13 Empfehlungen für nachhaltige Ernährung

21. Oktober 2023
Marco Verch / Flickr

Die Bundesregierung soll pflanzenbasierte Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung fördern, Lebensmittel umweltfreundlich besteuern und subventionieren und ein Umwelt- und Gesundheitslabel für Lebensmittel einführen. Das sind die drei wichtigsten Empfehlungen eines zufällig gelosten Bürgerdialogs. Am 20. Oktober 2023 wurden insgesamt 13 konkrete Maßnahmenvorschläge an Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt übergeben.

Weitere Empfehlungen lauten

  • Integration von nachhaltiger Ernährung als Querschnittsthema in Lehrpläne von Schulen und Kindergärten
  • Personalschulungen für die Umstellung der Essensversorgung auf Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in öffentlichen Einrichtungen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten
  • Einführung eines „Nachhaltigkeits-TÜV“-Zertifikats
  • Kennzeichnungspflicht zur Haltungsform von Tieren im Lebensmitteleinzelhandel einführen
  • Durchführung einer Informationskampagne zur Förderung pflanzenbasierter Ernährung
  • Verpflichtende Darstellung des Umwelt- und Gesundheitslabels in der Werbung
  • Abschaffung von Subventionen für Massentierhaltung und Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft
  • Förderung des regionalen Anbaus und Bezugs pflanzlicher Produkte
  • Expertenrat zu nachhaltiger Ernährung einrichten
  • Förderung von Bürgerinitiativen für nachhaltige Ernährung

Wie wir uns ernähren, beeinflusst nicht nur das eigene Wohlbefinden und die eigene Gesundheit. Auch Herkunft und Herstellung von Lebensmitteln wirken sich vielfältig auf Umwelt und Gesellschaft aus. Das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt hatten deshalb zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland zu einem Bürgerdialog hierzu eingeladen. Dessen Teilnehmer haben zusammen mit Fachleuten Vorschläge für Maßnahmen zu einer „Ernährungswende“ erarbeitet.

Vom 13. bis 15. Mai 2022 hatte in Kassel eine Bürgerwerkstatt mit 56 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern aus dem gesamten Bundesgebiet stattgefunden. Durch Diskussionen in Kleingruppen und den Austausch mit Expertinnen und Experten wurden verschiedene Maßnahmen für eine Ernährungswende entwickelt. Um ihre Ideen zu sortieren, zu bündeln und weiter auszuarbeiten, kamen die teilnehmenden Bürger im Oktober 2022 in einem Online Workshop erneut zusammen. Nach intensiver Diskussion in Kleingruppen wurden 34 konkrete Ideen für Empfehlungen erarbeitet.

Schwerpunkt auf pflanzlichen Produkten

Der thematische Schwerpunkt lag dabei auf Maßnahmen, die den Verzehr pflanzlicher Produkte steigern können. „Die Gestaltung von stärker pflanzenbasierten Ernährungsweisen ist ein entscheidender Hebel für eine nachhaltige Ernährungswende“, heißt es dazu auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums.

In der zweiten Jahreshälfte 2022 hatten 15 Teilnehmer der Bürgerwerkstatt die von ihnen entwickelten Maßnahmen in ihrem eigenen Alltagsleben erprobt. Hierbei sollte geklärt werden, wie sich die Maßnahmen im Alltag umsetzen lassen und wie es den durchführenden Personen dabei geht. Zu den drei erprobten Maßnahmen gehörten:

  1. eine Ernährung im Alltag nach den Empfehlungen der sogenannten „Planetary Health Diet“
  2. ein Bonussystem beim Einkauf umweltfreundlicher Lebensmittel
  3. Preisänderungen beim Einkauf mittels Steuern (für relativ umweltschädliche Lebensmittel) und Zuschüssen (für relativ umweltfreundliche Lebensmittel)

Ernährungsstrategie der Bundesregierung

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatte am 17. Januar 2024 die Ernährungsstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Kernziel der Strategie ist es, eine gesündere, ressourcenschonende und pflanzenbetonte Ernährung zu fördern - auch unter Berücksichtigung aktueller Probleme wie etwa steigender Lebensmittelkosten. Verwundbare Gruppen wie Kinder, Menschen mit niedrigem Einkommen sowie Menschen mit Einwanderungsgeschichte sollen dabei besonders berücksichtigt werden. Die Ernährungsstrategie soll ernährungspolitische Ziele und Leitlinien vorgeben, Handlungsfelder definieren und konkrete, möglichst messbare Maßnahmen beinhalten.

Die Strategie wurde in mehreren Phasen erarbeitet, wobei im ersten Schritt im Dezember 2022 ein Eckpunktepapier mit den wichtigsten Leitplanken erstellt wurde.

Vertreter aus verschiedenen Bereichen eingeladen

Für die Entwicklung der Strategie wurden Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bereichen wie Verbraucherschutz, Ernährungswirtschaft, Umweltschutz, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Zeitraum von Juni 2022 bis Februar 2023 in verschiedenen Formaten vom BMEL einbezogen.

Vom 27. bis 29. Januar 2023 fand in Berlin ein vom BMEL organisiertes Bürgerforum statt, zu dem die Teilnehmer des Bürgerdialogs für nachhaltige Ernährung eingeladen worden waren. Die 28 Teilnehmer konnten zu jedem der 13 Themenbereiche des Eckpunktepapiers der Ernährungsstrategie ihre Einschätzungen abgeben und mögliche Maßnahmenideen für die jeweiligen Bereiche vorschlagen. Die Ergebnisse der Veranstaltung wurden an das BMEL übergeben.

Workshop im März 2023

Im März 2023 war eine kleinere Gruppe von 23 Teilnehmern des Bürgerdialogs nach Erfurt eingeladen worden, um die erarbeiteten und erprobten Empfehlungen weiterzuentwickeln und zu vollenden. Fachleute aus Wissenschaft und Praxis unterstützten sie bei der Konkretisierung der Maßnahmen. In diesem dreitägigen Workshop diskutierten die Bürger miteinander, tauschten sich untereinander über ihre gesammelten Erfahrungen aus und einigten sich auf letzte Details. Anschließend stimmten sie gemeinsam über die finalen 13 Empfehlungen ab.

Nach Abschluss des Bürgerdialogs folgte in einem weiteren Schritt eine Überprüfungsphase im Sommer 2023. 14 Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Praxis hatten die Empfehlungen der Dialog-Teilnehmer geprüft. Sie bewerteten die Maßnahmen insbesondere in Bezug auf deren potenzielle Wirksamkeit, Akzeptanz und finanzielle Folgen für die Bevölkerung. Die Fachleute gaben zudem Empfehlungen für aus ihrer Sicht sinnvolle Umsetzungsarten oder Modifizierungen.

"Wirksame Möglichkeit für klimafreundliche und gesundheitsfördernde Ernährung"

Insgesamt stellen die im Vorhaben entwickelten Empfehlungen laut Einschätzung der Experten eine wirksame Möglichkeit dar, um eine klimafreundliche und gesundheitsfördernde Ernährung zu erreichen. Dies würde vor allem dann gelten, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen klug miteinander kombiniert und ausreichend kommuniziert werden.

Zudem wurden im Mai 2023 im Rahmen einer sogenannten aufsuchenden Beteiligung zusätzlich Bürgerinnen und Bürger aus Bevölkerungsgruppen zu einem Workshop eingeladen, die durch klassische Beteiligungsformate nicht immer zu erreichen sind. Dabei wurde ihnen der bisherige Bürgerratschlag vorgestellt. In einem Familienzentrum in Berlin konnten 16 Teilnehmerinnen und Teilnehme zu drei selbst ausgewählten Empfehlungen diskutieren und ihre Meinung äußern.

Veränderungen ansprechen, die alle Menschen einschließen

Ziel war es herauszuarbeiten, inwiefern die Lebensrealitäten mit den Empfehlungen vereinbar sind, wo es Hürden oder Anknüpfungspunkte gibt, die Benachteiligung verstärken oder minimieren. Die Ziele haben sich in den Motivationen der Teilnehmenden wiedergefunden, die besonders darin lagen, eine Veränderung anzusprechen, die alle Menschen einschließt, um eine gerechte nachhaltige Ernährung zu schaffen.

Die finalen Empfehlungen des Bürgerdialogs wurden auf einer Abschlusskonferenz am 20. Oktober 2023 vorgestellt. Bürgerinnen und Bürger aus dem Prozess sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kamen während dieser Veranstaltung ins Gespräch. Zum Abschluss wurde der Bürgerratschlag von den Bürgerinnen und Bürgern an das Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt übergeben.

"Es braucht eine nachhaltigere und faire Landwirtschaft"

"Viele von uns haben durch das im Bürgerdialog gesammelte Wissen und die positiven Erfahrungen ihr eigenes Verhalten geändert und sogar ihr persönliches Umfeld für nachhaltige Ernährung begeistern können", schreiben die Bürgerdialog-Teilnehmerinnen Kathrin Dahlhausen und Nina van Empel stellvertretend für alle Teilnehmer im Vorwort zu ihren Empfehlungen. Für eine Wende brauche es jedoch nicht nur eine Veränderung der Essgewohnheiten, sondern auch eine nachhaltigere und faire Landwirtschaft. "Unsere Vision ist eine gesunde, nachhaltige Ernährung für alle Menschen. Wir wünschen uns, dass sich dieser Planet auch weiterhin als lebenswerte Heimat für Menschen, Tiere und Pflanzen erweist."

Die Handlungseinladung, die die Bürgerdialog-Teilnehmer vom Bundesumweltministerium angenommen haben, möchten die Teilnehmer in Form der vorgelegten Empfehlungen als Handlungsauftrag an die Politik zurückgeben. "Wir alle werden uns daran messen lassen müssen, ob wir in dem schmalen Zeitfenster, das uns noch bleibt, gehandelt haben. Werden Sie als unsere Vertreter nun die Früchte unseres Bürgerdialogs pflücken und mutige Entscheidungen treffen, um für eine nachhaltige und gesunde Ernährung zu sorgen? Lassen Sie uns jetzt gemeinsam handeln!"

Wegbereiter in Richtung nachhaltiger Ernährung

Der Bürgerdialog macht deutlich, "dass informierte Bürger durchaus bereit sind, weitreichende politische Maßnahmen für eine stärker pflanzenbetonte Ernährung mitzutragen", heißt es in der Broschüre zum Verfahren. Derzeit sähen sie sich von hohen Preisen für pflanzliche (Alternativ )Produkte, mangelnden Informationen und ungünstigen Ernährungsumgebungen daran gehindert, öfter zu pflanzlichen Alternativen zu greifen.

Die Ergebnisse dieses Bürgerdialogs könnten ein Wegbereiter in Richtung einer nachhaltigen Ernährung werden - "jedoch nur, wenn sie auch genutzt werden: Es liegt nun in der Hand sämtlicher Entscheidungsträger des Ernährungssystems, die Forderungen der Bürger in zukünftige Strategien zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung einzubeziehen".

Das Losverfahren

Für den Bürgerdialog waren in einem ersten Schritt Gemeinden ausgewählt und für die zufällige Ziehung von Bürgerinnen und Bürgern aus ihren Melderegistern kontaktiert worden. Grundlage hierfür war das Gemeindeverzeichnis des Statistischen Bundesamtes, in dem jede politisch selbstständige Gemeinde Deutschlands, kategorisiert nach verschiedenen Merkmalen, aufgelistet ist.

Bei der Auswahl der Gemeinden wurden alle Bundesländer sowie verschiedene Gemeindegrößen entsprechend des Anteils ihrer Einwohner an der Gesamtbevölkerung berücksichtigt.

10.640 Bürger eingeladen

Mittels eines Zufallsgenerators hatte sich eine Liste von 214 Gemeinden ergeben, von denen sich 74 bereit erklärt hatten, eine Stichprobe aus ihrem Melderegister zur Verfügung zu stellen. Im Schnitt hatte jedes Einwohnermeldeamt 135 Datensätze übermittelt. Insgesamt wurden so die Adressdaten von 10.640 Bürgerinnen und Bürgen eingereicht.

Im zweiten Schritt erhielten die ausgelosten Bürger ein Einladungsschreiben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Von den angeschriebenen Personen bekundeten 256 ihr Interesse an einer Teilnahme am Bürgerdialog (Rückmeldequote: 2,4 Prozent). Aus diesen 256 Personen wurde eine für die deutsche Bevölkerung repräsentative Gruppe von 80 Personen ausgewählt und zum Bürgerdialog eingeladen. Hiervon nahmen insgesamt 56 Personen am ersten Bürgerdialog teil. Der Dialog fiel in die unmittelbare Nach-Corona-Zeit und es gab viele krankheitsbedingte, kurzfristige Absagen.

Annähernd repräsentatives Abbild

Der Evaluationsbericht der Forschungsstelle Demokratische Innovationen der Goethe-Universität Frankfurt/Main stellt fest, dass beim Bürgerdialog ein annähernd soziodemographisch repräsentatives Abbild der Bevölkerung bezüglich Alter, Gemeindegröße und Bundesland erreicht wurde. Es seien auch Personengruppen erreicht worden, die bei Beteiligungsverfahren oft seltener teilnähmen. So seien im Vergleich zu anderen Beteiligungsverfahren überdurchschnittlich viele Frauen sowie Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und niedrigem Haushaltseinkommen vertreten gewesen. Dennoch seien Personen mit einem akademischen Bildungsabschluss im Vergleich zur deutschen Bevölkerung etwas überrepräsentiert gewesen und die Teilnehmer hatten ein überdurchschnittliches Maß an politischem Interesse gehabt.

Kritisiert wird, dass nur wenige Perspektiven von Expertinnen und Experten eingebracht worden seien, die Eingriffen in das Ernährungssystem grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.

Durchführung durch Beteiligungs- und Ernährungsexperten

Mit der Durchführung des Beteiligungsverfahrens zur nachhaltigen Ernährung war das Beteiligungsunternehmen ifok zusammen mit NAHhaft e.V., dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Goethe-Universität Frankfurt am Main beauftragt.

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