Bürgergutachten zur Corona-Krise in Thüringen

Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz

Das im Zuge der Corona-Pandemie eingerichtete, zufällig geloste Thüringer BürgerForum COVID-19 hat weitreichende Änderungen im Umgang mit der Pandemie vorgeschlagen. So zählt zu den Kernforderungen eine Vermeidung von Schulschließungen und die Verbesserung der Situation in der Pflege. Justizminister Dirk Adams hatte das Gutachten des Forums auf dessen letzter virtueller Tagung am 26. November 2021 für die Landesregierung entgegengenommen.

Mit dem Gremium aus 52 per Zufall ausgewählten Thüringer Männern und Frauen sollte das „unverfälschte Alltagswissen“ der Bürgerinnen und Bürger in der Corona-Krise für die Entscheidungen im Freistaat nutzbar gemacht werden. Insgesamt führt das Gutachten, das nach mehrfachen digitalen Treffen und Workshops entstand, zu 55 Vorschlägen.

Themenschwerpunkte

Schwerpunkte der Beratungen waren Fragen der Motivation von Lernenden und Lehrenden, der hybride Unterricht für Schülerinnen und Schüler in Quarantäne oder Lernrückstände. Zudem beschäftigte das Forum die Sorge um eine Spaltung der Gesellschaft durch die Einführung der 2G-Regel im Alltag.

Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege ist eine Verstaatlichung der Krankenhäuser für das Bürgerforum ein zentraler Punkt. Bürokratische Hürden (z.B. Datenschutz in der Patientenaufnahme) und die Fokussierung auf Profit behinderten eine gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung. Die Verfügbarkeit der Gesundheitsversorgung solle eher flächendeckend durch viele kleinere Krankenhäuser, als durch große Komplexe sichergestellt werden.

Im Gespräch bleiben“

Minister Dirk Adams dankte den Teilnehmenden für ihr Engagement und stellvertretend für das Zebralog Team, dem Geschäftsführer Matthias Trénel, für die Vorbereitung und Moderation des BürgerForums: „Der Umfang und die qualitative Belastbarkeit der Empfehlungen haben uns gezeigt, dass es richtig war, durch eine repräsentative Auswahl aus der Thüringer Bevölkerung ein realistisches Meinungsbild einzuholen. Als Migrationsminister hat es mich besonders gefreut, dass seitens des Forums gefordert wird, die Rahmenbedingungen für die Ausbildung geflüchteter Menschen in der Pflege zu verbessern, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Ihr Bürgergutachten ist uns nicht nur hier Mahnung und Verpflichtung.“

Staatssekretärin Dr. Julia Heesen dankte für die intensive Arbeit des Gremiums, das sich mit der gesamten Breite der Landes- und teilweise sogar Bundespolitik zu beschäftigten hatte: „Weil die Pandemie alle Lebensbereiche erfasst hat, musste auch das BürgerForum eine riesige Bandbreite an Themen abdecken und sich in hochspezialisierte Fachdiskurse einarbeiten. Ich denke, es ist wichtig, dass wir hierüber im Gespräch bleiben und wir in den kommenden Monaten Erreichtes, aber auch nicht Umsetzbares offen kommunizieren.“

Gespräch mit Justizminister und Staatssekretärin

In zwei Salons hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit mit Dirk Adams und Staatssekretärin Heesen über das Gutachten und aktuelle Entwicklungen zu sprechen. Dabei ging es um die Motivation von Lernenden und Lehrenden, hybriden Unterricht für Schülerinnen und Schüler in Quarantäne, Vermittlung von Medienkompetenz, Lernrückstände und fehlende Fachlehrern.

Die Teilnehmenden des Bürgerforums bewegte vor allem der unterschiedliche Stand der digitalen Ausstattung an den Schulen. Ebenso beschäftigte die Teilnehmenden die Frage, ob eine 2G-Regelung tatsächlich hilft, die vierte Corona-Welle zu brechen. Die Gefahr sei groß, dass diese Regelung die Gesellschaft weiter spalte. Alle Teilnehmer waren sich jedoch darüber einig, dass es nicht zu einer Überlastung der Intensivstationen kommen dürfe und die Krankenhäuser arbeitsfähig bleiben müssten.

Mehr Bürgerbeteiligung gefordert

Juliane Niwa traf als Sprecherin der Teilnehmer mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in Thüringen auf breite Zustimmung: „Es muss mehr Werbung gemacht werden“. Ein weiterer Teilnehmer meinte, es sei gut gewesen, dass das Forum sich aus der Mitte der Gesellschaft zusammengesetzt habe: „Es war wohltuend zu erleben, dass es mehr gibt als die lauten Ränder.“

Zum Verstehen des "kleinen Mannes" sollen neben hochrangigen Beratungsfirmen möglichst auch die (demokratisch gefundene) Meinung der „Normalbürgerinnen“ und „Normalbürger“ durch Bürgerforen in jedem Ministerium eingeholt werden. Thüringen könne in der Bürgerbeteiligung Vorreiter sein und Menschen, die das ganze Spektrum der Bevölkerung repräsentieren, in die Willensbildung einbeziehen, heißt es im Bürgergutachten.

"Eine technische Herausforderung"

Ruth Rost, mit über 70 Jahren eine der ältesten Teilnehmerinnen des BürgerForums, sagte: „Es war für mich eine technische Herausforderung, die ich dank der Unterstützung des Organisationsteams meistern konnte.“ Ein echtes Highlight sei gewesen, mit Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierung persönlich über ihre familiären Erfahrungen in der Pandemie sprechen zu können.

Das Bürgergutachten enthält insgesamt 55 Empfehlungen der Teilnehmenden in den Bereichen Pflege und Gesundheit, Digitalisierung, Jugend und Bildung, Arbeit und Kultur, Politik und Zusammenhalt sowie Breitensport. Dreizehn davon waren bereits am 14.09.2021 im Kabinett als sogenannte „Sofortmaßnahmen“ vorgestellt worden.

Stellungnahme der Landesregierung

Die Landesregierung hatte im November 2021 mit einer Stellungnahme auf die Empfehlungen des BürgerForums reagiert. Danach haben die zuständigen Ministerien die Bürgervorschläge im Rahmen der weiteren Aktivitäten zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Thüringen einbezogen.

Die Landesregierung gibt den Teilnehmern des BürgerForums Recht, dass die transparente Darstellung der erforderlichen Informationen vor allem zu Beginn der Pandemie nicht immer vollständig gelungen sei. Die Rückmeldungen des BürgerForums, aber auch Rückmeldungen von einzelnen Bürgern, Institutionen oder anderen Dritten, seien immer wieder zum Anlass genommen worden, Regelungen und ihre Darstellungen nach außen zu überdenken, zu überarbeiten, zu verbessern und transparenter zu gestalten.

Vorschläge zu digitaler Bildung aufgegriffen

Der gesellschaftliche Stellenwert des Sports einschließlich seiner herausragenden Funktion als Bindeglied innerhalb des sozialen Gesamtgefüges sei unbestritten. Die seinerzeit bei der Pandemiebekämpfung erzielten Fortschritte hätten dazu beigetragen, dass der Bedeutung des Sports wieder in deutlich größerem Umfang Rechnung getragen und der Sportbetrieb mit vergleichsweise geringen Einschränkungen hätte aufrechterhalten werden können.

Die Vorschläge zu angemessenen digitalen Unterrichtskonzepten und einer Bildungsreform habe das Thüringer Ministerium für Bildung und Jugend bereits aufgegriffen. Zum Zeitpunkt der Stellungnahme werde zum einen der Lehrplan „Informatik und Medienbildung“ erarbeitet, der im Schuljahr 2021/2022 erprobt werde, zum anderen werde der Thüringer Rahmenplan Kompetenzen für die Bildung in der digitalen Welt entwickelt.

Keine flächendeckenden Schulschließungen

Der Wunsch des BürgerForums, flächendeckende Schulschließungen künftig zu vermeiden, decke sich mit dem Wunsch der Landesregierung. Die Verordnungen des Landes konzentrierten sich zielorientiert auf Maßnahmen für die Regionen und Bereiche, in denen das Ausbruchsgeschehen tatsächlich bestehe.

Die Empfehlung, Patenschaften zwischen ehrenamtlichen Helfern und Pflegebedürftigen sowie Projekte für die Weiterbildung von Ehrenamtlichen unbürokratisch zu bezuschussen, wird vom Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie begrüßt. Die vorgeschlagenen Strukturen existierten z. B. mit Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, www.freinet-online.de und dem Thüringer Ehrenamtsportal allerdings teilweise bereits schon. An die Alzheimergesellschaft sei das Projekt „Pflegebegleiter“ der TES übergeben worden.

Rahmenbedingung für Ausbildung Geflüchteter

Begrüßt wird von der Landesregierung auch der Vorschlag, Rahmenbedingungen für die Ausbildung geflüchteter Menschen in der Pflege zu schaffen. Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz habe bereits 2020 Hinweise zur Anwendung der Vorschrift über die Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG an die Ausländerbehörden herausgegeben, um die Erteilung einer Ausbildungsduldung zu erleichtern. Davon profitierten auch Geflüchtete, die eine Ausbildung in Pflegeberufen aufnehmen möchten. Zugang für Geflüchtete zu Deutschkursen bestehe entweder über die Bundesintegrationskurse oder die landesgeförderten „Start Deutsch“ Kurse.

Den Vorschlag zur Digitalkompetenz habe die Landesregierung aufgegriffen. Im Rahmen des Landesfamilienförderplanes sei im Frühsommer 2021 eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die für die digitale Fortbildung für Familien und Senioren konkrete Umsetzungsvorschläge erarbeite.

Kulturgutscheine und Digitalisierung

Die Empfehlung zu Gutscheinen für kulturschaffende Institutionen werde teils durch die Familienkarte bereits umgesetzt. Kindergeldberechtigte Kinder, die in Thüringen leben, erhielten die Thüringer Familienkarte als Gutscheinheft im Wert von 50 Euro. Diese Gutscheine könnten von Thüringer Familien bis zum 14.11.2021 bei teilnehmenden Kultur- und Freizeiteinrichtungen eingelöst werden.

Der Vorschlag des BürgerForums, bürokratische Vorgänge durch digitalisierte Antragswege zu verkürzen, sei für Sofortmaßnahmen nicht geeignet, da es hierzu eines längeren organisatorischen und planerischen Vorlaufs bedürfe. Der Vorschlag sei aber bereits Gegenstand der Umsetzung des Onlinezugangs- und des Thüringer E-Government-Gesetzes. Bis Ende 2022 würden danach viele Anträge digitalisiert und damit online für die Bürger und Unternehmen verfügbar sein.

Mehr Informationen: