Wahlkreisrat: Losbürger beraten Abgeordnete

Die Initiative "Es geht LOS" startet 2021 das Projekt "Wahlkreisrat". In Bundestagswahlkreisen zufällig geloste Bürger:innen befassen sich mit aktuellen politischen Fragen und entwickeln gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Wahlkreis-Abgeordneten. In der ersten Runde sind die Abgeordneten Canan Bayram (Grüne), Thomas Heilmann (CDU) und Helge Lindh (SPD) mit dabei. Wir haben Juliane Baruck nach Einzelheiten des Projekts gefragt.

Frage: "Es geht LOS" startet das Projekt Wahlkreisrat. Worum geht es dabei?

Juliane Baruck: In unserem politischen System steht eine Person zwischen den Einwohner:innen und dem Bundestag: die oder der direkt gewählte Abgeordnete des jeweiligen Wahlkreises. Diese Beziehung zu stärken und somit politische Prozesse enger an die Perspektiven der Einwohnenden zurückzubinden, ist Ziel der Wahlkreisräte.

Kurz gesagt, geht es darum, Einwohner:innen vermehrt in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Es gibt viele bundespolitische Themen, bei denen das Wissen der Einwohner:innen mit ihren spezifischen Erfahrungen und Blickwinkeln wertvollen Input liefert und deshalb notwendiger Bestandteil von politischen Entscheidungen sein muss. Wir wollen durch wissenschaftlich informierte Diskussionen mit den Einwohner:innen gemeinsam Vorschläge erarbeiten, die Abgeordneten eine fundierte Entscheidungshilfe bieten.

Frage: Was passiert in einem Wahlkreisrat?

Baruck: In einem Wahlkreisrat diskutieren ca. 50 geloste Einwohner:innen eines Wahlkreises ein relevantes bundespolitisches Thema. Dabei geben verschiedene Expert:innen wissenschaftlichen Input für die Diskussion. Durch eine professionelle Moderation werden die verschiedenen Perspektiven der Teilnehmenden in einen Austausch gebracht und in wechselnden Kleingruppen Vorschläge für konkrete Maßnahmen erarbeitet. Am Ende des Tages werden die Ergebnisse der oder dem Abgeordneten übergeben.

Frage: Wie werden die Teilnehmenden ausgelost?

Baruck: Die Teilnehmenden werden per Zufall aus dem Melderegister ausgelost. Der Zufall ist für uns entscheidend, denn er schafft es, die Vielfalt, die in unserer Gesellschaft besteht, an einen Tisch zu bringen.

Frage: "Es geht LOS" nutzt für die Wahlkreisräte auch das aufsuchende Losverfahren. Was ist das und was bringt das?

Baruck: Wir nutzen für die Wahlkreisräte das sogenannte aufsuchende Losverfahren. Dabei schöpfen wir im Team aus positiven Erfahrungen mit diesem Verfahren aus anderen Beteiligungsformaten. Das Besondere am aufsuchenden Losverfahren ist, dass wir versuchen, die Menschen, die per Zufall ausgelost wurden, zur Teilnahme zu bewegen. Das sieht dann folgendermaßen aus: Wir losen etwa 50 Leute aus dem Wahlkreis aus. Wenn diese sich nicht zurückmelden, gehen wir zu ihnen an die Tür. Wir fragen, was mögliche Bedenken sind, welche Fragen offen sind und was wir tun können, um die Teilnahme zu ermöglichen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir die Kosten für die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen übernehmen.

Das ist natürlich ein relativ aufwendiger Prozess. Für uns ist das aber die einzige Möglichkeit, genau die Menschen einzubeziehen, die nicht von sich aus an solchen Beteiligungsprozessen teilnehmen würden. Ob die Vielfalt der Gesellschaft wirklich repräsentiert wird, steht und fällt mit diesem Abholen - an der Haustür. Und es bringt etwas! Für unseren ersten Wahlkreisrat haben wir über die Hälfte der Teilnehmenden durch das persönliche Gespräch zur Teilnahme bewogen.

Frage: Was passiert mit den Ergebnissen der Wahlkreisräte?

Baruck: Bei dem Wahlkreisrat werden Vorschläge erarbeitet, die an bestimmten bundespolitischen Stellschrauben ansetzen. Wir prüfen, welche Entscheidungen in Bezug auf ein bestimmtes Thema im Bundestag anstehen und welche verschiedenen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu bereits bestehen. Das bietet die Grundlage für die Diskussion mit den Teilnehmenden, an deren Ende Vorschläge für konkrete Maßnahmen stehen. Diese Ergebnisse werden den Abgeordneten übergeben und der Öffentlichkeit präsentiert. Die Abgeordneten geben nach ein bis zwei Monaten dann noch einmal Feedback an die Einwohner:innen, was mit den Ergebnissen passiert.

Frage: Und wer steckt hinter "Es geht LOS"?

Baruck: Es geht LOS ist eine Initiative für geloste Bürger:innenbeteiligung vom gemeinnützigen Verein Demokratie Innovation und der Stiftung Bürgerpolitik. Wir vereinen Menschen mit gebündelten Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen, wie geloster Bürger:innenbeteiligung auf Kommunal- und Landesebene, Politikberatung, Moderation, Politik- und Sozialwissenschaft sowie Design und Kommunikation.

Mehr Informationen: Der Wahlkreisrat