Hoch hinaus per Bürgergutachten

14. Februar 2022
A. Hert / CC BY-SA 3.0

Auf dem früheren Paketpost-Areal in München will ein Investor ein neues Viertel bauen - mit zwei Türmen, die dann die höchsten Gebäude in der Stadt wären. Obwohl der Plan kontrovers diskutiert wurde, sind die Teilnehmer von vier zufällig gelosten Planungszellen dafür. Am 11. Februar 2022 wurde ihr Bürgergutachten dazu veröffentlicht.

126 Münchnerinnen und Münchner waren der Aufforderung gefolgt, sich vier Tage lang intensiv mit der Zukunft des Gebiets rund um die Paketposthalle auseinanderzusetzen. Die 14 bis 80 Jahre alten Teilnehmer durchliefen in vier Gruppen ein Programm, das unter anderem eine Ortsbesichtigung sowie Vorträge von Fachleuten und Interessengruppen beinhaltete. Bei der anschließenden Arbeit in Kleingruppen entwickelten sie daraus Ideen und konkrete Vorschläge für die weitere Entwicklung des Areals, die präsentiert, diskutiert und bewertet wurden.

Diskussion über Hochhäuser

Mit einer derzeit vorgesehenen Höhe von ca. 155 Metern wären die auf dem Areal geplanten Hochhäuser die höchsten Gebäude Münchens. Da unklar ist, wie die Türme die Sichtbeziehungen vor Ort und das Stadtbild Münchens im Allgemeinen verändern, gibt es viele Diskussionen sowohl in der Bevölkerung als auch unter Experten über den Bau der Türme. Neben der Höhe ist auch die nachhaltige Gestaltung der Hochhäuser ein wichtiges Thema. Dazu gehören zum Beispiel der klimaschonende Bau und Betrieb sowie die Nutzung der Türme.

In den Planungszellen ist eine eingehende Auseinandersetzung mit den Hochhäusern erfolgt. Dabei haben die Bürgergutachter auch die Möglichkeit erhalten, Empfehlungen für die Höhe der Gebäude zu formulieren.

Gutes Nutzungskonzept gewünscht

Insgesamt umfasst das Bürgergutachten fast 90 Seiten. Darin steht zum Beispiel, dass die geplanten Grün- und Freiflächen noch nicht groß genug seien. Die Teilnehmenden empfehlen mehr davon, und zwar "mit einer hohen Aufenthaltsqualität". Ein reines Gewerbequartier, wie es der derzeit noch gültige Bebauungsplan ermöglichen würde, lehnen die Gutachterinnen und Gutachter ab. Für die Paketposthalle wünschen sie sich ein gutes Nutzungskonzept. Uneinig waren sich die Bürgergutachter über die äußere Gestaltung, deshalb wurde auch ein Architektur-Wettbewerb ins Gespräch gebracht.

Bzgl. der Paketposthalle will Investor Ralf Büschl dafür sorgen und dafür bezahlen, dass die denkmalgeschützte Halle saniert und zu einem öffentlichen Ort für Kultur und Sport wird, wenn er Neubauten im bisher geplanten Ausmaß genehmigt bekommt. Die Gutachterinnen und Gutachter begrüßten die Ideen, verlangen aber, "frühzeitig" ein Nutzungskonzept und vor allem auch ein Betriebskonzept zu erstellen. Ein Vorschlag im Gutachten ist, dass die Stadt "den organisatorischen Rahmen für den kulturellen Betrieb durch die Gründung eines Vereins oder einer Interessengemeinschaft setzt". Zudem sollten die Nutzungsrechte der Öffentlichkeit "im Grundbuch verlässlich und dauerhaft abgesichert werden".

"Quartier ökologisch nachhaltig entwickeln"

Die Planungszellen-Teilnehmer empfehlen auch, das Quartier "ökologisch nachhaltig zu entwickeln". Das gelte sowohl für die Neubauten als auch für die Mobilität. Werde das konsequent umgesetzt, könne das Quartier ein "Vorzeige- bzw. Leuchtturmprojekt" werden. Es solle auf jeden Fall den Platin-Standard der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) erreichen. In Sachen Mobilität wünschen sich die Gutachterinnen und Gutachter ein Quartier mit möglichst wenig Autoverkehr und dafür ein klug geplantes Nebeneinander von Fuß- und Fahrradverkehr. Das Gutachten fließt jetzt in die weiteren Planungen mit ein und wird dem Stadtrat vorgelegt. Investor Büschl kündigte an, "die wertvollen Impulse" zu übernehmen.

Die Themen, mit denen sich die Planungszellen beschäftigt haben, waren im Juli bei einem Auftakt- und Informationsabend und einem Runden Tisch gesammelt worden. Sie reichten von Bebauungsdichte, Denkmalschutz und Nachhaltigkeit des Areals und der Hochhäuser bis hin zu Nutzung der Paketposthalle und der Freiflächen. Damit diese Themen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden konnten, gab es unter anderem Vorträge der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, des Münchner Forums, der TU München sowie von städtischen Referaten und namhaften Architektur-, Landschaftsarchitektur- und Ingenieurbüros.

Teilnehmer ein Abbild der Bevölkerung

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Planungszellen wurden repräsentativ aus dem Melderegister ausgewählt. Sie mussten mindestens 14 Jahre alt sein. In Arbeitsgruppen diskutierten sie mehrere Tage lang verschiedene Themen. Das Zufallsverfahren hat dabei gewährleistet, dass alle Einwohner die gleichen Beteiligungschancen haben und ein breites Spektrum unterschiedlicher Menschen mitreden konnte. Nicolas Bach vom Nexus-Institut, das den Prozess geleitet hat, betont, dass 23 Prozent der Teilnehmenden zwischen 14 und 24 Jahre alt waren, "das sind Leute, an die wir normalerweise wirklich schwer rankommen".

Die Wünsche und Forderungen aus dem Gutachten der Planungszellen für das PaketPost-Areal fließen in die offizielle Planung der Stadt ein. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Gestaltung der nachhaltigen Mobilität auf dem Areal. 

Die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Zwischen den Gebäuden soll es auf Anregung der Gutachter großzügigere Grün- und Freiflächen geben als bisher geplant.
  • Es wird ein belastbares Konzept für den Betrieb der denkmalgeschützten Paketposthalle entwickelt. Das geschwungene Bauwerk aus den 1960er-Jahren wird saniert und soll als Freiraum sowie öffentlicher Treffpunkt genutzt werden.
  • Das neue PaketPost-Areal soll ein klimaneutrales und nachhaltiges Quartier mit  einem innovativen, autoarmen Mobilitätskonzept werden. Dieses Leitbild ist im bisherigen Masterplan zwar bereits enthalten, es soll jedoch im weiteren Planungsprozess konsequent weiterentwickelt und verbessert werden.
  • Für die Fassade der beiden Hochhäuser, die mit ihren 155 Metern Höhe von den Gutachtern aus den Reihen der Bürgerschaft grundsätzlich befürwortet werden, sollen zusätzlich zum vorliegenden Entwurf Alternativlösungen entworfen und diskutiert werden. 

Planungszellen seit den 70er Jahren

Das Beteiligungsverfahren Bürgergutachten durch Planungszellen wurde in den 1970er Jahren vom Wuppertaler Soziologieprofessor Peter C. Dienel entwickelt. Es wurde seitdem rund 80-mal in Deutschland zu verschiedenen Themen eingesetzt. Das Verfahren zeichnet sich aus durch die Zufallsauswahl der Teilnehmenden, die Aufteilung des Themas in Arbeitseinheiten, die Vermittlung wichtiger Informationen, die Diskussion in unmoderierten Kleingruppen und die Zusammenfassung der Empfehlungen in einem Bürgergutachten.

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