Demokratie-Bürgerrat in Österreich

19. September 2021

Wie würden die Regeln, die Verfassung, die Gesetze in Österreich aussehen, wenn einfache Menschen sie selbst entwerfen und abstimmen könnten? Das wollten der Verein Respekt.net und die beiden Initiativen IG Demokratie und Mehr Demokratie mit einem Bürgerrat herausfinden.

Am 18. und 19. September 2021 haben zehn per Zufall ausgewählte Menschen aus der Alpenrepublik in einem so genannten „Zukunftsrat“ über die Zukunft der dortigen Demokratie beraten. Damit wollten die Initiatoren auf die Notwendigkeit verschiedener Möglichkeiten wirksamer Bürgerbeteiligung aufmerksam und die Machbarkeit von Losverfahren sichtbar machen.

"Einbeziehung der Vielen"

Tenor des Bürgerrates: „Es braucht einen gesellschaftlichen Nachdenkprozess unter Einbeziehung der Vielen, für die brennenden Herausforderungen, die nicht von Einzelnen bewältig oder entschieden werden können!“ Besonders die Themen Gesundheit, Zukunft der Pflege, Klimapolitik, Gerechtigkeit brauchen gemäß den Mitgliedern des Bürgerrates diesen breiten gesellschaftlichen Nachdenkprozess: „Die Politik – auch wenn sie ausgeschimpft wird soll es trotzdem machen - strengste Auflagen zum Emissionsschutz müssen her! Die Industrie kann es - und wenn sie muss, wird sie es auch machen. Und das kurbelt indirekt wieder unsere Wirtschaft an, denn die Technik, die jetzt erfunden wird, rechnet sich ja als Wirtschaftsfaktor“, regt Bürgerrat Johann Landsmann im Hinblick auf mutigere Klimapolitik an.

Aber auch in strittigeren Fragen hat sich die Methode als tragfähig erwiesen - was den Bürgerrat für alle Teilnehmenden besonders ausgezeichnet hat, erklärte Bürgerrätin Edith Lettner: „Völlig konträre Standpunkte müssen nicht zu Spaltung führen, sondern können zu mehr Verständnis und zu neuen Lösungsansätzen führen, zu einem weiteren breiteren Weg und zu gelebter, lebendiger Demokratie, in der man sich gesehen, gehört und wahrgenommen fühlt und das Gefühl bekommt, man hat Teil. Das Fazit ist: Es sollte wirklich in der DNA jedes Landes verankert werden!“

Modell für zukünftige Bürgerräte

Die Teilnehmenden des Bürgerrates gleich ein Modell entworfen, wie Bürgerräte tatsächlich im Gesetzgebungsprozess institutionalisiert werden können: „Wir wollen und können uns am politischen Prozess und an den Lösungen beteiligen. Zuerst muss eine Plattform geschaffen werden, wo die Bevölkerung ihre Themen sammeln kann. Die brennendsten Fragen sollen in unabhängigen Bürgerräten mit zugezogenen Expertinnen und Experten aufgearbeitet werden. Das Ergebnis dieser Bürgerräte sollte dann in Zielen und Bürgerwillen enden, um daraus mit Fachleuten tragfähige Lösungen für Probleme vorschlagen zu können.“

In Österreich ist das Format Bürgerrat vor allem aus Vorarlberg bekannt. Der beratende Prozess, in dem Bürgerinnen und Bürger in einem moderierten Austausch von Argumenten an einem gemeinsam Verständnis einer Problemlage und seinen Lösungen arbeiten, eignet sich besonders bei emotional besetzten Themen, die auch mit komplexen Wertekonflikten einhergehen, so die Bürgerrat-Initiatoren.

Auslotung einer gemeinsamen Zukunft

In der Demokratie gehe es um die Auslotung einer gemeinsamen Zukunft vor dem Hintergrund verschiedener Interessenlagen. Es bedürfe einer konstruktiven Austragung von Konflikten. Im Bürgerrat Demokratie geht es deshalb daher darum, einen Raum für das Aushandeln langfristiger Perspektiven zum “wie” eines solchen politischen Prozesses zu schaffen. Dabei sollen aus der kreativen Zusammenarbeit der Teilnehmenden nicht nur konkrete Vorschläge für die Zukunft der Demokratie, sondern auch Fragestellungen für weiterführende Prozesse nach dem Bürgerrat entstehen. Es geht den Bürgerrat-Machern um die Einleitung eines nachhaltigen und dauerhaften Dialoges.

Die ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates hatten im Vorfeld der Versammlung kompakt ausgearbeitete Informationen zum Thema Beteiligung und Demokratie erhalten. Dazu gehörten etwa Informationen zu unterschiedlichen internationalen Wahlrechtsmodellen und Beteiligungsformaten, oder zum Thema Transparenz und Parlamentarismus. Diese Informationen standen auch öffentlich zur Debatte, um einen neutralen Zugang zu gewährleisten.

Methode "Dynamic Facilitation"

Die Teilnehmenden-Gruppe aus zehn Personen wurde mit der Methode “Dynamic Facilitation” moderiert. „Sowohl das schlanke Format, als auch die besondere Moderations-Methode ermöglichen einen Prozess, der Tiefliegendes offenlegt“, schreiben die Organisatoren des Bürgerrates auf ihrer Internetseite. Am Ende des Wochenendes wurden die Ergebnisse zusammengefasst und für eine erste Veröffentlichung vorbereitet.

Am 19. September wurden die Bürgerrat-Ergebnisse im Rahmen eines “Bürger-Cafes” unter Einbindung der Öffentlichkeit, den Medien, sowie auch Vertretern von politischen Institutionen, präsentiert und diskutiert. Ziel war die zeitnahe öffentliche Beratung über den Prozess und die direkten Ergebnisse.

Weiteres Verfahren

Nach der Analyse des Prozesses und der Ergebnisse sollen aus den Auseinandersetzungen innerhalb der partizipativen Kampagne und des Bürgerrates zwei grundlegende Dokumente für die weiterführende Arbeit entstehen. Mit der Übergabe eines Grundsatzpapiers an die Politik wollten die Bürgerrat-Initiatoren eine Einladung für die institutionalisierte Fortsetzung von Beteiligungsverfahren formulieren. Die Veröffentlichung eines Bürger-Manifests sollte zudem weitere Perspektiven für mehr Demokratie aus der Zivilgesellschaft - auch jenseits bestehender Institutionen - eröffnen.

Mehr Informationen: Zukunftsrat Demokratie