Bürgerrat für „klimagesundes Österreich“

05. Juli 2022
Klimarat

Was müssen wir heute tun, um morgen in einer klimagesunden Zukunft zu leben? 100 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus allen Regionen Österreichs und aus allen Teilen der Gesellschaft haben sich sich von Januar bis Juni 2022 mit dieser Frage auseinandergesetzt. Gemeinsam haben sie den Klimarat gebildet. Als eine Art „Mini-Österreich“ haben sie Maßnahmen erarbeitet, um die Klimazukunft des Landes aktiv mitzugestalten.

Die Teilnehmer des Klimarats haben an sechs Wochenenden Antworten rund um zentrale Zukunftsfragen entwickelt: Wie wollen wir uns fortbewegen? Woher beziehen wir unsere Energie? Wie müssen wir uns ernähren, um den Planeten zu schützen? Mit dem Klimarat hat ein Abbild der Bevölkerung der Politik Vorschläge für klimapolitische Maßnahmen gemacht. Unterstützt wurden die Bürgerrat-Teilnehmer von Fachleuten verschiedener Fachrichtungen, die den aktuellen Forschungsstand eingebracht haben. Ziel ist ein klimagesundes Österreich - und damit Klimaneutralität - bis 2040.

93 Vorschläge

Zu den am 4. Juli 2022 vorgestellten 93 Vorschlägen des Klimarates gehört die Verankerung eines Grundrechts auf Klimaschutz, ein Bodenversiegelungsstopp, die Abschaffung für Subventionen fossiler Energie, die Schaffung einer parteiunabhängigen Klimakommission, Treibhausgaszölle für Lebensmittel aus Drittstaaten und höhere Steuern für klimaschädliche Fahrzeuge.

Einstimmig konnte man sich im Klimarat auf den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, die Einführung einer Kerosinsteuer oder kostenpflichtige Rücksendungen im Online-Handel einigen. Der Bericht des Klimarates enthält auch die Forderung nach Tempolimits: "Um klimaschädliche Emissionen im Verkehrssektor zu verringern, sollen folgende Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten: auf Bundes- und Landstraßen 90 km/h, innerorts auf Hauptstraßen 50 km/h und auf Nebenstraßen 30 km/h."

Vernichtung von Neuwaren verbieten

Im Bereich Konsum und Produktion schlägt die Losversammlung vor, die Vernichtung von Neuwaren im Onlinehandel zu verbieten. Darüber hinaus soll die Reparierbarkeit von Produkten verpflichtend gemacht werden. Insgesamt sollen klimaschädliche Produkte möglichst in den Hintergrund rücken - und deren Bewerbung stark eingeschränkt und bei besonders schädlichen Produkten gar verboten werden. Wer klimafreundliche Projekte plant, soll belohnt werden, lautet ein weiterer Vorschlag, etwa mit günstigeren Kreditbedingungen.

Lebensmittel sollen auf der Basis von Umweltfolgen besteuert werden. Klimafreundliche Produkte sollen so attraktiver werden. Die Bürgerrat-Teilnehmer sprechen sich zudem für ein Vernichtungsverbot für Lebensmittel aus. Die Produkte sollen an Sozialmärkte weitergegeben werden oder - falls sie nicht mehr genießbar sind - in Biogasanlagen landen. Mengenrabatte, die aus Sicht des Gremiums zur Lebensmittelverschwendung verleiten, sollen verboten werden.

Auch im Bereich Wohnen haben die Bürgerinnen und Bürger einige Maßnahmen formuliert: Eine Sofortoffensive soll die Sanierung aller Bestandsbauten "schnell und unbürokratisch" ermöglichen. Insgesamt sollen Sanierungen stärker gefördert werden als Neubauten, um den Bodenfraß einzudämmen. Damit nicht mehr so viel Fläche versiegelt wird, soll die Raumordnungskompetenz zudem auf Landesebene verlagert werden. Weitere große Punkte in dem Kapitel sind eine Leerstandsabgabe und -meldepflicht ab 2024 sowie die verpflichtende Installation von Solaranlagen auf Groß- und Gemeinschaftsanlagen.

Prozess sehr bereichernd

Bei der Präsentation der Ergebnisse beschrieben die Teilnehmer den Bürgerrat-Prozess als sehr bereichernd. Anfangs war die Stimmung in Anbetracht der dramatischen Situation von Frustration und Sprachlosigkeit geprägt. „Wieso handeln wir nicht, obwohl das Wissen am Tisch liegt?“, war eine Frage, die bei vielen Teilnehmern anfangs aufkam. Und zwar sowohl was die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels, als auch, was mögliche Lösungen betrifft.

Doch bald setzte sich Zuversicht durch. Auch bei heiklen, strittigen Themen konnten sich die durchaus sehr unterschiedlichen Teilnehmer auf einen gemeinsamen Lösungsvorschlag einigen. Denn Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen, könne nur erreicht werden, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, so die Mitglieder des Gremiums. „Das Ergebnis zeigt, dass die Bürger bereit sind, viel weiter zu gehen, als die Politiker glauben. Weil sie wissen, dass es notwendig ist“, sagt Georg Kaser, Klimaforscher und Co-Leiter des wissenschaftlichen Beirats des Klimrates.

Die Empfehlungen wurden an Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) überreicht.

Umweltministerium reagiert auf Empfehlungen

Mit einem 130-seitigen Papier hat das Umweltministerium am 29. November 2022 auf die Empfehlungen des Klimarats reagiert. Punkt für Punkt wird darin erläutert, ob und wie der der jeweilige Wunsch umsetzbar wäre und in wessen Zuständigkeit das fiele. Betont wird, dass dies nur als erster Schritt zu sehen sei. Eine weitere Bearbeitung erfolge im Rahmen der bereits laufenden Vorbereitung eines aktualisierten Nationalen Energie- und Klimaplans.

Eine der Hauptforderungen des Klimarats war die Einführung eines Grundrechts auf Klimaschutz. Hierzu äußert sich das Umweltministerium eher pessimistisch. Laut einem Rechtsgutachten und laut Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt wäre dies zwar möglich, es fehle aber die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament dafür. Auch die Neuordnung der Raumordnungskompetenzen weg von den Gemeinden dürfte wohl an dieser Hürde scheitern.

Was bereits erreicht wurde

Verwiesen wird aber auch auf bereits erreichtes, etwa die CO2-Bepreisung, die Forcierung des öffentlichen Verkehrs oder die Sanierungsoffensive im Wohnbereich im Rahmen der Umweltförderung. Beim lange ausstehenden Klimaschutzgesetz, bei dem vor allem die konservative ÖVP bremst, bleibt die Antwort vage: "Die Details des Gesetzes sind derzeit noch in politischer Verhandlung", heißt es. Immerhin wird aber angekündigt, dass dabei die vom Klimarat ebenfalls gewünschte parteiunabhängige Klimakommission Realität werden könnte, und zwar über den dort angestrebten wissenschaftlichen Beirat.

Den Wunsch nach Reparierbarkeit von Produkten sieht das Ministerium in der auf EU-Ebene verhandelten Ökodesign-Richtlinie auf gutem Weg. Das Verbot der Vernichtung von Neuwaren will die Regierung ebenfalls umsetzen, ebenso eine Anlaufstelle für Kreislaufwirtschaft. Ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte sei hingegen nicht in Planung und müsse auf Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbsrecht geprüft werden. Eine weitere Absage: "Ein rechtliches Verbot von neuen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bereits im Jahr 2027 ist aus heutiger Sicht europarechtlich nicht möglich", so das Umweltministerium.

Querschnitt der Gesellschaft

Der Klimarat bestand aus 100 Menschen, die ihren Hauptwohnsitz seit mindestens fünf Jahren in Österreich haben. Sie alle waren mindestens 16 Jahre alt und bildeten hinsichtlich Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Einkommen und Wohnort einen Querschnitt der Gesellschaft. Die jüngste Person im Klimarat war 17 Jahre alt, die älteste 79 Jahre. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass nicht nur Personen im Klimarat vertreten sind, die in der Klimafrage besonders engagiert sind - sondern ein Querschnitt der gesamten Bevölkerung.

Die Menschen wurden mittels Zufallsstichprobe von der Statistik Austria gelost. Im September 2021 hatten die ausgewählten Personen einen Informationsbrief und damit die Möglichkeit erhalten, sich für den Klimarat anzumelden. Nach der Auswertung eines Fragebogens wurden von der Statistik Austria unter allen registrierten Personen schließlich 100 Teilnehmer sowie 20 Reservepersonen ausgewählt.

Bürgerrat Folge eines Volksbegehrens

Geburtsstunde des Klimarats war ein Klimavolksbegehren im Juni 2020, das von fast 400.000 Menschen unterstützt wurde. Eine der Kernforderungen: die österreichische Bevölkerung aktiv bei Klimaschutzmaßnahmen mitbestimmen zu lassen. Im März 2021 hatte der Nationalrat die Bundesregierung ersucht, die Forderungen des Klimavolksbegehrens umzusetzen - der Klimarat war geboren.

Nach dem Klimarat hatten sich Teilnehmer den „Verein des österreichischen Klimarats der Bürger:innen“ gegründet um bei Thema Klimaschutz weiterhin gemeinsam aktiv zu bleiben.

Mehr Informationen: