Das Wasser, aus dem wir gemacht sind

15. März 2024
Berggeist 007 / Pixelio

Der die Schweiz und Frankreich durchfließende Fluss Rhône leidet unter Verschmutzung, Wasserentnahme, Biotop-Zerstörung und Klimawandel. Ein Bürgerrat hat Vorschläge zum Schutz des wasserreichsten Stroms Frankreichs erarbeitet.

2021 stand ein Schweizer Firmenchef vor Gericht, weil er jahrelang Wasser in die Rhône geleitet hatte, das eine bis zu 3.600-mal höhere Verschmutzung aufwies als erlaubt war. Der Mann wurde der Gewässerverschmutzung für schuldig befunden und zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 2.500 Schweizer Franken (2.300 Euro) verurteilt.

Umweltrecht unwirksam“

Kritiker halten eine solche Strafe für lächerlich. Der Fall zeige die Unwirksamkeit des derzeitigen Umweltrechts und die dringende Notwendigkeit, die Gesetzes- und Rechtsnormen zu ändern, um die Rechte der Natur zu verteidigen, damit Umwelt und biologische Vielfalt erhalten und gesichert werden können.

Die Assemblée populaire du Rhône (Rhône-Volksversammlung) hatte im August 2021 ihre Beratungen aufgenommen. Ziel war die Entwicklung von Ideen für einen anderen Umgang mit dem 807 Kilometer langen Fluss, der in der Nähe von Marseille ins Mittelmeer mündet. Bis August 2023 hatten 30 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus dem französischen und schweizerischen Einzugsgebiet der Rhône über das Thema diskutiert. Am 15. März 2024 wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt.

"Entscheidungsverfahren ungeeignet"

In ihrem Bericht erklären die Bürgerrat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer, dass die derzeitigen Entscheidungsverfahren für einen Schutz der Rhône und ihrer Ökosysteme aus ihrer Sicht ungeeignet sind. Auf rechtlicher Ebene sei die aktuelle Situation im Bereich des Umweltrechts problematisch. Gerichtsurteile würden nur unzureichend umgesetzt. Die aktuellen Gesetze garantierten nicht das Recht des Flusses und seiner Nebenflüsse, zu existieren, sich zu erhalten und zu regenerieren.

Zudem existierten im Einzugsgebiet der Rhône mehrere Entscheidungswege nebeneinander. Keiner davon ermögliche den Anwohnern und Gemeinden eine Teilhabe an Entscheidungen, die ihr Gebiet betreffen. Darüber hinaus berücksichtigten die Entscheidungsverfahren die transnationale Dimension der Rhône und ihres Einzugsgebiets nicht ausreichend. Sie ermöglichten auch kein nachhaltiges Nutzungsmanagement. Sie förderten weder die Gesundheit der Rhône und ihrer Nebenflüsse, noch die ihrer Anwohner.

Entscheidungsverfahren verbessern

Verbesserte Entscheidungsverfahren sollen dazu beitragen, dass im Einzugsgebiet der Rhône die Ökosysteme, langfristige Perspektiven und die umfassende Berücksichtigung der Herausforderungen Vorrang vor Wirtschaft und kurzfristigem Denken haben. Bei Planungen soll die Biodiversität Vorrang vor der Nutzung des Flusses zu wirtschaftlichen Zwecken haben. Grundlage neuer Entscheidungsstrukturen sollen die planetaren Grenzen des Wachstums, die gegenseitige Abhängigkeit allen Lebens voneinander und die transnationale Dimension der Rhône sein.

Komitees bestehend aus Interessengruppen (Experten, lokale Behörden, Anwohner und Verbände) sollen für mit der Rhône verbundene Planungsverfahren zuständig sein. Für einen wirksamer Schutz der Rhône sei es wichtig, alle Informationen zugänglich zu machen, die für das Verständnis der Gesundheit des Flusses notwendig seien.

Rhône-Appell

Der Bürgerrat wurde wurde vom Verein „id-eau“ ins Leben gerufen, der sich in der Schweiz für den Schutz des Süßwassers einsetzt. Id-eau hatte 2020 den Rhône-Appell gestartet, eine Kampagne, mit der die Anerkennung des Flusses als juristische Person erreicht werden soll, um so die Rhône besser vor schädlichen Eingriffen schützen zu können. Der Rhône eine Rechtspersönlichkeit zu verleihen bedeute den Übergang vom Recht auf Reparatur zum Recht auf Erhaltung.

Frédéric Pitaval ist Vorsitzender von Id-eau. „Wasser steht im Mittelpunkt unserer gesellschaftlichen Probleme: Klimawandel, Massenaussterben, Umweltverschmutzung, Landwirtschaft, Gesundheit usw. Das Wasser, aus dem wir gemacht sind, findet sich in allen unseren gesellschaftlichen Problemen wieder“, erläutert der Umweltwissenschaftler und Ozeanologe.

Ein Hebel für Diskussionen“

Wasser sei außerdem ein unglaublicher Hebel für Diskussionen. „Es wird oft mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht, und es ist in der Tat sein Fehlen, das die Sterberaten erhöht.“ Während der CO2-Anteil in der Atmosphäre eher abstrakt sei, sei Wasser, das knapp werden oder schlecht riechen könne, greifbarer.

Der Bürgerrat ist für Pitaval ein Schritt auf dem Weg zu einem besseren Schutz der Rhône. „Es geht darum, über die theoretische Debatte hinauszugehen und dafür zu sorgen, dass die 'Wächter' des Flusses aus der Bevölkerung kommen, weit entfernt von dem Modell, das wir in Frankreich und der Schweiz mit den Wasserbehörden kennen, die eine Vertretung des Staates sind“, so der Umweltwissenschaftler.

Leitungsgremium und Expertenbeirat

Die Unabhängigkeit der Losversammlung zur Zukunft der Rhône wurde durch ein von Id-eau unabhängiges Leitungsgremium aus Fachleuten gesichert. Ein Expertenbeirat hattte die Auslosung der Bürgerrat-Teilnehmer vorbereitet, die Tagesordnung erstellt und sich um die Einladung von Experten und Moderatoren in das Verfahren gekümmert.

Nach Abschluss des Bürgerrates treiben der Verein id-eau und seine Kampagnenpartner die Umsetzung der Bürgerrat-Empfehlungen voran, indem sie diese an Parlamente und politisch Verantwortliche herantragen.

Mehr Informationen: Assemblée populaire du Rhône