Kein Referendum über Klimaschutz in Frankreich

07. Juli 2021

In Frankreich ist am 6. Juli 2021 der Versuch gescheitert, den Klimaschutz in der Verfassung zu verankern. Senat und Nationalversammlung konnten sich nicht auf eine gemeinsame Formulierung der Verfassungsänderung einigen. Damit wird ein 2020 erarbeiteter Vorschlag des nationalen Klima-Bürgerrates nicht umgesetzt. "Das ist zutiefst bedauerlich", sagte Premierminister Jean Castex. Er versicherte, der Kampf für den Klimaschutz gehe weiter.

Im französischen Senat hat die bürgerliche Rechte die Mehrheit. Das Einvernehmen der beiden Parlamentskammern auf einen Text galt als der erste Schritt, um den Artikel 1 der Verfassung zu ändern. Zunächst war folgender Satz geplant: "Sie (die Republik) garantiert den Erhalt der Umwelt und der biologischen Vielfalt und kämpft gegen den Klimawandel."

Initiative von Präsident Macron

Präsident Emmanuel Macron wollte die Bürgerinnen und Bürger seines Landes in einem Referendum darüber entscheiden lassen, ob der Klimaschutz als Staatsziel in der Verfassung verankert wird. Dies hatte er am 14. Dezember 2020 bei einem Treffen mit Mitgliedern des Klima-Bürgerrates „Convention Citoyenne pour le Climat“ angekündigt.

Die 2019 zufällig ausgelosten Teilnehmenden des Bürgerrates hatten sich im Juni 2020 für eine entsprechende Verfassungsänderung und dafür ausgesprochen, alle Bürgerinnen und Bürger in einer Volksabstimmung darüber entscheiden zu lassen. Macron hatte den Bürgerrat nach massiven Protesten der so genannten „Gelbwesten“ gegen eine CO2-Steuer einberufen, um sich von den Losbürgern Rat für Klimaschutz-Maßnahmen zu holen. An sieben Wochenenden entwickelten die Ausgelosten 149 Empfehlungen zum Erreichen einer Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen des Landes um 40 Prozent bis 2030. Darunter die Empfehlung der Ergänzung der Verfassung um den Satz „"Die Republik garantiert den Erhalt der Artenvielfalt und der Umwelt und kämpft gegen den Klimawandel".

Ohne Filter

Präsident Macron hatte versprochen, die Empfehlungen „ohne Filter“ entweder an das Parlament weiterzuleiten oder den Bürger in einem Referendum vorzulegen. Inzwischen kritisieren Mitglieder des Bürgerrates und Umweltverbände, dass der Präsident drei Vorschläge gleich abgelehnt und bei zahlreichen weiteren Maßnahmen Abstriche vorgenommen hat. So sagte Macron bereits im Juni „Nein“ zu einer Senkung des Tempolimits von 130 auf 110 Stundenkilometer.

„Ich hatte viel mehr erwartet als ein Referendum“ kommentierte William Aucant, Bürgerrat-Teilnehmer aus Nantes, das Treffen mit Macron. „Seit Juni habe ich den Eindruck, dass wir 150 den riesigen Damm, den unser Bürgergutachten darstellt, halten und dass jeder von uns Bürgern die verschiedenen Lücken mit seinen eigenen Händen stopft, Welle um Welle. Daher auch meine Müdigkeit. Wir halten noch lange durch, aber wie lange noch?“, fragt sich der Architekt aus Nantes.

Bedauern über fehlende Volksabstimmungen

Aucant hatte sich über die Debatte zum angekündigten Referendum gefreut. „Ich verheimliche aber nicht meine Befürchtung, dass wir dadurch vom Thema abkommen“, so einer der bekanntesten Köpfe des Klima-Bürgerrates. Dies sei bereits zum Zeitpunkt der Ankündigung des Referendums zu beobachten gewesen. Er bedauert, dass der Bürgerrat im Juni 2020 die Möglichkeit ausgeschlagen hatte, mehrere Fragen als Themen für Referenden vorzuschlagen. „Dann hätten wir über Inhalte gesprochen, die Falle einer Volksabstimmung vermieden und der Klima-Bürgerrat wäre über seine Mauern hinaus erweitert worden“, meinte Aucant. Aus Angst vor Abstimmungsniederlagen hatte der Bürgerrat Referenden über wichtige klimapolitische Empfehlungen abgelehnt.

Der Abgeordnete Matthieu Orphelin hatte zum Treffen der Bürgerrat-Mitglieder mit Präsident Macron eine Bingo-Karte vorbereitet. Am Ende des Abends gab es viele Treffer für von Macron abgelehnte Bürgerrat-Empfehlungen. Keine Umsetzung entsprechend den Bürgerrat-Vorschlägen erfahren danach Maßnahmen wie die Verpflichtung von Vermietern zur Wärme-Sanierung ihrer Wohnungen.

Kritik an Parteien

Der Bürgerrat-Teilnehmer Grégoire Fraty zeigte sich über das Scheitern des Verfassungsreferendums enttäuscht, "weil der Bürgerrat seit zwei Jahren an dieser Änderung gearbeitet hat. Trotz der Vielfalt der Mitglieder des Bürgerrates ist es uns gelungen, uns auf die Bedeutung der Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung zu einigen. Uns wurde gesagt, dass es kompliziert sein würde und im vorhinein zum Scheitern verurteilt wäre. Wir wollten glauben, dass die Politik in der Lage sein würde, ideologische Unterschiede zu überwinden, über die Links-Rechts- oder Liberal-Konservativ-Spaltung hinauszugehen, zum Wohle des Klimas. Es ist ein großes Versagen: Die Politik ist nicht in der Lage, das Klimathema zu begreifen und etwas zu bewegen".

Abseits aller Kritik will die französische Regierung infolge des Klima-Bürgerrates u.a. folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Verbot der Werbung für die klimaschädlichsten Produkte
  • verpflichtende Einführung von Umweltzonen in Ballungsräumen mit mehr als 150.000 Einwohner bis zum 31. Dezember 2024
  • Verkaufsverbot für Fahrzeuge, die mehr als 95 Gramm CO2/km ausstoßen ab 1. Januar 2030
  • Verbot von Kurzstreckenflügen, bei denen das Ziel mit der Bahn in weniger als 2,5 Stunden erreichbar ist, es sei denn, es handelt sich um einen Anschlussflug. Darüber hinaus müssen bis 2024 alle Inlandsflüge zu 100 % kompensiert werden. Die Regierung behält sich das Recht vor, die Solidaritätssteuer auf Flugtickets zu erhöhen, sobald der Verkehr wieder das Niveau von 2019 erreicht hat. Schließlich können Projekte für neue Flughäfen oder Erweiterungen nicht als im öffentlichen Interesse liegend erklärt werden, wenn sie zu einem Anstieg der Emissionen im Vergleich zu 2019 führen.
  • Bei der Wiedervermietung einer sehr energieintensiven Wohnung darf die Miete im neuen Mietvertrag nicht höher sein als die zuletzt angewandte Miete. Darüber hinaus wird die Vermietung von schlecht gedämmten Wohnungen ab 2028 verboten.
  • Frankreich verpflichtet sich, die Bodenversiegelung zu reduzieren, indem es sich zum Ziel setzt, in zehn Jahren die Hälfte des in den letzten zehn Jahren beobachteten realen Flächenverbrauchs nicht zu überschreiten und das Ziel einer Netto-Null-Vversiegelung zu verfolgen.
  • Erstellung eines Emissionsminderungspfades für den Einsatz von Stickstoffdüngern in der Landwirtschaft. Wenn die Ziele bis 2024 nicht erreicht werden, kann eine Abgabe eingeführt werden, die im darauffolgenden Jahr in Kraft tritt. Ziel ist es, bis 2030 eine Reduktion von 13 % im Vergleich zu 2005 zu erreichen.
  • Ein Straftatbestand Ökozid wird geschaffen. Der Straftatbestand der Gewässerverschmutzung wird dabei um Boden- und Luftverschmutzung erweitert. Dabei geht es um Stoffe, die, wenn auch nur vorübergehend, schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben oder Schäden an Flora oder Fauna verursacht. Das Ablagern großer Mengen von Abfällen in die Natur wird ebenfalls strafbar. Darüber hinaus können Täter:innen zur Wiedergutmachung verpflichtet werden. Die Höchststrafen sind zehn Jahre Haft und eine Geldstrafe von 4,5 Millionen Euro.

Kritiker hatten bereits bei Macrons Ankündigung des Referendums vermutet, dass daraus nie etwas werden wird. Die Verfassungsreform, ein Gesetzentwurf mit einem Artikel, wurde Ende Januar dem Ministerrat vorgelegt. Im Frühjahr 2021 hatte die Nationalversammlung darüber beraten. Danach hätte der Senat ohne Änderungen der Vorlage zustimmen müssen. Der gleiche Senat, der 2018 eine ähnliche Initiative abgelehnt hatte. Wäre die Verfassungsänderung auf parlamentarischer Ebene trotzdem durchgekommen, wäre ein geeigneter Abstimmungstermin zu suchen gewesen. In Zeiten der Corona-Pandemie nicht einfach. Hinzu kommt der Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 2022, in dem das Referendum für einer Abstimmung für oder gegen Macron hätte missbraucht werden können.

Am 10. Februar 2021 hatte die Regierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung von Empfehlungen des Bürgerrates vorgelegt. Darin tauchten 25 Vorschläge der Convention Citoyenne nicht auf, 19 wurden übernommen, 75 teilweise übernommen. Am 20. Juli 2021 hatte die französische Nationalversammlung ein umfassendes Gesetzespaket zum Klimaschutz verabschiedet. Es sieht unter anderem den neuen Straftatbestand des "Ökozids", ein Verbot bestimmter Kurzstreckenflüge sowie Prämien beim Kauf von Elektrofahrrädern vor.

Kritiker: Klimaschutzziel wird nicht erreicht

Mit Ökozid sind schwere Umweltschädigungen nationalen Ausmaßes gemeint, wie etwa die Verschmutzung eines Flusses. Bei einem Verstoß drohen bis zu zehn Jahre Haft sowie Bußgelder von bis zu 4,5 Millionen Euro. Zudem will die Regierung Kurzstreckenflüge innerhalb von Frankreich verbieten, wenn eine alternative Zugverbindung von höchstens zweieinhalb Stunden existiert. Anschlussflüge sind ausgenommen. Die Mitglieder des Bürgerrates hatten dies für Strecken von vier Stunden mit dem Zug verlangt.

Kritiker monieren, dass aus dem „Verbrechen Ökozid“ nichts wird. Besonders schlimme Umweltverschmutzung werde nur als einfaches Vergehen eingestuft. Die Abgeordneten haben zwar beschlossen, dass große Geschäftszentren, die viel Fläche in Anspruch nehmen, nicht mehr gebaut werden dürfen. Allerdings gilt dies nicht, wenn sie kleiner als 10.000 Quadratmeter sind. Genau diese Geschäfte jedoch machen laut Umweltverbänden 80 Prozent der Neubauten aus. Die 150 Mitglieder des Bürgerrates hatten ein Moratorium für neue Gewerbegebiete am Stadtrand, die Ackerland gefährden, gefordert.

Mit dem Gesetzesvorhaben komme man insgesamt allenfalls auf eine CO2-Reduzierung etwa 20 Prozent bis 2030, statt auf die angestrebten 40 Prozent. Nicht einmal zehn Prozent der Vorschläge des Bürgerrates würden umgesetzt.

Konstruktive und vernünftige Vorschläge

Grégoire Fraty ist mit dem Verfahren der Losdemokratie selbst zufrieden „Dieses große demokratische Glücksspiel funktioniert. Es hat sich gezeigt, dass, wenn man 150 französische Bürger in einen Raum setzt, sie zum Diskutieren bringt und am Thema Klima arbeiten lässt, das Ergebnis nicht ist, dass sie sich gegenseitig verprügeln, sondern dass sie konstruktive und vernünftige Vorschläge machen. Der Bürger ist bereit, den politischen Prozess in die Hand zu nehmen“, bilanziert Fraty.

Weil Präsident Macron das wohl ähnlich sieht, hat er für die Zukunft der Losdemokratie bereits große Pläne. "Ich möchte weitere Bürgerräte für unser Land entwickeln und einen europäischen Bürgerrat im Rahmen der EU-Präsidentschaft Frankreichs vorschlagen", hatte der Staatschef beim Treffen mit den Mitgliedern des Klima-Bürgerrates angekündigt.

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