Ständiger Klima-Bürgerrat in Brüssel
In Brüssel hat am 3. Februar 2023 der weltweit erste ständige Klima-Bürgerrat seine Arbeit aufgenommen. Er wird die lokale Klimapolitik dauerhaft begleiten und mitbestimmen. Weltweit gab es in den vergangenen Jahren zwar bereits viele Klima-Bürgerräte, diese haben jedoch immer nur eine kurze Zeit und nicht dauerhaft getagt.
In der belgischen Region Brüssel-Hauptstadt haben nun 100 Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, Themen auf die Tagesordnung eines Klima-Bürgerrates zu setzen und Lösungen für die damit verbundenen Probleme vorzuschlagen. Die Bürger überwachen auch, was mit diesen Vorschlägen geschieht. Weil die Mitglieder des Bürgerrates immer wieder ausgetauscht werden, werden so jedes Jahr mehr und mehr Brüsseler Bürger an der Brüsseler Klimapolitik beteiligt.
Mehrere Bürgerpanels
Der Brüsseler Klima-Bürgerrat besteht aus einer Abfolge von mehreren Bürgerpanels. Jedes Gremium setzt sich aus hundert zufällig ausgelosten Bürgern zusammen, die über ein Unterthema der Brüsseler Klimapolitik beraten und Empfehlungen dazu abgeben. Die Auswahl erfolgt nach Geschlecht, Alter, Wohnort und sozialem und wirtschaftlichen Status, um ein Abbild der Brüsseler Bevölkerung zu erhalten.
Die Bürger geben aber nicht nur Empfehlungen ab, sondern verfolgen auch aktiv, was damit geschieht. Das Modell sieht eine Kommission vor, die verfolgt, wie die Politiker mit den Empfehlungen umgehen. Die Brüsseler Regierung hat sich verpflichtet, alle Empfehlungen der Bürger gründlich zu prüfen und transparent darüber zu berichten, was damit geschieht. Drei Monate nach Erhalt der Empfehlungen muss die Regierung einen ersten Bericht vorlegen. Nach einem Jahr wird eine abschließende Bewertung vorgenommen. Wenn die Regierung dann beschließt, eine Empfehlung nicht umzusetzen, muss sie diese Entscheidung ausführlich begründen.
Geloste Bürger bestimmen Themen
Die Themen der Bürgerpanels werden jedes Mal von einer Gruppe von 25 Bürgern ausgewählt, die nach dem Zufallsprinzip aus dem vorherigen Bürgerpanel gelost werden. Dabei geben die Bürger des ersten Panels den Staffelstab an die Teilnehmer des zweiten Panels weiter. Auf diese Weise wird die Kontinuität des Prozesses gewährleistet.
Um das Verfahren in Gang zu setzen, wurde das Thema des ersten Bürgerpanels ausnahmsweise von der Regierung festgelegt. Danach liegt die Entscheidung bei den Bürgern. Alle teilnehmenden Bürger erhalten von unabhängigen Fachleuten Informationen zum jeweiligen Thema. Außerdem können sich die Teilnehmer auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Interessengruppen informieren lassen.
Zusammenarbeit mit Regierung und Verwaltung
Der Brüsseler Klima-Bürgerrat wird eng mit Regierung und Verwaltung zusammenarbeiten. Dies soll die Wirkung der Empfehlungen auf die regionale Klimapolitik erhöhen.
Im November 2022 waren 10.000 zufällig geloste Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt zur Teilnahme an dieser Losversammlung eingeladen worden. Aus den hiernach erfolgten Bewerbungen der Eingeladenen wurde eine Gruppe von Menschen zusammengestellt, die nach Kriterien wie Geschlecht, Alter, Wohnort, Bildungsniveau, Berufstätigkeit usw. ein Abbild der Stadtbevölkerung ist.
Verfahren von G1000 entwickelt
Das Verfahren für den Brüsseler Klima-Bürgerrat wurde von der Organisation G1000 entwickelt, G1000 ist eine belgische Plattform für demokratische Innovation. Ben Eersels ist Projektkoordinator von G1000 mit dem Ergebnis sehr zufrieden. "Bei der Konzeption dieses Projekts haben wir ein mehrtägiges Treffen mit den Mitgliedern der Brüsseler Verwaltung und nationalen und internationalen Demokratieexperten organisiert. Gemeinsam haben wir ein Verfahren entwickelt, das den höchsten internationalen von der OECD festgelegten Standards entspricht. Während des Entwurfsprozesses fand ein ständiger Austausch mit der Brüsseler Regierung statt".
Alain Maron erläutert als Brüsseler Minister für Klimawandel und partizipative Demokratie, den Hintergrund des Projekts: "Unsere Gesellschaft wird sich in den kommenden Jahrzehnten drastisch verändern. Um möglichst viele Brüsseler an diesem Wandel zu beteiligen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken, habe ich die Experten des G1000 und unsere Verwaltung beauftragt, ein neues demokratisches Instrument zu entwickeln. Diese ständige Klima-Bürgerrat ist das Ergebnis."
„Beispiel für die ganze Welt“
"Mit diesem ständigen Bürgerrat gibt Brüssel ein Beispiel für Regierungen in der ganzen Welt“, sagt Jean-Pascal van Ypersele, Kandidat für den Vorsitz des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel (IPCC) und Professor für Umweltwissenschaften an der Universität UCLouvain. Ein gerechter Wandel sei nur möglich, wenn auch die Bürger in die Klimapolitik einbezogen würden.
"Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was die Bürger für notwendig halten, und dem, was die Politiker tatsächlich tun. Bürgerräte sind ein sehr gutes Instrument, um diese Kluft zu verringern“, sagt.Jan Rotmans, Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam.
Klimawandel erfordert demokratischen Wandel
Frühere Experimente mit Klima-Bürgerräten seien nur einmalige Projekte gewesen. Daher sei die Wirkung begrenzt geblieben. Der Klimawandel erfordere jedoch einen echten demokratischen Wandel.
„Brüssel ist eine Stadt mit über 1,2 Millionen Einwohnern, 180 Nationalitäten und 100 gesprochenen Sprachen. Wenn so etwas in Brüssel möglich ist, kann es überall möglich sein - insbesondere bei einem Thema wie dem Klimawandel, der alle betrifft“, sagt Claudia Chwalisz, Gründerin und Geschäftsführerin von DemocracyNext und ehemalige Leiterin für innovative Bürgerbeteiligung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). DemocracyNext ruft Städte auf der ganzen Welt dazu auf, vom Brüsseler Beispiel zu lernen und ihm zu folgen.
Ständiger Klima-Bürgerrat in Mailand
Parallel zur Einrichtung des Klima-Bürgerrates in Brüssel wurde auch im italienischen Mailand eine ständige Losversammlung zur Klimapolitik einberufen. Sie begleitet die Umsetzung und Bewertung der von der Stadtverwaltung beschlossenen Maßnahmen im Bereich Klima und Nachhaltigkeit. Die Stadtverwaltung hat sich verpflichtet, rechtzeitig auf die Vorschläge des Bürgerrates zu reagieren.
Der ständige Klima-Bürgerrat setzt sich aus 90 Bürgerinnen und Bürgern zusammen, die in regelmäßigen Abständen wechseln. Die Ausgelosten nehmen für einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Monaten an der Arbeit des Bürgerrates teil. Zuvor haben sie eine kurze Schulung zu den zur Diskussion stehenden Themen erhalten.
Empfehlungen zu Luft- und Klimaplan
Der Bürgerrat tritt alle zwei Monate zu einer Plenarsitzung zusammen. Bei jeder professionell moderierten Sitzung stehen Experten den Teilnehmern der Losversammlung zur Seite.
Zwischen den Plenarsitzungen diskutieren und formulieren die Teilnehmer in Kleingruppen Empfehlungen und Vorschläge zur konkreten Umsetzung der verschiedenen im Luft- und Klimaplan der Stadt vorgesehenen Maßnahmen.