„Eine tolle Erfahrung“
In einem Bürgerforum haben zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger aus Baden-Württemberg Ideen zur Zukunft des Nationalparks Schwarzwald entwickelt. Im März 2023 hatte sich das Forum zum letzten Mal getroffen und seine Empfehlungen an die Landesregierung beschlossen.
Der Nationalpark Schwarzwald wurde am 1. Januar 2014 gegründet und ist der erste Nationalpark in Baden-Württemberg. Der dortige Landtag hatte am 28. November 2013 für dessen Einrichtung gestimmt. Seinerzeit war die Gründung umstritten. Der 10.062 Hektar große Nationalpark liegt am Hauptkamm des Nordschwarzwalds überwiegend zwischen der Schwarzwaldhochstraße und dem Tal der Murg.
Ziel des Bürgerforums war es, gemeinsame Lösungsideen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Nationalparks auszuarbeiten, die die große Vielfalt der Meinungen widerspiegeln und möglichst viele Perspektiven berücksichtigen.
Wichtige Themen diskutiert
Fünf Mal waren die Teilnehmer im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg zusammengekommen. Sie haben unterschiedliche Sichtweisen in die Weiterentwicklung des Nationalparks Schwarzwald eingebracht. Dazu hat das Bürgerforum Themen diskutiert, die für den Nationalpark besonders wichtig sind. So ging es etwa um die Verkehrssituation rund um das Schutzgebiet und um Konflikte, die entstehen, wenn Menschen im geschützten Wald auf unterschiedliche Art und Weise unterwegs sind.
Während der Treffen stellte die Nationalparkverwaltung der Gruppe zu jedem Thema Fragen. Die Mitglieder formulierten in Kleingruppen Vorschläge, wie die einzelnen Fragen gelöst werden können. Zum Abschluss der Treffen hat das Bürgerforum abgestimmt, welche entwickelten Anregungen und Ideen für sie besonders wichtig sind.
Antworten auf Fragen
Bis zum Schluss hatten die Forumsmitglieder an den passenden Antworten auf Fragen wie diese gefeilt: Wie können attraktive Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs gesetzt werden? Wie kann noch mehr für den Prozessschutz sensibilisiert werden? Wie kann ein konstruktiver Dialog zwischen Nationalparkverwaltung und Region aussehen?
Eine Auswahl der Empfehlungen
Rücksichtnahme gegenüber der Natur: Die Besonderheiten bei der Freizeitnutzung und die Gründe für Regeln und Einschränkungen (z.B. Prozessschutz oder Forstarbeiten) im Nationalpark sollen stärker kommuniziert werden. Dazu sollen vermehrt (Schau-)Bilder, zum Beispiel auf den Infotafeln im Nationalpark, eingesetzt werden. Einschränkungen im Nationalpark sollen vermehrt online bzw. digital kommuniziert werden. Der Nationalpark soll verstärkt Medien wie zum Beispiel Fernsehen oder Radio nutzen, um darüber zu informieren, wie sich die Rücksichtnahme und Beruhigung im Nationalpark positiv auf die Natur auswirkt.
Akzeptanzsteigerung zwischen Nutzern: Der Nationalpark soll eine Kommunikationskampagne zur Steigerung des Bewusstseins im Umgang miteinander umsetzen. Mehr Ranger sollen im Nationalpark präsent sein und die Besucher:innen im Schutzgebiet mit Hinweisen zu mehr gegenseitiger Rücksichtnahme anregen. In Pilotprojekten sollen einzelne Wege nur für bestimmte Nutzergruppen ausgewiesen werden, um die verschiedenen Nutzungen zu kanalisieren und Konfliktpotenziale zu reduzieren.
Attraktive Orte schaffen: Um die Fläche des Nationalparks weiter zu beruhigen, soll die Nationalparkverwaltung attraktive Wege und Besuchsangebote schaffen. Das können zum Beispiel Aussichtspunkte sein, von denen die Tiere und Natur beobachtet werden können. Der Nationalpark soll mehr Führungen mit Rangern anbieten. Führungen, die stark nachgefragt und häufiger ausgebucht sind, sollen öfter angeboten werden. Insbesondere das Angebot für Kindergärten soll ausgebaut werden, um Kindern bereits im jungen Alter die Freude und Neugier für Natur- und Wildniserleben zu vermitteln.
ÖPNV-Nutzung: Durch attraktive Fahrpreise und neue Angebote sollen Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs geschaffen werden. Der ÖPNV soll durch den Ausbau digitaler Angebote attraktiver werden. Das bestehende ÖPNV-Angebot soll durch weitere Verbesserungen aufgewertet werden. Um den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV zu unterstützen, sollen die bereits bestehenden Angebote besser kommuniziert werden.
Lärmreduzierung: Durch mehr Geschwindigkeitskontrollen und höhere Strafen können laute Raser auf mittlere und lange Sicht abgeschreckt werden. Auf Streckenabschnitten mit besonders hoher Lärmbelastung sollen Tempolimits eingeführt werden. Es sollen aufmerksamkeitsstarke Informations- und Aufklärungskampagnen umgesetzt werden, in der gezielt verschiedene Zielgruppen auf das Thema Lärm hingewiesen und dadurch sensibilisiert werden, wie zum Beispiel die Idee „Schweigekilometer“.
Mobilitätsangebote: Neben Bussen können Alternativen wie Seil- oder Bergbahnen eingesetzt werden. Durch die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen soll das Verkehrsaufkommen verringert werden. Dazu soll das Carsharing-Angebot in der Region ausgebaut werden. Eine weitere Idee sind sogenannte „Mitfahrbänkle“. Es sollen mehr Radwege entlang der Straßen angelegt werden, die insbesondere mit eBikes genutzt werden können.
Akzeptanzsteigerung für Prozess- und Artenschutz: Zum Prozess- und Artenschutz sollen auf vielfältige Art und Weise Informationen bereitgestellt werden. Entlang der Wanderwege können Infotafeln und ergänzende QR-Codes informieren. Darüber hinaus soll der Nationalpark aktuelles Kartenmaterial mit begleitenden Informationen zum Prozess- und Artenschutz vor Ort, aber auch online in Wanderapps zur Verfügung stellen.
Die Akzeptanz für den Prozess- und Artenschutz kann durch die Durchführung von Veranstaltungen gesteigert werden, die den Menschen die Thematik näherbringen. Die sozialen Medien sollen vermehrt zur Kommunikation über den Prozess- und Artenschutz genutzt werden. Das Thema Prozess- und Artenschutz soll in der Öffentlichkeitsarbeit stärker kommuniziert werden.
Sensibilisierung für Prozess- und Artenschutz: Der Nationalpark soll Webcams installieren, damit die Tiere und Natur in der Kernzone beobachtet werden können, ohne die Flächen zu betreten. Der Nationalpark soll den Prozessschutz im Nationalpark ausweiten. Dazu sollen die Kernzonen erweitert und der Zugang zu den Kernzonen durch z.B. weniger Wege eingeschränkt werden.
Um den Prozessschutz im Nationalpark zu gewährleisten, soll sich die Zonierung an den Besucherschwerpunkten orientieren. Dazu sollen insbesondere Wegeangebote außerhalb der Kernzonen so ansprechend gestaltet sein, dass kein Anreiz besteht, die besonders geschützten Kernzonen zu betreten.
Stärkung der Identifikation & Kommunikation mit der Region: Durch mehr Offenheit und Transparenz soll ein besseres Verständnis für die Ziele und Aufgaben des Nationalparks erreicht werden. Für Anrainer sollen gezielte Anreize und Aktionsangebote für einen Besuch des Nationalparks geschaffen werden. Die Nationalparkverwaltung soll durch Kooperationen mit Schulen und Vereinen, wie zum Beispiel den Freiwilligen Feuerwehren, die Nähe zur Region aktiv suchen und aufbauen.
Um über aktuelle Themen rund um den Nationalpark informiert zu sein, sollen wichtige Inhalte und Ergebnisse aus den Sitzungen des Nationalparkrats besser und transparenter in die Region kommuniziert werden. Der Nationalpark soll durch mehr Öffentlichkeitsarbeit in der Region stärker ins Bewusstsein gerückt werden.
38 Forumsteilnehmer
Am Bürgerforum haben 38 Bürgerinnen und Bürger teilgenommen. Es bestand jeweils zur Hälfte aus Bürgerinnen und Bürgern aus ganz Baden-Württemberg und aus der Region. Deshalb gab es zwei verschiede Losverfahren:
- Die Bürger aus ganz Baden-Württemberg wurden telefonisch kontaktiert, die Kontakte per Los aus dem Telefonregister gezogen.
- Die Bürger aus der Region um den Nationalpark (Fünf-Kilometer-Umkreis) wurden postalisch angefragt. Die Ziehung erfolgte aus dem Einwohnermelderegister.
Bei der Zusammenstellung des Bürgerforums wurde das Geschlecht, das Alter und der Migrationshintergrund der Gelosten berücksichtigt. Die jeweilige Quote orientierte sich am jeweiligen Bevölkerungsanteil in Baden-Württemberg.
Außerdem bekam jede der sieben gesetzlich verankerten Nationalparkgemeinden sowie weiteren zwölf Gemeinden innerhalb eines Fünf-Kilometer-Umkreises zum Nationalpark einen festen Platz im Bürgerforum zugeteilt. Der Fünf-Kilometer-Umkreis wurde gewählt, da davon ausgegangen werden kann, dass diese Gemeinden aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zum Nationalpark von einer Flächenerweiterung direkt „betroffen“ sein könnten und davon ausgehend ein großes Interesse an einer Beteiligung zur Weiterentwicklung besteht.
„Engagement unglaublich beeindruckend“
„Für mich war es unglaublich beeindruckend, mit wie viel Engagement sich die Mitglieder des Bürgerforums in die Themen des Nationalparks eingearbeitet haben“ berichtet Luisa Gigler, die die Beteiligung zusammen mit ihrer Kollegin Marina Bauer betreut hat. „Wir haben im Bürgerforum Menschen aller Altersklassen ab 16 Jahren, mit unterschiedlichen Hintergründen und Lebenserfahrungen. Dennoch wurde in der Diskussion der gemeinsame Nenner gefunden, dem alle letztlich zustimmen konnten - das ist keine Selbstverständlichkeit und spricht für die ausgearbeiteten Empfehlungen“.
Seit Mai 2022 war das Forum mit Menschen aus ganz Baden-Württemberg und den Anrainergemeinden des Nationalparks zusammengekommen. In Kleingruppen wurden die im November 2022 vorläufig formulierten Empfehlungsvorschläge in der letzten Sitzung nochmals kritisch geprüft. Dabei wurden auch die Ergebnisse einer ergänzenden Online-Beteiligung berücksichtigt: Interessierte Bürgerinnen und Bürger hatten vom 12. Januar bis 19. Februar 2023 die Möglichkeit, Anregungen zu den Empfehlungsvorschlägen einzubringen und dem Bürgerforum so Rückmeldung zu ihren Überlegungen zu geben.
„Eine tolle Erfahrung“
„Das Format war für mich persönlich eine tolle Erfahrung und ich finde die Vorgehensweise wichtig für die Gesellschaft und für Entscheidungsprozesse“, fasste ein Mitglied des Forums zum Abschluss seine Erfahrung zusammen.
Die Verantwortlichen des Nationalparks Schwarzwald heben die Vorteile geloster Bürgerversammlungen hervor: „Wie Erfahrungen und Studien zeigen, nehmen Teilnehmende an Beteiligungsverfahren mit Zufallsauswahl eine neutralere Position ein. Es fällt ihnen leichter, ihre Position zu reflektieren und sogar zu verändern. Sie besitzen Alltagsexpertise, kennen lokale Begebenheiten, haben Erfahrungen aus erster Hand - damit vertreten sie unvoreingenommen die Meinung von Einwohnerinnen und Einwohner und nicht von Verbänden, Parteien oder Initiativen“, heißt es in einer Pressemitteilung zum Abschluss des Verfahrens.
Empfehlungen gehen an Umweltministerium
Die Mehrheit der Mitglieder hat in einer Befragung angegeben, wieder an einem Bürgerforum teilnehmen zu wollen. Gleichzeitig kam aber auch der Wunsch auf, mehr junge Menschen am Austausch zu beteiligen.
Am 21. Juli 2023 hat das Bürgerforum die Empfehlungen persönlich an Umweltministerin Thekla Walker übergeben. Auch der Nationalparkrat hat an diesem Tag seine gemeinsam mit dem Nationalparkbeirat erarbeiteten Empfehlungen übergeben. Das Umweltministerium nimmt die empfangenen Empfehlungen als Grundlage für die weiteren Überlegungen zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Nationalparks auf.
Mehr Informationen: Nationalpark Schwarzwald im Dialog