"Online-Deliberation nicht schlechter"
Die finnische Stadt Turku versucht sich als erste Kommune weltweit an einem Online-Bürgerrat. Der Politikwissenschaftler Prof. Kimmo Grönlund hat diesen zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern angestoßen. Wir haben ihn zu diesem Bürgerrat-Projekt befragt.
Bürgerrat Demokratie: Die Stadt Turku beruft einen Bürgerrat ein. Was wird das Thema sein?
Prof. Kimmo Grönlund: Die Stadtentwicklung, insbesondere die Verkehrsplanung im Stadtzentrum. Der Planungszeitraum beträgt zehn Jahre.
Bürgerrat: Warum hat die Stadt Turku sich für eine zufällig ausgeloste Bürgerversammlung entschieden?
Prof. Grönlund: Die Entscheidung wurde von uns Wissenschaftlern getroffen. Ziel ist es, eine möglichst große Vielfalt unter den über 200 beratenden Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen. Losverfahren sind ein gutes Mittel, um dies zu gewährleisten. Wir werden einige Quoten wie Geschlecht, Alter, Muttersprache und Wohnort anwenden, aufgrund der die endgültig Teilnehmenden ausgelost werden.
Bürgerrat: Treffen von Angesicht zu Angesicht sind während der Corona-Krise nicht möglich. Deshalb wird der Bürgerrat online durchgeführt werden. Wie sieht das Verfahren aus?
Prof. Grönlund: Wir nutzen Zoom für die Beratungen. Jede Gruppe bekommt ihre eigene, individuelle Meeting-ID. Normalerweise hat jede Gruppe einen Moderator, der die Diskussion moderiert. Da wir eine Online-Veranstaltung mit Laien durchführen, wird jede Gruppe diesmal einen Moderator und einen technischen Moderator haben. Die Gruppen bestehen aus acht bis zehn Teilnehmenden, und es wird einige Tage vor den eigentlichen Beratungen für jede Gruppe separat ein technischer Probelauf stattfinden.
Bürgerrat: Kritiker befürchten den Verlust der Qualität deliberativer Demokratie bei einem reinen Online-Verfahren. Was antworten Sie darauf?
Prof. Grönlund: Dem stimme ich nicht zu. Unsere bisherigen Online-Experimente zeigen, dass die Qualität der Online-Deliberation nicht schlechter sein muss als im Face-to-Face-Modus. Manche Menschen fühlen sich vielleicht sogar eher zur Teilnahme befähigt, wenn sie von zu Hause aus teilnehmen können. In unserem Fall müssen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Webcam und ein Mikrofon benutzen, da die Beratungen zeitlich synchron erfolgen und wir dies nicht ändern wollen. In zukünftigen Experimenten wäre es interessant zu analysieren, ob die Kraft des besseren Arguments bei völlig anonymen Beratungen ohne Kamera und Stimme stärker ist.
Der Politikwissenschaftler Prof. Kimmo Grönlund ist Leiter des Samforsk Instituts für Sozialwissenschaften in Turku und des FutuDem-Projekts des ÅAU Center of Excellence
Hintergrund: Åbo samtalar - Bürgerrat in Turku