Bürgerrat zu Stadt der kurzen Wege
In Lissabon hat sich im März und April 2023 ein Bürgerrat mit dem Thema „15-Minuten-Stadt“ beschäftigt. 50 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger haben dazu Vorschläge formuliert. Bürgermeister Carlos Moedas will damit "auf die Bürger hören".
Die 15-Minuten-Stadt ist ein vom französisch-kolumbianischen Urbanistik-Professor Carlos Moreno entwickeltes Konzept, demzufolge die Einwohner einer Stadt Schulen, Krankenhäuser, Geschäfte, Grünflächen, Freizeit und Kultur in unmittelbarer Nähe haben sollen. Um dies zu erreichen, sollen all diese Einrichtungen und auch der eigene Arbeitsplatz zu Fuß oder mit dem Fahrrad in 15 Minuten zu erreichen sein.
Mehr Lebensqualität
Mit diesem Konzept soll die Nutzung des Autos und anderer umweltschädlicher Verkehrsmittel bekämpft und die Luftqualität verbessert werden. Aber auch die lokale Wirtschaft sowie Dienstleister sollen davon profitieren. Dies soll mehr Lebensqualität für alle bringen.
Moreno beschreibt in seinem Konzept Orte, die seiner Meinung nach effektiver genutzt werden: Schulhöfe, die nach Schulschluss als Parks dienen, oder Kinos, die tagsüber Cafés sind. Die Digitalisierung könne eingesetzt werden , um von zuhause aus oder in Co-Working-Spaces zu arbeiten und so den Arbeitsweg zu verkürzen oder gar zu vermeiden.
„Eine Stadt, in der Menschen leben wollen“
Städte müssten eine wichtige Rolle in der Bekämpfung des Klimawandels spielen, da sich in ihnen "umweltschädliche Aktivitäten und CO2-intensive Lebensstile" konzentrierten. Hinzu komme eine wirtschaftliche Ungleichheit in Städten, die zu sozialer Ausgrenzung führe."Es geht darum, eine Stadt zu erschaffen, in der die Menschen leben wollen", so Moreno.
Während des Bürgerrates wurden die Teilnehmer in fünf Themengruppen eingeteilt: Freizeit, Mobilität, Handel und Dienstleistungen, Gesundheit und Bildung. Dort diskutierten Sie unter professioneller Moderation mit Verwaltungsmitarbeitern und entwickelten gemeinsam Empfehlungen.
Empfehlungen zu fünf Themenbereichen
Zur Stärkung des Freizeitwertes der Stadtviertel sollen so aufgegebener Einrichtungen wie etwa Musikpavillons, Läden, Gefängnisse und Militärgebäude für Gemeinschaftsveranstaltungen wieder genutzt werden. In allen kommunalen Freizeit- und Kultureinrichtungen soll es freien Eintritt geben. Für zentrale staatliche Einrichtungen wünschen sich die Bürgerrat-Teilnehmer ein Angebot an Dauerkarten. Ein "Gartenwächter" soll für die Überwachung und die Einhaltung der Regeln in den Grünanlagen verantwortlich sein.
Im Bereich Verkehr schlagen die Bürgerrat-Mitglieder vor, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern und insbesondere nachts mehr Fahrten anzubieten. Außerdem sollen die öffentlichen Verkehrsmittel mit anderen Verkehrsmitteln wie dem Fahrrad verknüpft werden. Busse und Bahnen sollen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität besser zugänglich werden. Die Nutzung und das Parken von Fahrrädern und Motorrollern soll besser überwacht und eine Pflichtversicherung für die Nutzung dieser Fahrzeuge eingeführt werden.
Bedarfsvorhersage für Handel und Dienstleistungen
Beim Thema Handel und Dienstleistungen lautet ein Vorschlag, die bestehenden Handels- und Dienstleistungsangebote in der Stadt auf einer Karte zu erfassen und anhand einer Umfrage unter den Bürgern eine Bedarfsvorhersage zu erstellen. Auf Basis dieser Umfrage soll ein Plan zur Förderung der Eröffnung von Geschäften und Dienstleistungsangeboten entwickelt werden. Leerstehenden oder verlassene städtischen Immobilien sollen Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben zu erschwinglichen Preisen angeboten werden.
Zur Förderung der Gesundheit der Einwohner soll es eine Sensibilisierungskampagne für Stadthygiene (Tierkot, Müll, Abfälle in der Nähe von Biotopen usw.) geben. Die Gesundheitszentren sollen saniert und deren Beschilderung verbessert werden. Parkplätze in deren Nähe sollen nicht mehr gebührenpflichtig sein und der Zugang mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbessert werden. Die psychische Gesundheit soll etwa durch Beratungen, Selbsthilfegruppen, besondere Unterstützung für Mütter/Väter, künstlerische Projekte und Sexualerziehung gefördert werden.
Mehr Wohnraum für Lehrer und Studenten
Die Bildungssituation soll u.a. durch die Schaffung von mehr Wohnraum für Lehrer und Universitätsstudenten verbessert werden, indem leerstehende Gebäuden und Gemeindeeigentum in der Nähe von Schulen und Universitäten hierfür genutzt wird. Menschen, die Unterkünfte für Lehrer und Studenten anbieten, sollen Steuervorteile genießen. Außerdem soll die Stadt ein Netz von Orten (Bibliotheken, Pfarrgemeinden etc.)aufbauen, in denen Treffen zum Wissensaustausch (Musik, Tanz, Literatur, Kochen...) auf interkulturelle und generationenübergreifende Weise gefördert werden. Der Kulturpass, der bisher für alle Menschen bis 23 und über 65 angeboten wird, soll allen Einwohnern angeboten werden.
Für Bürgermeister Carlos Moedas ist der Bürgerrat "wie eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Demokratie". "Vor mehr als 2400 Jahren haben die Griechen es schon so gemacht: Sie haben eine Bürgerversammlung ausgelost, die in der Stadt die Entscheidungen getroffen hat", so das Stadtoberhaupt. Die Menschen wüssten besser als die Politiker, was sie wollten und was sie in ihrer Stadt brauchten.
Wissen der Menschen aktivieren
Bürgerbeteiligung ist die erste Säule eines städtischen Plans, der darauf abzielt, "alternative Mechanismen der demokratischen Beteiligung zu schaffen, die in der Lage sind, das Wissen der Menschen zu aktivieren".
Anders als beim ersten Bürgerrat zum Thema Klimaschutz im Jahr 2022 gab es bei dieser Losversammlung keine Experten, die die Teilnehmer informiert hätten. Die Bürger selbst sollten mit ihrem Alltagswissen die Experten sein. Ihre Fragen konnten die Bürgerrat-Mitglieder direkt an Mitarbeiter der Stadtverwaltung richten.
20.000 Einladungen verschickt
Inhaltlich ging es um Themen wie Mobilität und Barrierefreiheit, Sicherheit, öffentlichem Raum, Grünflächen, Kultur, Bildung, Handel, Gesundheit und Sport. Während es am ersten Tag um eine Analyse der Situation ging, stand am 1. April die Entwicklung von Problemlösungen an.
Zur Zusammenstellung des Bürgerrates hatte die Stadt 20.000 Einladungen an zufällig geloste Einwohner der portugiesischen Hauptstadt geschickt. Aus den eingegangenen Bewerbungen wurde eine Versammlung zusammengestellt, die in Bezug auf Geschlecht, Alter, Nationalität, Stadtteil, Beruf und Bildung ein Abbild der Bevölkerung war. Teilnehmen konnten alle Menschen, die zum Zeitpunkt des Bürgerrates in Lissabon gelebt, studiert oder gearbeitet haben und mindestens 16 Jahre alt waren.
Teilnehmer begleiten Umsetzung von Empfehlungen
Die Umsetzung der Bürgerrat-Empfehlungen läuft etwas anders als bei anderen Losversammlungen. Die Teilnehmer haben aus ihrer Mitte eine Gruppe von "Botschaftern" gewählt, die von der Stadt zur Zusammenarbeit eingeladen werden, um sich bei der Umsetzung der Vorschläge der Ausgelosten einzubringen.
Bereits im Mai 2022 hatte die Stadt einen Bürgerrat zum Thema Klimaschutz einberufen. Bürgermeister Moedas zieht eine positive Bilanz dieses ersten Verfahrens und der damit erreichten Ergebnisse. „Aber wir wollen natürlich noch mehr, von mal zu mal besser werden. Wir stehen erst am Anfang des Weges", so Moedas.
Mehr Informationen: Bürgerrat „15-Minuten-Stadt“