Bürgerrat will irische Drogenpolitik verbessern

22. Oktober 2023
Citizens' Assembly Ireland

Der irische Bürgerrat zur Drogenpolitik des Landes hat am 22. Oktober 2023 eine Entkriminalisierung des Besitzes von Drogen zum persönlichen Gebrauch empfohlen.

Die Losversammlung hatte über 36 Empfehlungen an die Regierung abgestimmt, die darauf abzielen, ein neues irisches Modell der Gesetzgebung, Politik und Unterstützungsleistungen zu zu schaffen. Ziel ist es, die durch den illegalen Drogenkonsum verursachten Schäden zu verringern. Die Vorschläge werden nun in einem Abschlussbericht zusammengefasst, der die Arbeit des Bürgerrates zusammenfasst und dem Parlament bis Ende 2023 vorgelegt werden soll.

Parlament soll Weg zu Entkriminalisierung prüfen

Der Bürgerrat hat empfohlen, dass der Staat vom Status quo zu einer umfassenden gesundheitsorientierten Reaktion auf Drogen übergeht, einschließlich der Entkriminalisierung von Personen, die im Besitz von Drogen für den persönlichen Gebrauch angetroffen werden. Wie die Entkriminalisierung im Einzelnen gesetzlich geregelt werden kann, ist eine Frage, die das irische Parlament nach eingehender rechtlicher Prüfung entscheiden soll.

Zu den weiteren Schlüsselempfehlungen gehören eine größere Verantwortung und Rechenschaftspflicht für die Drogenpolitik auf nationaler Ebene durch die Einrichtung eines speziellen Kabinettsausschusses für Drogen, dessen Vorsitz der Ministerpräsident übernehmen soll, sowie eine Aufstockung der Mittel für Mittel für Dienste zur Behandlung der Drogensucht und eine stärkere Konzentration auf die Aufklärung über den Drogenkonsum und Vorbeugungsmaßnahmen.

"Das ist keine Entkriminalisierung"

Für Kritiker geht die Empfehlung, die Gesetze zur Bestrafung des Besitzes von Drogen für den Eigengebrauch erheblich zu ändern, nicht weit genug: "Das ist keine Entkriminalisierung. Es handelt sich um Zwang und bedeutet, dass man, wenn man sich nicht freiwillig an die Gesundheitsdienste wendet, immer noch mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen muss. Mit anderen Worten, wenn man kein Problem hat und beim Besitz erwischt wird und nicht sagt, dass man ein Problem hat, könnte man angeklagt werden", schrieb Dr. Órfhlaith Campbell, der über die Geschichte der Prohibition in Irland promoviert hat, auf X (früher Twitter).

Besonderes Aufsehen erregte die Abstimmung, bei der der Antrag, alle Formen von Cannabis in Irland zu legalisieren, mit einer knappen Mehrheit von 38 zu 39 Stimmen abgelehnt wurde. Einige Bürgerrat-Mitglieder erklärten, es sei ihnen nicht klar gewesen, wofür sie gestimmt haben. Andere beschwerten sich, dass sie entweder unvollständige oder verzerrte Informationen erhalten hätten.

"Das ist keine deliberative Demokratie"

Bürgerrat-Teilnehmerin Kerry Anne Lawless sagte: "Ich habe versucht, auf die Heuchelei hinzuweisen, die darin besteht, eine sehr ausführliche Diskussion über einige Drogen zu führen, während die enormen Schwankungen in der Wirksamkeit von Cannabis ignoriert werden. Ich wollte das Verfahren ändern."

Lawless hatte zuvor auf X geschrieben, dass mehr als 15 andere Bürgerrat-Teilnehmer "verwirrt über die Optionen" seien: "Ich habe mich an den Vorsitzenden gewandt und um eine Wiederholung von Wahlgang 2 gebeten, so wie andere auch. Es gab kein Interesse daran, dies den Mitgliedern des Bürgerrates überhaupt zur Diskussion zu stellen. Ich glaube nicht, dass das etwas ändern wird, aber ich werde eine formelle Beschwerde über das Verfahren einreichen. Ihre Gefühle zusammenfassend sagte sie: "Unabhängig vom Ergebnis ist dies keine deliberative Demokratie. Das Verfahren war völlig mangelhaft".

"Umfassendste Diskussion über Drogen jemals"

Der Bürgerrat-Vorsitzende Paul Reid, erklärte, die Mitglieder hätten "durch ihre aktive Teilnahme am  Bürgerrat-Verfahren einen wichtigen Beitrag zum irischen Leben geleistet. "Dies war die umfassendste, weitreichendste und repräsentativste Diskussion über alle Aspekte des Drogenkonsums und der Drogenpolitik, die jemals in Irland stattgefunden hat", so Reid. Er sprach von einer "dringend benötigten und längst überfälligen nationalen Diskussion". "Der Bürgerrat hat ein irisches Drogengesetz-Modell erarbeitet, das auf die Probleme und Herausforderungen zugeschnitten ist, vor denen wir stehen", so Reid weiter.

"Wir haben von den verheerenden Auswirkungen des Drogenkonsums auf Einzelpersonen, ihre Familien und Gemeinschaften gehört, und wir haben die Stimmen und Geschichten derjenigen gehört, die an vorderster Front in der Drogenbehandlung, in der Drogenhilfe und in der Drogenprävention arbeiten. Wir haben Argumente für einen neuen und radikalen Ansatz gehört, aber auch Rufe nach der Beibehaltung des Status quo. Letztendlich wird es am Parlament liegen, das umzusetzen, was der Bürgerrat gefordert hat. Aber wenn sie das tun, wird dies nicht nur die nationale Politik ändern, sondern auch das Leben der Menschen verändern. Zum Besseren."

Bewusstseinswandel durch Bürgerrat

Die Teilnahme am Bürgerrat hat bei den Mitgliedern zu einem intensiven Nachdenken über die Drogenproblematik geführt. Adrian aus Co Longford sagte, dass er zwar zu Beginn des Verfahrens keine ausgeprägte eigene Meinung zur Drogenpolitik hatte, dass aber das, was er seitdem gelernt hat, seine Meinung geändert hat. "Die Menschen, die in das Justizsystem geraten sind, weil sie in ihrer Jugend Drogen genommen haben, haben mich am meisten beeindruckt", erklärte er. Adrian ist zu der Ansicht gelangt, dass ein gesundheitsorientiertes Vorgehen gegen den Drogenkonsum der richtige Weg ist.

Elaine, ein weiteres Bürgerrat-Mitglied, sagte, sie habe anfangs nicht gewusst, wie sie sich einbringen könne:  "Ich wusste nicht viel über Drogen, also habe ich mich anfangs gefragt, wie ich bei der Entscheidungsfindung helfen könnte. Es war eine sehr lehrreiche Erfahrung. Ich hatte noch nie etwas von einem Bürgerrat gehört, aber nach jeder unserer Sitzungen hatte ich eher eine Meinung. Auf der Heimfahrt musste ich immer wieder darüber nachdenken." Elaine sagte, sie wünsche sich einen gesundheitsorientierten Ansatz für die Suchthilfe.

"Wir haben den Menschen zugehört, die von all dem betroffen sind. Manche Menschen haben nur einmal etwas falsch gemacht, und ihr ganzes Leben ist aus den Fugen geraten. Sie brauchen Unterstützung, um ihre Sucht zu überwinden, ein Haus, in das sie zurückkehren können, und die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden. Dass Menschen all das verloren haben, hat mir das Herz gebrochen, denn ich hatte davon noch nie gehört", erklärte sie.

Erklärung: Justizausschuss soll Gesetzentwurf vorlegen

In einer Erklärung vom 23. Oktober 2023 erklärte eine Gruppe von Abgeordneten und Senatoren, darunter Politiker von Fianna Fáil, Fine Gael, der Grünen Partei, Labour und People Before Profit, dass die Entscheidung des Bürgerrates "die Notwendigkeit eines radikalen Wandels in der irischen Drogenpolitik unterstreicht".

"Wir fordern das Parlament auf, den Bericht nach seiner Veröffentlichung an den Gemeinsamen Justizausschuss des Parlaments zu überweisen, damit dieser eingehende Überlegungen anstellen und einen Gesetzesentwurf vorlegen kann", heißt es in der Erklärung.

99 Bürgerrat-Teilnehmer

Der Bürgerrat zur Drogenpolitik des Landes hatte am 15. April 2023 seine Arbeit aufgenommen. Die 99 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihre Empfehlungen für Regierung und Parlament mit Hilfe von Fachleuten entwickeln. Die Fragestellung lautete, wie die schädlichen Auswirkungen illegaler Drogen auf einzelne Menschen, Familien, Gemeinschaften und die irische Gesellschaft deutlich verringert werden können. Der Bürgerrat hatte sich zu insgesamt sechs Wochenend-Sitzungen getroffen.

Irland hat ein wachsendes Drogenproblem. Die Regierung hatte deshalb bereits 1996 versucht, das Problem in den Griff zu bekommen, als ein Ausschuss den ersten Bericht der ministeriellen Task Force über Maßnahmen zur Reduzierung der Drogennachfrage erstellt hatte.

Zahl der Drogentoten gestiegen

Es wurden lokale Drogen-Taskforces eingerichtet, die von einem Nationalen Drogenstrategie-Team überwacht wurden, um eine koordinierte Reaktion auf Drogenprobleme zu ermöglichen. Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des so genannten Rabbitte-Berichts hatte die CityWide Drugs Crisis Campaign aufgezeigt, dass die Zahl der Drogentoten bis 2021 landesweit um 225 Prozent gestiegen ist.

Im selben Jahr hatte das Health Research Board (HRB) die Ergebnisse von Haushaltsbefragungen veröffentlicht, die es 2019 und 2020 durchgeführt hatte. Die Untersuchung zeigte, dass der illegale Drogenkonsum seit 2014/2015 gleich geblieben ist, dass es aber Veränderungen bei den Arten von Drogen gibt.

Kokain-Konsum seit 2002/2003 verdoppelt

Der Konsum von Kokain, Ecstasy, Amphetaminen, LSD und Poppers hat deutlich zugenommen, während der Cannabis-Konsum leicht rückläufig war. Der Kokain-Konsum hat sich seit 2002/2003 verdoppelt, wobei mehr Männer im Alter von 25 - 34 Jahren als je zuvor Kokain nutzen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass sie ein "sehr großes" oder "ziemlich großes" Problem mit Menschen in ihrem privaten Umfeld haben, die Drogen konsumieren oder damit handeln.

Der Bürgerrat hatte sich deshalb u.a. mit diesen Themen befasst:

  • Triebkräfte, Verbreitung, Einstellungen und Trends in Bezug auf den Drogenkonsum in der irischen Gesellschaft
  • schädliche Auswirkungen des Drogenkonsums auf Einzelpersonen, Familien, Gemeinschaften und die Gesellschaft im weiteren Sinne
  • bewährte Verfahren zur Förderung und Unterstützung der Rehabilitation und Genesung von der Drogenabhängigkeit
  • Lebenserfahrungen von Jugendlichen und Erwachsenen, die Drogen konsumieren, sowie mit den Erfahrungen ihrer Familien und ihres privaten Umfelds
  • internationale, EU-weite, nationale und lokalen Perspektiven zum Drogenkonsum
  • Wirksamkeit der derzeitigen strategischen, politischen und operativen Maßnahmen gegen den Drogenkonsum
  • international bewährte Verfahren und praktische Fallstudien in Bezug auf die Verringerung von Angebot, Nachfrage und Schaden sowie die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, der Gesundheit und des Wohlbefindens
  • Möglichkeiten und Herausforderungen einer Reform der Rechtsvorschriften, der Strategie, der Politik und der operativen Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenkonsums im irischen Kontext, unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Gesundheits-, Strafrechts- und Bildungssystem.

Der Bürgerrat-Vorsitzende Paul Reid war zuvor Geschäftsführer des irischen Gesundheitsdienstes HSE und des Fingal County Council, einer lokalen Infrastrukturbehörde.

Bürgerrat ein Abbild der Bevölkerung

Die 99 Mitglieder des Bürgerrates waren mit Hilfe eines geschichteten Zufallsverfahren aus dem ganzen Land ausgelost worden. Jeder Erwachsene mit Wohnsitz in Irland konnte Mitglied eines Bürgerrates werden. Dazu gehörten auch Menschen, die zum Zeitpunkt der Auslosung nicht die irische Staatsbürgerschaft besaßen, und solche, die nicht im Wählerverzeichnis eingetragen waren. Damit haben die Teilnehmer ein breites Spektrum der irischen Gesellschaft abgebildet.

20.000 Haushalte hatten eine postalische Einladung zum Bürgerrat erhalten. Aus jedem Haushalt wurde ein Mitglied aufgefordert, sich für eine Teilnahme am Bürgerrat zu bewerben. Auf Grundlage der aktuellsten Volkszählungsdaten wurden bei der Auswahl der Teilnehmer Faktoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort und beruflich-wirtschaftlicher Status berücksichtigt.

Bürgerräte seit 2016, vier Referenden

Seit 2016 haben sich Bürgerräte in Irland mit den Themen Abtreibung, alternde Gesellschaft, Biodiversität, zeitlich festgelegte Legislaturperioden für das Parlament, Regeln für Volksentscheide, Klima und Geschlechtergerechtigkeit befasst. Zuvor gab es von 2013 bis 2014 einen zu zwei Dritteln mit ausgelosten Bürgern besetzten Verfassungskonvent, auf dem über die gleichgeschlechtliche Ehe, Gotteslästerung, das Wahlrecht, ein Mindestalter für Präsidentschaftskandidaten, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Rolle von Frauen in der Politik beraten wurde.

Empfehlungen der Bürgerräte zu Abtreibung, gleichgeschlechtlicher Ehe und die Streichung des Paragraphen zur Gotteslästerung aus der Verfassung fanden in obligatorisch vorgeschriebenen Verfassungsreferenden eine Mehrheit. Die vom Verfassungskonvent vorgeschlagene Senkung des Mindestwahlalters für Präsidentschaftskandidaten von 35 auf 21 Jahre wurde von den Abstimmenden hingegen abgelehnt.

Mehr Informationen: Bürgerrat zum Drogenkonsum

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