EU-Zukunftskonferenz für Bürgerräte

Mike Dotta / Shutterstock

Die Konferenz zur Zukunft Europas spricht sich für die regelmäßige Durchführung zufällig geloster Bürgerräte auf EU-Ebene aus. Eine entsprechende Empfehlung wurde am 30. April 2022 in Straßburg beschlossen.

Seit Mai 2021 durften europäische Bürgerinnen und Bürger mit Experten und Abgeordneten auf Konferenzen, in Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen darüber diskutieren, was sie von der EU politisch erwarten und welche Reformen sie für notwendig halten. Das Ergebnis dieser Konferenz zur Zukunft Europas ist ein 53-seitiges Papier mit Empfehlungen dazu, wie die EU demokratischer, bürgernäher und effizienter gestaltet werden könnte.

Rechtsverbindlicher Rahmen für Bürgerräte

Auf Anregung eines zufällig gelosten Bürgerforums sollen Bürgerräte in der EU einen rechtsverbindlichen Rahmen bekommen. Die Teilnehmer sollen nach dem Zufallsprinzip ausgelost werden. Die Bürgerräte sollen so zusammengesetzt werden, dass sie nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildung und Herkunft ein Abbild der EU-Bevölkerung sind. Durch Expertinnen und Experten sollen die Bürgerrat-Teilnehmer die für ihre Beratungen notwendigen Informationen erhalten. Wenn die daraus entstehenden Empfehlungen von den EU-Institutionen nicht übernommen, ist dies zu begründen.

Die 200 Mitglieder dieses Bürgerforums zu europäischer Demokratie, Werten und Rechten, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit hatten sich wie die Teilnehmer drei weiterer Bürgerforen insgesamt dreimal getroffen, um u.a. über eine Verbesserung der Bürgerbeteiligung in der Europäischen Union zu beraten.

Wirksamkeit von Beteiligung verbessern

Neben der regelmäßigen Einberufung von Bürgerräten legt die EU-Zukunftskonferenz besonders Wert auf die generelle Beteiligung und vorherige Einbindung der Bürger und der Zivilgesellschaft in politische Entscheidungen. "In Ausnahmefällen" soll das Europaparlament sogar die Möglichkeit haben, EU-weite Volksabstimmungen zu Fragen einzuleiten, "die für alle europäischen Bürger besonders wichtig sind".

Die Bürgerbeteiligung betreffend wird vorgeschlagen, die Wirksamkeit bestehender Beteiligungsverfahren zu verbessern und neue Verfahren auf Grundlage der bestehenden Verfahren zu entwickeln. Alle Informationen über Beteiligungsmöglichkeiten in der EU sollen auf einer offiziellen Internetseite mit verschiedenen Funktionen zusammengefasst werden. Für die Bürger soll nachvollziehbar sein, welche Maßnahmen und Gesetzesinitiativen aus Beteiligungsverfahren hervorgehen.

Alle Menschen in Beteiligung einschließen

Ergänzend empfiehlt die Zukunftskonferenz, Beteiligungsverfahren so zu gestalten, dass sie alle Menschen mit einschließen und ein breites Publikum erreichen. Die Auswirkungen der erörterten politischen Maßnahmen u.a. auf Frauen und schutzbedürftige Menschen soll analysiert werden.

Die Konferenz zur Zukunft der EU regt auch an, den Online- und Offline-Austausch zwischen den EU-Institutionen und ihren Bürgern durch verschiedene Instrumente zu verstärken. Damit soll sichergestellt werden, dass die Bürger am politischen Entscheidungsprozess der EU teilnehmen können, um ihre Meinung zu äußern und Rückmeldungen zu erhalten. Desweiteren soll für EU-Beamte eine Charta zur Bürgerbeteiligung erstellt werden.

Digitale Beteiligungsplattform

Für eine Online-Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger empfehlen die Konferenz-Teilnehmer die Bereitstellung einer benutzerfreundlichen digitalen Plattform, auf der Interessierte Ideen austauschen, Fragen an die Vertreter der EU-Institutionen stellen und ihre Meinung zu wichtigen EU-Angelegenheiten und Gesetzesvorschlägen äußern können. Die Plattform soll auch Online-Abstimmungen ermöglichen.

Die EU soll auch die organisierte Zivilgesellschaft und die regionalen und lokalen Behörden sowie bestehender Strukturen wie den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) und den Ausschusses der Regionen (AdR) in den Prozess der Bürgerbeteiligung einbinden. Außerdem soll ein System lokaler EU-Ratsmitglieder geschaffen werden, um die Distanz zwischen den EU-Institutionen und den europäischen Bürgern zu verringern.

Augenmerk auf junge Generation

Die Zivilgesellschaft soll in die EU-Politik nicht nur eingebunden, sondern auch finanziell und durch weitere Maßnahmen unterstützt werden. Dies soll insbesondere für die junge Generation gelten. Die Zukunftskonferenz regt an, lokalen Behörden bei der Einrichtung lokaler Jugendräte zu helfen. Im Rahmen der Gesetzgebung soll ein „Jugend-Check“ eingeführt werden, der sowohl eine Folgenabschätzung als auch ein Beratungsverfahren mit Vertretern junger Menschen umfasst, wenn davon ausgegangen wird, dass die Gesetzgebung Auswirkungen auf junge Menschen hat. Kinder zwischen 10 bis 16 Jahren sollen durch Bürgerforen in Schulen beteiligt werden.

Weiter wird empfohlen, die Zusammenarbeit zwischen EU-Gesetzgebern und Organisationen der Zivilgesellschaft zu stärken. Alle Elemente der Bürgerbeteiligung sollen in einer EU-Charta für die Beteiligung der Bürger an EU-Angelegenheiten zusammengefasst werden.

Vorschläge aus Bürgerforen, Veranstaltungen und Online-Plattform

Die Vorschläge stützen sich auf Empfehlungen der europäischen Bürgerforen, der nationalen Bürgerforen und Veranstaltungen sowie auf Ideen, die über die Online-Plattform der Konferenz eingereicht wurden.

Sie wurden in neun Arbeitsgruppen formuliert, an denen Bürger, Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Rates, der Kommission und der nationalen Parlamente sowie Vertreter anderer EU-Einrichtungen, regionaler und lokaler Behörden, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft teilnahmen.

"Die Bürger werden beteiligt werden"

Mit der Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern sind große Hoffnungen verbunden: "Ich glaube, das könnte viel Einfluss haben. Wir haben uns gesagt, dass sich die Demokratie in Europa danach verändern wird. Wir werden nicht nur eine repräsentative Demokratie haben, die Bürger werden beteiligt werden", so Aoife O'Leary, eine junge Teilnehmerin aus Irland.

Als Vizepräsidentin der EU-Kommission erklärte Dubravka Šuica: "Ich bin sicher, dass die Institutionen das ernst nehmen und die Bürger werden uns zur Rechenschaft ziehen, wenn wir nichts umsetzen. Deswegen bin ich sicher, dass wir die Sache weiterverfolgen werden. Wir werden unser Bestes tun, um den Ideen, Hoffnungen und Sorgen der Bürger Rechnung zu tragen."

"Bürgerbeteiligung wird in moderner Demokratie gebraucht"

Der belgische Liberale Guy Verhofstadt bedankte sich als Co-Vorsitzender der Konferenz bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Bürgerforen. Sie hätten gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger einiger seien als das Europaparlament mit seinen Einteilungen in Links und Rechts oder Nord und Süd.

Seine Schlussfolgerung aus der EU-Zukunftskonferenz: "Ich glaube nicht mehr an eine Demokratie, in der nur alle fünf Jahre eine Wahl stattfindet, ohne dass die Bürger beteiligt werden. Wir müssen aus diesem System ein dauerhaftes System in unserer Demokratie in Europa und in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union machen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen repräsentativer Demokratie und partizipativer Demokratie. Sie haben bewiesen, dass beides zusammenpasst und in einer modernen Demokratie zusammen gebraucht wird."

Wie es weitergeht

Die gesammelten Vorschläge wurden am 9. Mai 2022 der Führung der europäischen Institutionen übergeben - dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für den Rat, Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.

Wie es dann konkret weitergehen soll, ist offen. Das Europaparlament will darauf drängen, dass die Reformen möglichst rasch beschlossen werden. Damit die Vorschläge nicht einfach ad acta gelegt werden, haben Konservative, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Linke eine Resolution eingebracht, die am 4. Mai 2022 im Parlament eine breite Mehrheit fand. Sie sieht die Einberufung einer Reformversammlung vor, die die nötigen Änderungen diskutiert und vorbereitet. Stimmen die EU-Kommission und der Europäische Rat diesem Antrag ebenfalls zu, steht die Tür für eine Reform der Europäischen Union offen.

Mehr Informationen: