist dieses Ziel, laut Expertinnen und Experten, nicht zu erreichen“, heißt es auf der Internetseite des Bürgerrates. Ein Grund für die Zurückhaltung der Politik sei auch das gesellschaftliche Konfliktpotenzial politischer Maßnahmen, die tief in die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger eingriffen.

„Die Weichenstellungen in der Klimafrage müssen von allen mitgetragen werden“ begründet die Trägerorganisation „BürgerBegehren Klimaschutz“ deshalb auch die Durchführung des Bürgerrates. Schirmherr ist kein geringerer als Bundespräsident a.D. Horst Köhler. „Wenn Deutschland die Pariser Klimaziele erreichen will, ist eine große gesellschaftliche Veränderungsbereitschaft vonnöten. Darum ist es so wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger an der Suche nach Lösungen beteiligt werden - und dass die Politik ihre Vorschläge ernst nimmt“, sagt das ehemalige Staatsoberhaupt.

Überparteilich und ergebnisoffen“

Der Klima-Bürgerrat biete überparteilich und ergebnisoffen Raum, um zu klären, welche konkreten Maßnahmen gut informierte Bürgerinnen und Bürger bereit seien mitzutragen, auch wenn diese mit Einschnitten in ihren Alltag verbunden seien, erklären die Initiator:innen Von Bürgerinnen und Bürgern erarbeitete Lösungsvorschläge spiegelten eine gemeinsame Entscheidungsbasis wider, würden als fair wahrgenommen und seien mehrheitsfähig.

Zur Findung der einzelnen Themenschwerpunkte des Bürgerrates Klima wurden Parteien und zivilgesellschaftliche Organisatonen ebenso befragt wie ganz normale Bürgerinnen und Bürger in einer Online-Umfrage. Auch ein wissenschaftliches Kuratorium hat seinen Beitrag geleistet. Am Ende standen als Handlungsschwerpunkte die Themenfelder Mobilität, Energie, Gebäude und Wärme sowie Ernährung.

Das Losverfahren

Die Bürgerrat-Teilnehmenden wurden zufällig aus den Einwohner:innenmelderegistern aus ebenfalls zufällig gelosten Gemeinden verschiedener Größenklassen aus ganz Deutschland ausgelost. Die 160 Teilnehmenden wurden nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildung, Größe des Wohnortes, Herkunft nach Bundesland und Einstellung zum Klimaschutz so aus den interessierten Ausgelosten ausgewählt, dass die Versammlung im Hinblick auf diese Kriterien ein Abbild der Gesellschaft ist.

Die Teilnehmenden diskutierten an zwölf Terminen online über klimapolitische Handlungsmöglichkeiten. Dabei wurden sie von Expertinnen und Experten aus den einzelnen Themenbereichen beraten. Der wissenschaftliche Beirat überwachte die Ergebnisoffenheit des gesamten Prozesses. Die daraus entstehenden Empfehlungen werden in einem Bürgergutachten zusammengefasst und der Politik übergeben. Moderiert wurde der Bürgerrat von Beteiligungsexpert:innen der Institute ifok, nexus und IPG.

Breite Unterstützung

Der Bürgerrat Klima genießt gesellschaftlich breite Unterstützung. Rund 70 Organisationen gehören zum Unterstützungskreis, darunter die Arbeiterwohlfahrt und Misereor, der Deutsche Bauernbund, Brot für die Welt, der Bund der Energieverbraucher und nicht zuletzt Umweltschutzorganisationen wie der BUND und der WWF.

Dem Klima-Bürgerrat in Deutschland waren Losversammlungen zum Thema in Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland und Schottland vorausgegangen. Im Juni 2020 hatten die 150 Mitglieder des französischen Klima-Bürgerrates „Convention Citoyenne pour le Climat“ 149 Empfehlungen beschlossen. Sie beinhalten in einem 500seitigen Bürgergutachten weitreichende Vorschläge für Wirtschaft, Verkehr, Wohnen, Handel und Ernährung. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen soll der CO2-Ausstoß des Landes bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden.

Frankreich setzt Bürgerrat-Empfehlungen teilweise um

Am 10. Februar 2021 hatte die Regierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung von Empfehlungen des Bürgerrates vorgelegt. Darin tauchen 25 Vorschläge der Convention Citoyenne nicht auf, 19 wurden übernommen, 75 teilweise übernommen. Bereits am 14. Dezember 2020 hatte Macron angekündigt, dem Vorschlag des Bürgerrates zu folgen, alle Bürger:innen in einem Referendum über die Einfügung des Staatsziels Klimaschutz in die Verfassung abstimmen zu lassen.

Eine Vielfliegersteuer, die schrittweise Abschaffung umweltschädlicher SUV und die Beschränkung von Autos in Stadtzentren gehören zu den vom britischen Klima-Bürgerrat "NetZero UK“ vorgeschlagenen Lösungen zur Klimakrise. Die klimapolitischen Empfehlungen der zufällig gelosten Bürger:innenversammlung wurden am 10. September 2020 vorgestellt.

Zwischenbericht in Schottland

In Schottland wurde dem Parlament am 24. März 2021 ein Zwischenbericht des dortigen Klima-Bürgerrates vorgelegt. Er enthält 16 Ziele, die mit einem breiten Konsens der Mitglieder beschlossen wurden. Diese Ziele decken ein breites Spektrum an Themen ab, darunter Heizen, Emissionen, Landnutzung, Besteuerung und Wirtschaft.

Die Versammlung hatte sich innerhalb von fünf Monaten sieben Mal getroffen. Die Teilnehmenden haben über die Vorträge von mehr als 100 Expert:innen beraten. Die Bürgerrat-Mitglieder hatten die Frage zu beantworten, wie Schottland sich verändern sollte, um den Klimanotstand auf effektive und faire Weise zu bekämpfen. Der vollständige Bericht der Versammlung mit detaillierten Empfehlungen wird im Mai 2021 nach der Wahl eines neuen schottischen Parlaments veröffentlicht.

Klima-Bürgerrat in Irland

Bereits 2017 fand in Irland ein Bürgerrat zum Klimawandel statt, der weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz empfahl. Die Mitglieder der Citizens Assembly stimmten zu 80 Prozent oder mehr für 13 Empfehlungen zum Klimawandel. Dazu gehörten Vorschläge wie die Schaffung einer neuen Regierungsstruktur, um die Klimapolitik in den Mittelpunkt der Politikgestaltung zu stellen. Auch gab es Mehrheiten für die Erhöhung der irischen CO2-Steuer und der Besteuerung der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft, die Irlands größter Verursacher von klimaschädlichen Gasen ist. 

Zu den Empfehlungen gehörte weiterhin ein weitreichender Ausbau von Fahrradwegen und öffentlichem Nahverkehr, Wiederaufforstungsmaßnahmen, der sofortige Stopp von Subventionen für den Torfabbau und die Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Mitte 2019 mündete die Arbeit der Bürgerversammlung in einen Klimaaktionsplan, mit dem Irland seine Emissionen zwischen 2021 und 2030 um 30 Prozent senken will.

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