Klima-Aufbruch in Erlangen
In Erlangen hat ein Bürgerrat zusammen mit einer Gruppe von Interessenvertretern einen klimapolitischen Fahrplan erarbeitet. Von den 41 vorgeschlagenen Maßnahmen sollen 2023 zunächst 14 vorrangig bearbeitet werden. Dies hat der Stadtrat am 27. Oktober 2022 beschlossen.
Die Stadt Erlangen hat sich zum Ziel gesetzt, das 1,5°C-Klimaziel auf dem eigenen Stadtgebiet einzuhalten. Erlangen soll vor 2030 klimaneutral werden, also nicht mehr klimaschädliche Gase in die Atmosphäre abgeben, als auf dem Stadtgebiet etwa durch Wälder aufgenommen werden. Deshalb will sich die Verwaltung zunächst auf die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung konzentrieren, die eine schnelle und hohe Reduzierung des CO2-Ausstoßes versprechen und andere Akteure innerhalb der Stadtgesellschaft zum Handeln motivieren.
Unabhängigkeit von Öl und Gas
Auch als Antwort auf die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise soll Erlangen von Öl und Gas unabhängig werden. Dafür soll die Nutzung von erneuerbaren Energien massiv ausgebaut, die energetischen Sanierungen im Gebäudesektor rasant beschleunigt und prinzipiell Energie eingespart werden. Außerdem will die Stadt Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligung stärken.
Mit dem Fahrplan Klima-Aufbruch stehe Erlangen ein wissenschaftlich erarbeiteter Maßnahmenkatalog zur Verfügung, der nicht nur den Weg in die Klimaneutralität weise, sondern auch Lösungen biete, wie Erlangen der Energiekrise begegnen könne.
Die Maßnahmen im Einzelnen
Klimaneutrale Verwaltung: Noch vor 2030 soll die Stadtverwaltung durch ein Moratorium beim Einbau neuer Öl- oder Gasheizungen, den Ausbau von Solaranlagen und klimaneutrale städtische Liegenschaften klimaneutral werden.
Allianz klimaneutrales Erlangen: Die Stadt strebt an, dass bis Ende 2023 50 Prozent der in Erlangen ansässigen Unternehmen und Betriebe der Erlanger Klima-Allianz beigetreten sind. Im Rahmen dieser Allianz hat sich etwa die Siemens AG verpflichtet, bis 2030 CO2-neutral zu sein.
Integrierte Quartierskonzepte: Im Rahmen des Masterplans Wärme 2030 ist ein Ausbau und die Dekarbonisierung der Wärmenetze und eine Schaffung menschenfreundlicher Quartiere vorgesehen.
Klimahaushalt: Um sicherzustellen, dass bei der Umsetzung der Klimaschutz-Maßnahmen das Ziel nicht aus den Augen verloren wird und bei Bedarf nachgesteuert werden kann, soll die Umsetzung überwacht und kontrolliert werden. Dafür soll das Instrument „Klimahaushalt” für die Stadtverwaltung als Pilotprojekt getestet und anschließend etwa auf Unternehmen ausgeweitet werden.
Verstetigung und Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit: Die Stadt will ihre Beratungsangebote ausweiten, eine Handwerksoffensive einleiten, eine Klimaschutzoffensive in Unternehmen starten, Förderprogramme ausweiten, Bildungsaktionen fortführen und eine Aktionsplattform Klima-Aufbruch schaffen.
Einwirkung auf Landes- und Bundesebene: Erlangen will aktiv Einfluss auf die übergeordneten Ebenen nehmen, um geeignete Rahmenbedingungen und benötigte Ressourcen für die Klimaneutralität vor 2030 zu erhalten.
Masterplan Wärme: Zentrale Maßnahmen der strategischen „Wärmeplanung” soll die Dekarbonisierung der bestehenden Wärmenetze und der Bau neuer Wärmenetze sein.
Moratorium Kesselersatz: Um die Wärmeversorgung in Erlangen bis 2030 vollständig zu dekarbonisieren, dürfen keine neuen Öl- oder Gasheizungen mehr eingebaut werden. Ordnungsrechtlich haben Kommunen hier, speziell bei Bestandsgebäuden, wenig Handlungsmöglichkeiten. Deshalb setzt die Stadt über ein entsprechendes Vorgehen in den eigenen Gebäuden hinaus im Rahmen einer Selbstverpflichtung auf die Unterstützung von Unternehmen und anderer Interessengruppen. Für Eigentümer von Wohngebäuden etwa biete sich für einen schnellen Umstieg auf eine erneuerbare Heizung ein Zusammenschluss mit Nachbarn an.
Klimaneutrale städtische Gebäude und Liegenschaften: Die Stadt will die energetische Sanierung von Gebäuden durch Informationskampagnen, Beratung und Förderprogramme beschleunigen. Es brauche etablierte Baustandards, die auf umweltfreundliche und ressourcenschonende Baumaterialien setzten. Immobilienbesitzer in Erlangen sollen in diesem Zusammenhang den Aufbau von Know-how aktiv unterstützen. Auch der Energiebedarf von Gebäuden unter Denkmalschutz soll bei gleichzeitiger Erhaltung und Aufwertung der schützenswerten Substanz deutlich gesenkt werden kann. Die Stadtverwaltung will hier durch Aufklärung und Vorbildfunktion unterstützen.
Menschenfreundliche Quartiere: Die Stadt will den Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehr durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in den Stadtvierteln attraktiver machen.
Attraktiver Nahverkehr: Um umweltschonende Mobilität zu unterstützen, will die Stadt Erlangen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen.
Für die Umsetzung der 27 anderen von Bürgerrat und Interessengruppe vorgeschlagenen Maßnahmen bestehen laut Stadtverwaltung fast keine freien Kapazitäten in den Ämtern.
Klima-Aktivisten enttäuscht
Der Entscheidung im Stadtrat am 27. Oktober 2022 waren lange und hitzige Diskussionen vorausgegangen. Außerdem protestierten Klimaaktivisten von Fridays for Future und dem Erlanger Klimacamp in der Stadtratssitzung. "Wir sind enttäuscht", sagt Johanna Theenhaus vom Erlanger Klimacamp. Der Rat aus Bürgern und Interessengruppen hatte eigentlich 41 Maßnahmen empfohlen. "Und die sind schon Minimalkonsens", betont Christian Lange von Fridays for Future Erlangen. Die Aktivisten fordern, alle Vorschläge rasch umzusetzen und mehr Mut seitens der Politik. Entsprechende Anträge von Grüner Liste, ÖDP, Klimaliste Erlangen und Freien Wählern wurden vom Stadtrat abgelehnt.
Oberbürgermeister Florian Janik erklärte, dass die Stadt Erlangen nur beschränkte finanzielle Ressourcen habe. Zudem hingen einige der vorgeschlagenen Punkte zum Beispiel an Bundesgesetzen, die erst geändert werden müssten. Ausgesucht wurden laut Janik die Maßnahmen, die schnell CO2-Einsparungen versprechen und zudem eine Antwort auf die Energiekrise bieten. Die anderen Maßnahmen würden nicht verworfen, sondern weiter konkretisiert und später angegangen.
Klima-Fahrplan von Februar bis Juli 2022 erstellt
Der Fahrplan „Klima-Aufbruch“ wurde von Februar bis Juli 2022 von Teilnehmern des Klima-Bürgerrates sowie von einer Gruppe von Interessenvertretern aus wichtigen klimaschutzrelevanten Bereichen erstellt. Dabei geholfen haben das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) und die Nachhaltigkeitsberatung Green City Experience. Mit dem Klimaschutz-Fahrplan werden Ziele und Maßnahmen für Erlangen festgelegt. Dazu wurde berechnet, wie stark der CO2-Ausstoß in Bereichen wie Industrie, Gebäude, Verkehr, Handel und Landwirtschaft in den kommenden Jahren abnehmen muss. Der Fahrplan ist Teil einer Übereinkunft, dem „Stadtvertrag Klima“, mit dem die Stadt Erlangen zu einer glaubwürdigen Selbstbindung der beteiligten Akteure aufruft.
Der Bürgerrat bestand aus 25 zufällig gelosten Erlangerinnen und Erlangern zwischen 18 und 87 Jahren. Sie sollten die unterschiedlichen Sichtweisen und Wünsche der Bevölkerung in den Prozess miteinbringen. Dafür wurden zunächst 750 Einwohner nach demographischen Kriterien ausgewählt, aus denen in einer zweiten Losrunde die endgültige Losversammlung entstand.
Interessenvertreter aus klimaschutzrelevanten Bereichen
Zur Gruppe der Interessenvertreter gehörten rund 35 Akteure aus 22 für Erlangen zentralen klimaschutzrelevanten Bereichen: Wirtschaft, Stadtverwaltung, städtische Betriebe, Landwirtschaft, Bildungseinrichtungen, Vereine, Verbände und Initiativen. So waren in diesem Gremium Vertreter des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und von Fridays for Future ebenso vertreten wie Delegierte von Bayerischem Bauernverband, DGB, Haus- und Grundbesitzerverein, IHK, Kreishandwerkerschaft, Siemens und Erlanger Stadtwerken. Von Seiten der Stadt waren Mitarbeiter der zuständigen Ämter und Referate dabei.
Am 15. Juli 2022 hatte der Bürgerrat seinen Vorschlag für einen Maßnahmenkatalog zum Klimaschutz beschlossen. Darin finden sich 41 Maßnahmen für die Bereiche Mobilität, Gebäude, Ernährung und Konsum, Energieverbrauch sowie übergreifenden Lösungen.
„Prozess sehr ermutigend“
Die Gruppe der Interessenvertreter aus 22 Institutionen aus den zentralen klimaschutzrelevanten Bereichen hatten ihre Entscheidung bis zum 15. September 2022 per Online-Befragung getroffen.
Der Fahrplan „Klima-Aufbruch“ erhielt von allen Beteiligten viel Unterstützung. „Der Prozess war durch die gemeinsame Arbeit sehr ermutigend. Bei der Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen wird es darauf ankommen, dass wir gemeinsam weiterhin an einem Strang ziehen“, erklärte so etwa Oberbürgermeister Dr. Florian Janik.
Bürgerrat-Teilnehmer „positiv beeindruckt“
Teilnehmer des Bürgerrates zeigten sich vom Ergebnis selber überrascht. „Beim Start des Bürgerrates hätte ich nicht gedacht, dass wir am Ende einen so klaren Konsens für den Klimaschutz erreichen. Das zeigt mir, dass es wirklich möglich ist, in einer diversen Gesellschaft gemeinsam den Klimaschutz voranzubringen“, sagte so etwa das Bürgerrat-Mitglied Felix Gänsicke. Auch Annina Steuer ist „positiv beeindruckt von dem Umfang der Ergebnisse des Bürgerrates und der erarbeiteten Themen“.
Um die 14 vom Stadtrat beschlossenen Maßnahmen tatsächlich schnell umzusetzen, wurden in der Stadtverwaltung 17,5 neue Stellen geschaffen. Alle 41 Bürgerrat-Empfehlungen sind Grundlage des städtischen Handelns.
Stadtvertrag Klima
Mit dem symbolischen "Stadtvertrag Klima" ruft die Stadt zudem alle Menschen in Erlangen auf, einen Beitrag zu leisten. Der Vertrag kann seit November 2022 online unterzeichnet werden. Jeder, der möchte, kann dann angeben, welche der 41 Maßnahmen er unterstützen will. Anfang 2023 ist die Allianz Klimaneutrales Erlangen entstanden, in der sich Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Wissenschaft vernetzen. Die Allianz bietet einen Raum für Konflikte, aber auch für konstruktive Lösungsansätze.