Bürgerrat „von unten“ macht Klimapolitik-Vorschläge
Ein aus der Bevölkerung heraus initiierter Bürgerrat hat im österreichischen Bundesland Vorarlberg Handlungsempfehlungen zur Klimapolitik entwickelt. Wie kann ein gemeinsames Herangehen an die große Herausforderung der Klimakrise in Vorarlberg gelingen? Wo braucht die Politik uns? Wo brauchen wir die Politik? So lauteten die am 2/3. Juli 2021 in der Losversammlung diskutierten Fragen.
21 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus ganz Vorarlberg waren für 1,5 Tage zusammengekommen, um gemeinsam getragene Empfehlungen an die Politik auszuarbeiten. Die Versammlung war bereits der zwölfte landesweite Bürgerrat und der dritte, der aus der Bevölkerung heraus initiiert wurde. Mehr als 1.000 Menschen hatten mit ihrer Unterschrift die Einberufung dieses Bürgerrates gefordert. Die zur Einberufung eines Bürgerrates notwendige Zahl von 1.000 Unterschriften war hiermit erreicht worden.
Öffentliche Ergebnispräsentation im Bürgercafé
Am 6. Juli fand im Vorarlberg Museum in Bregenz ein Bürgercafé zur Vorstellung der Beratungsergebnisse statt. Hier hatten auch die Teilnehmende noch einmal die Gelegenheit, die Ergebnisse zu diskutieren. Eine erste Rückmeldung der Politik war ebenfalls ein Bestandteil der Veranstaltung. Nach der Präsentation wurde angeregt diskutiert, Empfehlungen wurden bekräftigt und wichtige Punkte ergänzt.
Im Bürgerrat ging es um die Themenfelder
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Bewusstsein wecken / Sensibilisierung / Bildung
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Belohnung & Anreiz
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Umgang mit Ressourcen
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Mobilität
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Globaler Rahmen
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Rolle von Politik & Beteiligung
Die für den Bürgerrat ausgelosten Teilnehmenden stellten fest, dass die Klimakrise in der Bevölkerung noch zu wenig präsent ist. Deshalb sei eine Sensibilisierung im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels notwendig. „Um alle gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen, muss generell gesellschaftliche (wirtschaftliche) Ungleichheit verringert werden – denn momentan ist Klimaschutz ein Thema privilegierter Gruppen“, so der Bürgerrat.
Informationskampagnen empfohlen
Die Ausgelosten empfehlen deshalb auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Informationskampagnen in den Medien. Auch in Schulen und Ausbildungsbetriebe müssten die Informationen getragen werden. Wichtig sei auch eine persönliche Vorbildwirkung beim Umwelt-, Konsum- und Reiseverhalten. Produkte und Produzenten aus der Region seien zu fördern. In Kindergärten und Schulen soll mehr Raum für den Klimaschutz sowie Natur- und Umweltthemen geschaffen werden.
Weiterhin empfiehlt der Bürgerrat, klimaschonendes Handeln zu belohnen. Dies könne bei einem Skíausflug z.B. durch günstigere Skikarten bei einer Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln geschehen. Erneuerbare Energie und energieautarke Gebäude und Gemeinden sollen unterstützt und die Versiegelung weiterer Flächen verringert werden. Außerdem sei die Agrarpolitik des Landes zu überdenken.
„Radikaler Ausbau“ öffentlicher Verkehrsmittel
Auch für Menschen ohne Auto soll ein unkompliziertes Alltagsleben gut möglich werden, wünscht sich der Bürgerrat. Er schlägt deshalb einen „radikalen Ausbau“ der öffentlichen Verkehrsmittel vor. Städte sollen autofrei werden. Radwegenetze seien ebenso auszubauen wie die Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Klimaschutz soll auch beim Verhältnis zu anderen Staaten eine Rolle spielen. Eigene Probleme wie die Abfallentsorgung dürften nicht wie etwa durch Müll-Exporte in andere Länder verschoben werden, schlägt der Bürgerrat vor. Der „moderne Kolonialismus“ durch die Ausbeutung der „Dritten Welt“ sei zu stoppen. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO sollen bekannter gemacht werden.
Transparenz und Bürgerbeteiligung
Damit Bürgerinnen und Bürger klimapolitische Entscheidungen nachvollziehen können, fordert der Bürgerrat transparente Informationen über deren Zustandekommen. Die Politik solle sinnvolle Maßnahmen auch dann durchsetzen, wenn diese Parteien Wählerstimmen aus der betroffenen Branche kosten könnten.
Außerdem seien Mitgestaltungsmöglichkeiten anzubieten, um damit die Sicht der Bevölkerung miteinzubeziehen. So können etwa eine Behörde oder ein Bürgerrat mit Entscheidungskraft, z.B. als Naturschutzanwaltschaft oder ein unabhängiger Klimarat mit Bürgerinnen und Bürgern und qualifizierten Akteurinnen und Akteuren mit Parteistellung in Verfahren eingerichtet werden.
Prozessdokumentation und Diskussion
Über den Sommer 2021 wurde eine umfassende Prozessdokumentation erstellt. Sämtliche Inhalte aus allen Prozessschritten flossen in diesen Bericht, der anschließend an die Vorarlberger Landesregierung übergeben wurde, ein. Am 12. Oktober 2021 wurden die ausgearbeiteten Ideen von der Landesregierung diskutiert. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen ließen sich gut in bestehende Aktivitäten integrieren, so Landeshauptmann Markus Wallner. In einem umfangreichen Bericht hat die Landesregierung auf die Empfehlungen des Bürgerrates reagiert.
Ein am 17. März 2022 veröffentlichter Evaluationsbericht zum Bürgerrat zeigt sowohl Stärken als auch Verbesserungspotentiale des Instruments auf. Die Evaluation hat gezeigt, dass der Bürgerrat sich in mehrerlei Hinsicht als geeignetes Mittel darstellt, um den Willen zu politischer Gestaltung sowie generelles Engagement von Bürgerinnen und Bürger, zu stärken. Außerdem steigern sie zweierlei zivilgesellschaftliche Aktivität: Einerseits bei der direkten Teilnahme am Format, andererseits durch die Möglichkeit, selbst einen Bürgerrat zu initiieren.
Bürgerrat stärkt Engagementwillen
Weitere positive Wirkungen sind die Stärkung von bereits angestoßenem Engagementwillen sowie die Förderung zur Zusammenarbeit mit anderen. Ebenso entwickelten die Teilnehmer an jenen beiden Tagen ein besseres Verständnis für die Denkweisen anderer Menschen in Bezug auf die Klimakrise. Diese Fähigkeit gilt als eine notwendige Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft, über soziale Grenzen hinweg gemeinsame, breit getragene Entscheidungen zu treffen.
Auch in Bezug auf das Thema Klima-Zukunft Vorarlberg, lassen sich positive Tendenzen bei den Teilnehmern erkennen. Ein Großteil der Befragten gab an, nach der Teilnahme am Bürgerrat Klima-Zukunft Vorarlberg nun selbst oder mit anderen beim Klimaschutz aktiv zu werden. Außerdem ist erkennbar, dass die Teilnahme am Bürgerrat den Wandel der persönlichen Einstellungen in Bezug auf das Thema Klimakrise erleichtert. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Teilnehmer nun ein besseres Verständnis hinsichtlich Maßnahmen zur Gegensteuerung klimaschädlicher Entwicklungen entwickelt haben.
Schwachpunkt fehlende Representativität
Schwachpunkt, so ein zentrales Ergebnis der Evaluation von Drin. Tamara Ehs und Katharina Toth, MSc, ist die fehlende Repräsentativität. Die Gruppe der Teilnehmer war sowohl in Bezug auf den sozialen Status, Alter und Bildungs- bzw. Migrationshintergrund sehr homogen und bildet nicht „Klein-Vorarlberg“ ab. Zentral dafür verantwortlich sei das Auswahlverfahren sowie der Rekrutierungsprozess der Teilnehmer. Insbesondere junge und sozial schwächere Menschen fehlten bei diesem Bürgerratsprozess.
Das Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung ist damit beauftragt, diese Schwachpunkte aufzugreifen und die Methode weiterzuentwickeln. So wurde im Jahr 2022 bereits das bis dahin einstufige Losverfahren durch ein zweistufiges Losverfahren ersetzt, das durch die Zusammenstellung von Bürgerräten nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnort, Erwerbstätigkeit, Monatsnettoeinkommen und Muttersprache eine höhere Diversität der Losversammlungen garantiert.
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