Mehr Bürgerbeteiligung in der Forschung

20. Mai 2022
Bundesministerium für Bildung und Forschung

In einem Bürgerrat haben 55 zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger Leitsätze und Handlungsempfehlungen zur Bürgerbeteiligung in der Forschungspolitik erarbeitet. Das Bürgergutachten der Losversammlung wurde am 19. Mai 2022 an Roland Philippi, Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesministerium für Forschung und Bildung, übergeben.

In insgesamt sieben Sitzungen hatten die Bürgerinnen und Bürger 25 Handlungsempfehlungen sowie fünf übergeordnete Leitsätze erarbeitet. Zu den Leitsätzen gehört die Aussage, dass Bürgerbeteiligungsverfahren für einen breiten Teilnehmenden-Kreis offen sein sollen, ungeachtet der individuellen Lebenssituation.

„Beteiligung ist Ausdruck gelebter Demokratie“

„Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger in der Forschung und Forschungspolitik ist ein Ausdruck gelebter Demokratie“, stellt der Bürgerrat fest. Sie solle demokratische Strukturen ergänzen und nicht umgehen. Beteiligung ziele auf einen besseren Einblick der Bürger in die Forschung ab. „Der Prozess ist unbürokratisch und einfach zu gestalten“, fordert der Bürgerrat.

Zu den Handlungsempfehlungen des Bürgerrates gehört der Vorschlag, eine beratende zentrale Stelle einzurichten, die ein Netzwerk und eine Plattform für Bürgerbeteiligungsvorhaben in Wissenschaft und Forschung aufbaut und fördert. Auch empfehlen die Teilnehmer, ein Gremium aus Politik, Wissenschaft und Bürgern zu bilden, um bedarfsorientiert die Agenda im Bereich der angewandten Forschung festzulegen. Ziel soll eine stärkere mitwirkende Rolle der Bürger im Bereich der Förderung angewandter Forschung sein.

Qualitätsmerkmale für Bürgerbeteiligung

Für die Bewilligung von Fördermitteln für Forschungsprojekte mit Bürgerbeteiligung sind in einem Leitfaden Parameter festzulegen, die Qualitätsmerkmale für eine Bürgerbeteiligung definieren, wie z. B. ein partizipativer Forschungsansatz und Kriterien für die Auswahl der Bürger, fordert der Bürgerrat. Die Bürger sollen bereits bei der Erstellung des Leitfadens einbezogen werden.

In geeigneten Bereichen der angewandten Forschung sollen Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer Betroffenheit und/oder ihres Erfahrungswissens im Interesse der Allgemeinheit bei Förderverfahren für Forschungsprojekte einbezogen werden. Planstellen für Beteiligungsbeauftragte an großen Forschungsinstitutionen sollen gefördert und Beteiligung in Forschung und Forschungspolitik im ländlichen Raum stärker verankert werden.

Leitlinien für Bürgerbeteiligung

Die Bürgerrat-Teilnehmer wünschen sich auch die Entwicklung und Veröffentlichung von Leitlinien für Bürgerbeteiligung in der Forschung. Diese sollen es Forschern erleichtern, in allen Phasen des Forschungsprozesses die Qualität der Bürgerbeteiligung zu stärken und zu sichern. Es sollen Methoden entwickelt werden, wie Beteiligung stattfinden kann und Forscher ihre Forschungsergebnisse bürgernah kommunizieren können. Diese Methoden sollen Teil der Ausbildung von Forschern sein, damit diese für Bürgerbeteiligung und deren Vorteile in der Forschung sensibilisiert werden.

Weitere Empfehlungen im Handlungsfeld Unterstützung drehen sich um Anreize zur Beteiligung für Bürger und Forscher, Öffentlichkeitsarbeit und die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel zur Umsetzung dieser Maßnahmen.

„Feste Verankerung von Beteiligung“

Bereits zu Beginn von Beteiligungsprozessen sollen nach dem Willen des Bürgerrates gemeinsame Ziele und Kriterien diskutiert und festgelegt werden, woran im Einzelnen eine erfolgreiche Beteiligung gemessen werden kann.

Grundsätzlich heißt es: „Wir empfehlen die feste Verankerung von Beteiligung in Forschung, Forschungspolitik und Gesellschaft. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sollen in politische und wissenschaftliche Prozesse eingebunden werden. Die Bürger sollen als Alltagsexperten angehört und ernst genommen werden. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung müssen transparent in geeigneten Formaten (z. B. Fachtagungen) und Institutionen (in Ausschüssen, Parlamenten, entsprechenden Gremien und Räten) diskutiert werden.“

Die in Beteiligungsprozessen erarbeiteten Daten sollen öffentlich zugänglich sein. Forschungsergebnisse sollten möglichst weitestgehend kostenlos und zusätzlich in allgemein verständlicher Sprache verfügbar sein und öffentlich weiterverwertet werden können.

Grundsatzpapier zur Bürgerbeteiligung

Mit dem Bürgerrat will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sein Grundsatzpapier zur Bürgerbeteiligung weiterentwickeln. Die im Bürgergutachten niedergeschriebenen Empfehlungen sollen in die Politik einfließen.

Im Bürgerrat Forschung hatten 55 Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit, ihre Ideen einzubringen, sich von Expertinnen und Experten beraten zu lassen und intensiv zu diskutieren, um Partizipation im Bereich Forschung künftig noch weiter zu stärken. Ziel des Bürgerrates Forschung war es nach Angaben des Ministeriums, künftige Beteiligungsprozesse für und mit Bürgerinnen und Bürgern noch attraktiver und bürgerfreundlicher zu gestalten.

„Prozess sehr beeindruckend“

Das Fazit der Teilnehmer war positiv. „Ich fand den gesamten Prozess sehr beeindruckend. Die Organisation und Moderation waren wirklich toll. Was mir sehr gefallen hat, war die Vielfältigkeit aller Teilnehmenden. Ich fand es interessant, dass wir so häufig zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind“, sagte ein ausgelostes Bürgerrat-Mitglied. „Es ist ein Privileg, an Beteiligungsformaten teilnehmen zu können, aber das sollte nicht so sein“, stellte ein anderes Bürgerrat-Mitglied fest.

Beeindruckt zeigte sich auch Lucas Sostaric als jüngster Bürgerrat-Teilnehmer: „Ich weiß noch, wo ich zu Anfang, ich meine ganz zu Anfang, den Anruf bekam, ob ich an einer Bürgerbeteiligung teilnehmen möchte. Eine Grundskepsis besaß ich definitiv, ich war aber auch sehr gespannt und erfreut über das Angebot. Es hat sich dann herausgestellt, dass dieses Angebot meine Sichtweise auf ,Beteiligung‘ nachhaltig ändern sollte. Wenn ich also beantworten müsste, wie ich den Bürgerrat Forschung erlebt habe, dann, dass ich ihn mit lebhaften Diskussionen und Vorträgen erleben durfte.“

Grünbuch Partizipation als Ausgangspunkt

Inhaltlicher Ausgangspunkt des Bürgerrates Forschung war das Grünbuch Partizipation, welches einen Arbeitsstand zum Thema darstellt. Dieses bündelt Herausforderungen zur Ausschöpfung des vollen Potenzials von Bürgerbeteiligung im Bereich Forschung sowie erste Vorschläge zur Überwindung dieser Herausforderungen. Auf Basis dieser Diskussionsgrundlage soll eine Partizipationsstrategie als Weißbuch mit konkreten Handlungsempfehlungen erarbeitet werden.

„Dabei geht es nicht nur um einen vermehrten Einsatz von partizipativen Formaten, sondern auch um die Verbesserung der Qualität von Partizipation sowie die Förderung einer Beteiligungskultur“, erklärt das Ministerium. Der Bürgerrat Forschung sei ein Kernstück der Bürgerkonsultation im Weißbuch-Prozess und habe damit einen wesentlichen Einfluss auf die Partizipationsstrategie des BMBF.

Anhand von Handlungsbereichen wurde in den Sitzungen des Bürgerrates Forschung u.a. diskutiert,

  • wie Partizipation in der Forschung und Forschungspolitik verankert werden kann,
  • wie Rechte und konkrete Einflussmöglichkeiten ausgestaltet werden können und
  • welche unterstützenden Maßnahmen getroffen werden sollten, um Beteiligung zu fördern.

Ablauf des Bürgerrates

Der Bürgerrat Forschung kam von November 2021 bis März 2022 zu sieben Sitzungen zusammen. In den ersten beiden Einführungssitzungen befassten sich die Bürgerinnen und Bürger mit dem Thema Forschung sowie verschiedenen Anwendungsbeispielen von Bürgerbeteiligung in der Forschungspolitik und in der Forschung. In den Sitzungen 3 bis 5 widmete sich der Bürgerrat jeweils einem der drei Handlungsfelder, welche im Grünbuch-Prozess zusammen mit Partizipationsexpertinnen und -experten identifiziert wurden: Verankerung, Unterstützung sowie Einfluss und Rechte. In Sitzung 6 konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch zusätzliche Themen, die für sie von wichtiger Bedeutung waren, diskutieren. Die letzte zweitägige Sitzung diente der Formulierung der Empfehlungen.

In der taz kritisierte der Journalist Manfred Ronzheimer, dass das Forschungsministerium nicht bereit war, die Presse zur Vorstellung und zum Gespräch mit dem Bürgerrat einzuladen. Interessierte Journalisten wurden nicht zugelassen. „Aufgrund der derzeitigen Terminlage war die Teilnahme einer Vertreterin des Leitungsstabs nicht möglich. Diese ist in der Regel Voraussetzung für einen Pressetermin. Wir haben uns deshalb gegen eine Teilnahme der Presse entschieden“, begründete das Ministerium seine Entscheidung. Im Forschungsministerium habe es nicht mal ein terminlich abgekoppeltes Pressegespräch mit dem Bürgerrat gegeben, ob mit oder ohne Ministerialebene, kritisiere Ronzheimer. Es sei auch keine Presseerklärung zu den Ergebnissen des Bürgergutachtens herausgegeben worden.

Evaluationsbericht kritisiert "schwache Öffentlichkeitsarbeit"

Auch ein Evaluationsbericht kritisiert "die schwache begleitende Öffentlichkeitsarbeit rund um den Bürgerrat Forschung, die die Wirkung als Vorbild schwächt, aber auch diskurs- und demokratietheoretisch problematisch ist: Denn per geschichteter Zufallsstichprobe ausgewählte Bürgerinnen und Bürger deliberieren stellvertretend für andere, wovon die nicht angefragten und ausgewählten Bürgerinnen und Bürger erfahren sollten."

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