Bürgerrat empfiehlt Demokratie-Reformen

05. August 2022

Bessere und unabhängige Informationen vor Wahlen, die Möglichkeit von Online-Wahlen, ein Wahlrecht für Ausländer und mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie empfiehlt ein Bürgerrat im österreichischen Bundesland Vorarlberg.

Die überparteiliche Bürgerinitiative "Faire Wahlen" hatte am 24. Februar 2022 mehr als 1.300 Unterschriften für die Einberufung dieses Bürgerrates an Landtagspräsident Harald Sonderegger überreicht. Der Bürgerrat sollte rechtzeitig vor der Landtagswahl 2024 eine Wahlrechtsreform erarbeiten. Ziel der Petition waren faire Regelungen für alle Parteien und "Demokratie auf Augenhöhe". Der Bürgerrat fand am 1. und 2. Juli 2022 statt.

„Wir wollen nicht mehr länger von Parteien regiert werden, die sich Medienpräsenz und Berichterstattung durch unmäßige Wahlwerbeausgaben erkaufen“, hieß es auf der Internetseite der Initiative „Faire Wahlen“. Allein die konservative ÖVP habe ihr erlaubtes Wahlkampfbudget beispielsweise in der Nationalratswahl 2017 wissentlich um 5,96 Millionen Euro, also um 85 Prozent des erlaubten Wahlkampfbudgets überzogen, weil sie sich die dafür fällige Strafzahlung von 800.000 Euro ohne Probleme leisten könne. Mit diesem Geld seien u.a. Umfragewerte manipuliert und Berichterstattung gesteuert worden.

„Einer Demokratie unwürdig“

„Kleinere Parteien mit weniger Budget kommen in den öffentlichen Medien nicht oder kaum vor“, kritisierte die Initiative. Die Wähler könnten sie daher nicht wahrnehmen oder nicht ausreichend einordnen. Kleine Parteien wirkten zu chancenlos, um ihnen eine Stimme zu geben. Das sei einer Demokratie unwürdig.

In einer Demokratie sollten politische Inhalte und gesellschaftliche Weiterentwicklung zählen. Das bedeutet für „Faire Wahlen“, dass jede zur Wahl zugelassene Liste ihr Wahlprogramm und ihre Haltungen zu gesellschaftsrelevanten Fragen öffentlich präsentieren können sollte. Themen der angestrebten Wahlrechtsreform sollten u.a. die Medienpräsenz für alle zur Wahl antretenden Parteien sowie die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, bzw. Strafen bei deren Nichteinhaltung sein.

Sechs Themenfelder

Insgesamt sechs Themenfelder haben die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam herausgearbeitet: 

  • Vertrauenskrise überwinden 
  • Politische Bildung und Politik vermitteln 
  • Wahlberechtigung 
  • Digital wählen, zeitgemäss wählen 
  • Gleichstellung wahlwerbender Gruppen 
  • Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie

Die Bürgerrat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer haben folgende Empfehlungen beschlossen:

  • Die Politiker sollen Räume für Begegnungen und Dialog mit den Wählerinnen und Wählern schaffen. Solche Räume können z.B. Sprechstunden, Bürgercafés, Stammtische, Foren und soziale Medien sein.
  • Zur besseren Information der Wähler soll ein WahlWiki geschaffen werden. An Schulen soll politische Bildung Pflicht werden. Eine unabhängige Plattform soll über bevorstehende Wahlen informieren. Informationen sollen mehrsprachig und in leicht verständlicher Sprache angeboten werden.
  • Menschen ohne österreichischen Pass sollen nach zehn Jahren dauerhaftem Aufenthalt in Österreich das Wahlrecht bekommen.
  • Mit einer Wahl-App soll es ermöglicht werden, digital, schnell, einfach und ortsunabhängig zu wählen. Zur Identifizierung wird die Verwendung der ID-Austria angeregt.
  • Jede zur Wahl antretende Partei und Gruppe soll die selben zeitlichen und öffentlichen Möglichkeiten und Zuwendungen für ihre Wahlwerbung bekommen.
  • Ein regelmäßiges Bürgerforum und verbindliche Volksabstimmungen sollen eingeführt werden.

Diskussion in Resonanzgruppe

In einer Resonanzgruppe haben u.a. auch Landesräte und Experten aus der Verwaltung über die Empfehlungen diskutiert. Sie verweisen darauf, dass für ein Wahlrecht ohne Staatsbürgerschaft die Verfassung geändert werden müsste. Andere Forderungen des Bürgerrates stoßen hingegen auf mehr Zustimmung. Zum Beispiel die Forderung nach mehr politischer Bildung an Schulen. Die Politik muss den Mitgliedern des Bürgerrates jetzt vorlegen, was mit den Ergebnissen geschieht.

Am 28. März 2023 hat das Land Vorarlberg seine neue Beteiligungsstrategie vorgestellt. Als Ziele werden darin eine zentrale Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung, umfassende Informationsarbeit, neue Formen gemeinsamer Gestaltung, das Einüben von Beteiligung, Gestaltungsmöglichkeiten für die jungen Menschen, höhere Diversität und Inklusivität, Mitentscheiden statt nur beraten (auch online) und messbare Folgen/Wirkungen von Bürgerbeteiligung genannt.

Der Vorarlberger Bürgerrat

Im Vorarlberger Bürgerrat erarbeiten zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger an einem Wochenende Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Die Ergebnisse werden anschließend öffentlich präsentiert und diskutiert. Der Bürgerrat ist in der Vorarlberger Landesverfassung verankert. Er kann nicht nur von Regierung und Parlament, sondern auch mit mindestens 1.000 Unterschriften aus der Bevölkerung heraus einberufen werden.

Um ein möglichst breites und qualitatives Abbild der Vorarlberger Gesellschaft zu gewährleisten, werden Kriterien wie Alter, Geschlecht und Wohnort in der Auswahl berücksichtigt. Aufgrund der Zufallsauswahl handelt es sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern um Menschen mit Alltagswissen, die über keinerlei spezielle Expertise oder Qualifikationen verfügen. Sie vertreten dadurch also ihre persönliche Meinung und keine Interessensgruppen. Teilnahmeberechtigt sind alle Personen, die ihren Hauptwohnsitz in Vorarlberg haben und mindestens 16 Jahre alt sind.

Lösungsideen werden erarbeitet

Die Teilnehmer des Bürgerrates, meistens zwölf bis fünfzehn Personen, sind dazu eingeladen, bestimmte Themen und Fragestellungen zu diskutieren, Herausforderungen aus ihrer Sicht aufzuzeigen und Lösungsideen zu erarbeiten. Inhaltlich wird der Bürgerrat weder angeleitet, noch in irgendeiner Weise gesteuert. Moderiert wird er anhand der lösungsorientierten Methode "Dynamic Facilitation".

Am Ende eines Bürgerrates wird eine von allen Teilnehmern getragene, gemeinsame Erklärung verfasst. Dieses wird in einem zeitnahen "Bürgercafé" der interessierten Öffentlichkeit, sowie Ansprechpersonen aus Verwaltung, Gemeinde, Politik und relevanten Institutionen, vorgestellt, diskutiert und erweitert. So wurde auch beim Bürgerrat zum Wahlrecht der interessierten Bevölkerung im Rahmen von zwei Bürgercafés die Möglichkeit geboten, sich zum Thema einzubringen und die Ergebnisse des Bürgerrats zu ergänzen bzw. zu vertiefen. Außerdem bestand bis zum 24. Juli 2022 die Möglichkeit, sich online einzubringen.

Umsetzung der Empfehlungen

In einer Sitzung der "Resonanzgruppe" (Strategiegruppe, die sich aus betroffenen Vertretern aus Politik, Verwaltung etc. zusammensetzt), werden die Vorschläge des Bürgerrates auf die konkrete Umsetzung geprüft und weiterführende Maßnahmen gesetzt. Anschließend erhalten die Teilnehmer des Bürgerrates eine schriftliche Rückmeldung, wie die Ergebnisse verwertet werden.

Seit 2011 gab es in Vorarlberg 15 Bürgerräte auf Landesebene. Themen waren u.a. Asyl, Jugend, Klima, Landwirtschaft und Mobilität.

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