„Gemeinsam Lösungen finden“

26. September 2022
Christoph Schnüll copyleft Bonn im Wandel

Mit Hilfe zufällig geloster Bürgerinnen und Bürger will die Stadt Bonn bis 2035 klimaneutral werden. Steffen Krenzer hat das Verfahren des Klimaforums Bonn beobachtet. Hier sein Bericht.

Bereits im Jahr 2019 hatte der Bonner Stadtrat beschlossen, dass die Bundesstadt bis spätestens zum Jahr 2035 klimaneutral werden soll. Vorausgegangen war dem Beschluss, dass FridaysForFuture und anderen Klimagruppen das Thema Klimaschutz durch ihre Demonstrationen in politischen Diskussionen sichtbar gemacht und 2019 die Ausrufung des Klimanotstandes beantragt hatten. Dem einige Zeit später folgenden Antrag der SPD zum neuen Klimaziel hatten fast alle Fraktionen im Stadtrat zugestimmt.

Klimaneutralität lässt sich nicht verordnen

Die Mitglieder der Transition Town Initiative Bonn im Wandel e.V. hatten dieses im deutschen Vergleich sehr ehrgeizige Ziel begrüßt. Zugleich war ihnen klar: Klimaneutralität lässt sich nicht verordnen. Es braucht Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Zusammenarbeit und gutes Miteinander aller Akteure, Ideen und einen durchdachten Klimaplan.

In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik, aber auch mit Unterstützung von mittlerweile über 70 Initiativen und Organisationen, brachten sie deshalb Bonn4Future auf den Weg, einen großangelegten Prozess, in dessen Rahmen auch geloste Beteiligung eine wichtige Rolle spielt.

Vier Klimaforen

Am 10. September 2022 fand das vierte und vorerst letzte Klimaforum seinen Abschluss. Der Aktionsplan der Bürgerinnen und Bürger für ein lebenswertes und klimaneutrales Bonn wurde an Oberbürgermeisterin Katja Dörner übergeben. Genau ein Jahr vorher war der Prozess mit dem 1. Klimaforum gestartet, das sich mit Zukunftsbildern beschäftigte.

80 geloste und 50 geladene Teilnehmer aus Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft haben gemeinsam eine positive Vision für ein lebenswertes und klimaneutrales Bonn der Zukunft entwickelt. Die mit der Methode „Graphic Recording“ festgehaltenen und visuell sehr ansprechenden Zukunftsbilder dienten als Orientierung bei zwei weiteren Foren, die zeitgleich im Juni 2022 stattfanden.

Klima-Aktionsplan

In deren Zentrum standen die Fragen, wie klimaneutrales Wohnen und klimaneutrale Mobilität erreicht werden können. Im Klimaforum 4 schließlich ging es um die Erarbeitung des Klima-Aktionsplans, der eine konkrete Planung inklusive Etappenzielen und ersten wichtigen Schritten in sieben Themenfeldern enthält.

Bei den Themen handelt es sich sowohl um Bereiche mit hohem CO2-Einsparpotential, z.B. „Mobilität“, als auch solche, die für eine gesellschaftliche Transformation wichtig sind wie „Aufbruch und Kulturwandel“. Die Gestaltung des Gesamtprozesses orientierte sich an Transformationstheorien und Formaten aus der Stadtentwicklung (Backcasting): Angefangen wurde mit der Vision, von der ausgehend eine (Rückwärts-)Planung vorgenommen wurde. Unterstützt wurden die Teilnehmenden wie bei Bürgerräten üblich sowohl von Fachexpertinnen und -experten sowie von professionellen Moderatorinnen und Moderatoren.

Besonderheiten des Prozesses

Gegenüber anderen, mittlerweile zahlreich vorhandenen Beispielen für geloste, deliberative Prozesse zum Thema Klimaschutz, weist Bonn4Future einige Besonderheiten auf. Diese sind interessant, gerade auch für die Diskussion darum, wie Klima-Bürgerräte in Zukunft gestaltet werden können, um zum Klimaschutz möglichst viel beizutragen.

Geloste und geladene Teilnehmer diskutierten gemeinsam. Dies diente vor allem dazu, Erfahrungen und Perspektiven von Akteuren aus Institutionen, Initiativen und Organisationen mit einzubeziehen, aber auch dazu, den Transfer der Ergebnisse in die Zivilgesellschaft hinein und damit deren Umsetzung zu erleichtern.

Alle“ sind angesprochen

In den Klimaforen wurden nicht nur, wie üblich, Empfehlungen an den Stadtrat formuliert, stattdessen sind „alle“ angesprochen: Die Stadt Bonn, die Bürgerschaft, Unternehmen, Medienschaffende, Bund und Land. Außerdem wurden auch Projekte und Ideen entwickelt, deren Umsetzung von Bürgerinnen und Bürgern vorangetrieben werden kann. Dem liegt das Verständnis zu Grunde, dass für den Wandel zur Klimaneutralität nicht nur die Politik verantwortlich ist, sondern letztlich alle Bonnerinnen und Bonner. Erste Projektideen aus dem 2. und 3. Klimaforum wurden bereits angegangen.

Die Gestaltung des Verfahrens wurde in einem beratenden Prozess mit Fachleuten und Interessengruppen entwickelt und stammt von Bonn im Wandel e.V. Auch die Umsetzung liegt hauptverantwortlich in den Händen des Vereins. Sie erfolgt in enger Kooperation mit der Stadt, die sich vertraglich zu bestimmten Kooperationsleistungen verpflichtet hat. Dazu gehört zum Beispiel die Zufallsauswahl der Teilnehmenden und die Bereitstellung von Fachwissen durch Ämter.

Hohe Fördersumme

Die Stadt hatte für das Beteiligungsvorhaben eine bis dahin unerreichte Summe zur Verfügung gestellt, von der etwa drei Stellen für zweieinhalb Jahre finanziert werden konnten. Von der Gesamtfördersumme (719.000 Euro) werden neben den vier Klimaforen weitere Maßnahmen finanziert, beispielsweise der Aufbau einer lokalen Nachhaltigkeitsplattform.

Ohne die Unterstützung von Ehrenamtlichen und viele Überstunden bzw. unbezahlte Eigenleistung von Bonn im Wandel wäre das Projekt zwar nicht stemmbar gewesen, dennoch ist das Modell, dass die Stadt Projektstellen für ein Mitwirkungsverfahren finanziert, möglicherweise auch für andere Städte interessant.

Begeisterung fließt in Prozessorganisation ein

Der große Vorteil besteht darin, dass die Arbeit der Initiatoren zumindest teilweise finanziell gewürdigt wird und gleichzeitig die große Motivation und Begeisterung der Initiatoren in die Prozessorganisation einfließen kann - einen Effekt, den man in der Regel nicht hat, wenn die Organisation von der Verwaltung oder Dienstleistern übernommen wird.

Zum bisher guten Funktionieren des Projektes trägt maßgeblich bei, dass die Kommunalpolitik, allen voran Oberbürgermeisterin Katja Dörner, das Verfahren wertschätzt. Dabei ist das Verhältnis zwischen Bonn im Wandel e.V. und Stadt Bonn kein Auftraggeber- Auftragnehmer-Verhältnis. Zivilgesellschaft und Stadt arbeiten zusammen nach dem Konzept des Action Learning: Nach jedem Klimaforum finden Reflexionsworkshops statt, zentrale Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.

Überparteiliche Zustimmung

Dies ist auch deshalb nicht selbstverständlich, weil das Projekt bereits vor der letzten Kommunalwahl beschlossen worden war und in der Zwischenzeit eine andere Mehrheit die Ratspolitik bestimmt. Die augenscheinlich überparteiliche Zustimmung zum Projekt ist sehr begrüßenswert.

Auffällig war die rege Beteiligung von Angestellten der Verwaltung am Prozess, beispielsweise bei der Aufbereitung von Informationen. Gerade beim letzten Forum waren aber auch mehr als 40 Menschen aus der Verwaltung als Beobachter, Inputgeber oder diskutierende Teilnehmer vor Ort und konnten so den Prozess unmittelbar erleben und mitgestalten.

Wissenschaftliche Begleitung

Parallel zum Beteiligungsprogramm hat die Stadt Bonn bei einem Konsortium einen Plan in Auftrag gegeben, der den Weg zur Klimaneutralität aus wissenschaftlicher Sicht beleuchten soll. Auch wenn die Verzahnung zwischen Klimaforen und dem wissenschaftlichen Gutachten nicht optimal funktioniert hat, ist das grundsätzliche Vorgehen der wechselseitigen Ergänzung von wissenschaftlichen und in Beteiligungsprogrammen erstellen Plänen für Klimaschutzthemen sicher sinnvoll.

Bei vielen Bürgerräten stellt sich die Frage, wer nach der letzten Sitzung die Verantwortung dafür trägt, „dranzubleiben“, die Ergebnisse bekannt zu machen und umzusetzen. Formal liegt die Verantwortung bei den Adressaten. Es zeigt sich aber, dass Bürgergutachten leicht im Alltag von Politik und Verwaltung untergehen, selbst wenn grundsätzlich Interesse besteht.

Vielversprechendes Modell

Das Bonner Modell - eine direkt in die Organisation eingebundene Initiative, der Einbezug nicht-geloster Teilnehmer aus der Stadtgesellschaft und die starke Beteiligung der Verwaltung - wirken vielversprechend und lassen darauf hoffen, dass viele der Ergebnisse Beachtung und Umsetzung erfahren.

Bonn4Future ist ein Vorreiterprojekt, nicht nur für Bonn, sondern auch für andere Kommunen. Gesa Maschkowski, die das Verfahren von Bonn4Future entwickelt hat, betont: „Niemand weiß, wie wir die riesigen Veränderungen zur Klimaneutralität schaffen sollen - und deshalb sind wir hier und versuchen gemeinsam Lösungen zu finden. Wir sind nicht zu 100 Prozent perfekt und wir können scheitern. Aber wir können bereits heute anfangen, besser miteinander und mit dieser Erde umzugehen.“

Mammutaufgabe

Den Überblick über die vielen Fäden des Gesamtprozesses, beteiligte Akteure und behandelte Themen zu behalten, ist eine Mammutaufgabe, bei der es immer auch Verbesserungsmöglichkeiten gibt: So ist z.B. die öffentliche Wahrnehmung für den Prozess noch relativ gering - was auch mit geringen Ressourcen für die Öffentlichkeitsarbeit zu tun hat.

Auch wirkten Teilnehmer mit der Vielzahl an möglichen Ergebnistypen an manchen Stellen überfordert. Ebenfalls war - wie eigentlich immer bei solchen Prozessen - die Zeit zu kurz, um alles zu behandeln, was interessant gewesen wäre. Dennoch waren Durchführer und Teilnehmer äußerst zufrieden mit dem bisher Erreichten. Nun gilt es, die mutmachenden Projektideen und Empfehlungen für den Bonner Klimaschutz in die Tat umzusetzen.

Wie es weitergeht

Am 23. März 2023 hatte der Stadtrathat der Verwaltung einen umfangreichen Auftrag gegeben. Sie muss jetzt prüfen: Welche Empfehlungen aus den 37 Aktionsplänen des Klimaforums können in Maßnahmen einfließen, die es bereits im Klimaplan gibt? Und welche sind so neu und innovativ, dass dafür neue Aktivitäten gestartet werden müssen? Da diese Aufgabe sehr umfangreich ist, soll künftig eine Koordinationsstelle innerhalb der Stadtverwaltung die Prüfung und Umsetzung der Empfehlungen aus dem Bonn4Future Prozess begleiten.

Der Vorsitzende des Ausschusses für Bürgerbeteiligung, Florian Schaper (Grüne) sagte in der Ratssitzung: „Wir müssen Bonn4Future als echten Vorzeigeprozess wahrnehmen und als Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement!“ Dr. Ursula Sautter (CDU), zweite Bürgermeisterin der Stadt Bonn, stellte fest: .„Ich konnte bei mehreren Veranstaltungen von Bonn4Future dabei sein. Es war ein examplarisches Bürgerbeteiligungsverfahren, das wir als Grundlage für zukünftige ähnliche Projekte nutzen sollten“.

Parteien greifen Themen auf

Die Parteien haben in der Diskussion des Klimaplans und in ihren Änderungsanträgen schon Themen aufgegriffen, die den Bürgern im Beteiligungsverfahren Bonn4Future wichtig waren. Dazu gehören zum Beispiel:

  • der Öffentliche Nahverkehr soll günstiger werden. Es soll daher ein Klima-Tagesticket für den öffentlichen Nahverkehr geben, das für 5 Personen gültig ist und weniger als 10 Euro kostet.
  • Beschlossen wurde auch ein Förder- und Umstellungsprogramm der städtischen (verpachteten) landwirtschaftlichen und gärtnerischen Flächen auf biologische Bewirtschaftung sowie die Förderung von Solidarischer Landwirtschaft
  • Auch den Wunsch nach einer gemeinwohlorientierten Stadt und Wirtschaft haben die Politiker aufgegriffen. Sie haben einen Auftrag an die Stadtverwaltung gegeben, dass sie Aktivitäten für gemeinschaftliches Handeln und zur Unterstützung einer Gemeinwohlökonomie entwickelt.

Zum Autor: Steffen Krenzer arbeitet bei Mehr Demokratie u.a. zum Thema Bürgerräte und „Klimaschutz und Demokratie“ und konnte bei Bonn4Future als teilnehmender Experte den Prozess aus der Nähe beobachten.

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