"Die Bezirksbürgermeisterin war begeistert"

30. August 2019

In Berlin ist im Sommer 2019 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg der erste von mehreren Bürgerräten gestartet. Initiiert wurde dieses Demokratie-Projekt von der Gruppe „NUR-MUT!“. Wir haben Mitinitiatorin Uta Claus dazu einige Fragen gestellt.

Frau Claus, Sie haben in Berlin den Bürgerrat Friedenau angestoßen. Was war der Antrieb dazu ? 

Uta Claus: Der ursprüngliche Antrieb liegt etwa drei Jahre zurück. Es war die Zeit als es mehr und mehr Signale dafür gab, dass unsere so sicher geglaubte Demokratie im Grunde sehr verletzlich ist. Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, hasserfüllte Demonstrationen gegen Politiker, Diffamierung der Medien als „Lügenpresse“. Ich wurde mir immer sicherer: ich muss etwas tun, um unsere Demokratie zu stärken.

Ich sprach mit Freunden, die ähnlich dachten, und gründete mit ihnen die Gruppe „NUR-MUT!“. Wir recherchierten nach einer Form der Partizipation, die nicht nur Bürgerbeteiligung bietet sondern auch das politisches Interesse und das soziale Miteinander fördert. Das Modell „Bürgerräte“ macht genau das !

Worum geht es inhaltlich beim Bürgerrat Friedenau, und wie ist der Ablauf ?

Claus: Friedenau ist ein Teilbezirk des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Beim ersten Friedenauer Bürger*innenrat geht es erstmal darum, herauszufinden, was den Bürgerinnen und Bürgern hier auf den Nägeln brennt. Deswegen haben wir - gemeinsam mit der Bürgermeisterin - die erste Fragestellung sehr breit angelegt: „Wie können wir Friedenau lebenswert erhalten und die Zukunft gemeinsam gestalten ?“.

Nach dem Zufallsprinzip wurden aus dem Melderegister Bürger*innen ausgelost und zum Bürgerrat eingeladen. Es meldeten sich erstaunlich viele der Angeschriebenen zurück, sodass statt einer zwei Gruppen mit je 14 Personen gebildet wurden. Diese wurden von zwei - nach einer speziellen Methode geschulten - Moderatoren geleitet, die jedem Teilnehmer den Raum gaben, seine Ideen und Anregungen zu entwickeln und einzubringen.

Diese durchaus viel Geduld erfordernde Methode ( Dynamic Facilitation ) wurde von den Teilnehmern sehr geschätzt. Sie verlangt von allen, jedem zuzuhören und alle Meinung gelten zu lassen. So erarbeiteten die beiden Gruppen an zwei Tagen zehn für sie wichtige Themenbereiche und dazu viele konkrete Vorschläge, was verbessert werden sollte. Eine Woche später stellten die Bürger*innenräte in einem „Bürgercafé“ ihre Ergebnisse sowohl den Politikern als auch der Presse und den Friedenauer Bürger*innen vor. Letztere konnten die Vorschläge noch durch eigene Ideen ergänzen.

Die Bezirksbürgermeisterin war von der Resonanz der Friedenauer und von der positiven Atmosphäre im Saal begeistert. Sie nahm alle Empfehlungen und Ideen mit. Im Bezirksamt brüten nun Politik und Verwaltung darüber, welche der Vorschläge als erste umgesetzt werden.

Der Bürgerrat wird von Stadt und Bezirk unterstützt. Wie kam es dazu ?

Claus: Wir hatten uns vor einem knappen Jahr an verschiedene Parteien im Bezirk und an die Bezirksbürgermeisterin gewendet, um ihnen das Modell „Bürgerräte“ vorzustellen, und waren auf großes Interesse gestoßen. Unterstützt wurden wir dabei von Daniel Oppold vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, der seine Masterarbeit über die Bürgerräte in Vorarlberg geschrieben hatte. Nach mehreren gemeinsamen Sitzungen war die Bezirksbürgermeisterin von diesem Modell der Bürgerbeteiligung überzeugt und wollte es realisieren. Noch Ende letzten Jahres erreichte sie dann, dass es über Mittel der Senatskanzlei als Teil eines Pilotprojekts finanziert wird. So wird es also in allen sieben Teilbezirken von Tempelhof-Schöneberg zunächst je einen Bürger*innenrat geben.

Der „Bürgerrat Demokratie“ wird sich mit Ideen für die Zukunft der Demokratie in Deutschland befassen. Wie bewerten Sie diese Initiative ? 

Claus: Ihre Initiative gefällt mir sehr gut, schon weil auf diese Weise relativ viele Bürgerinnen und Bürger angesprochen und dazu angeregt werden, sich Gedanken zum Thema „Demokratie“ - und zu ihrer eigene Mitwirkung dabei - zu machen. Ich bin sehr gespannt, welche Vorschläge erarbeitet werden.

Außer diesen konkreten Ergebnissen ist die Berichterstattung in den Medien enorm wichtig. Sie dürfte bei einem solch großen, bundesweiten Projekt entsprechend prominent ausfallen. Dadurch können dann noch weitere Diskussionen über das Thema angestoßen werden.

Trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht auf diesem „Großereignis“ ausruhen und sagen: „Toll, es geht mit der Demokratie und der Bürgerbeteiligung voran ! Es wird ja etwas gemacht!“. Den eigentlich fruchtbaren Boden für „mehr Demokratie“ müssen nach meiner Meinung die Bürgerinnen und Bürger selber schaffen, indem sie aktiv werden. Wir haben inzwischen von erfreulich vielen Bewohnerninnen und Bewohnern anderer Berliner Bezirke Interesse am Projekt “Bürgerräte Friedenau“ erfahren und viele Nachfragen dazu, wie sie es in ihrem Bezirk nachahmen können.

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