„Wir bringen die stillen Bürger zum Sprechen“
In Baden-Württemberg soll in Zukunft bei mehr Gesetzesvorhaben als bisher ein Forum mit zufällig gelosten Bürgerinnen und Bürgern vorgeschaltet werden. Das hat der Ministerrat der Landesregierung am 22. November 2022 beschlossen. Damit wird eine im Mai 2021 beschlossene Koalitionsvereinbarung von Grünen und CDU umgesetzt.
Bei wichtigen Gesetzesvorhaben der Landesregierung wird ein Bürgerforum künftig den ersten Gesetzentwurf erörtern. Die Landesregierung setzt sich anschließend mit den im Rahmen des Bürgerforums erarbeiteten Vorschlägen auseinander. Dies wird zeitlich parallel zur bereits seit langem praktizierten Anhörung von Verbänden stattfinden. Erst danach beschließt die Landesregierung, mit welchem Entwurf sie ins parlamentarische Verfahren geht. Beschlossen wurde eine auskömmliche Finanzierung von zwei Bürgerforen bei herausragenden, politisch-relevanten Gesetzentwürfen pro Jahr. Die ersten Themen werden das Landesdatenschutzgesetz und das geplante Transparenzgesetz sein.
„Politiker wissen nicht immer alles besser“
"Wir bringen die stillen Bürger zum Sprechen", sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Vorstellung bei der Vorstellung des Beschlusses. „Wir tun dies, weil wir überzeugt sind, dass wir Politiker nicht immer alles besser wissen. Die Impulse und Ideen, die wir aus der Bürgerschaft erhalten, können uns helfen, am Ende zu besseren politischen Ergebnissen zu kommen. Die Politik des Gehörtwerdens ist so auch eine Politik der Beheimatung, die Menschen ins Gemeinwesen holt, indem sie sie zu aktiven Mitspielern macht.“.
„Die öffentlichen Debatten werden von wenigen, aber sehr lauten Stimmen geprägt. Wir stellen das vom Kopf auf die Beine“, erklärte Barbara Bosch als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung dazu. „Wir geben der stillen Mehrheit eine Stimme. Das gelingt mit dem Losverfahren. Es wird inzwischen weltweit genutzt. Zahlreiche Forschungen haben nachgewiesen, wie gut das funktioniert. Baden-Württemberg ist dabei führend. Der Landtag hat dazu ein spezielles Gesetz beschlossen. Das wenden wir nun an, wenn es um die Meinungsbildung innerhalb der Landesregierung geht.“
Nicht nur den Lauten zuhören
Moderne Gesellschaften würden stark von Lobbyverbänden und Bürgerinitiativen bestimmt, die mit Kampagnen ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Man dürfe aber nicht nur "den Lauten" zuhören. Durch die Auswahl von Zufallsbürgern, die aus allen Teilen der Gesellschaft kommen sollen, könne es bei markanten Gesetzesvorhaben gelingen, neue Argumente zu diskutieren. Denn: "Zufallsbürger haben da gar kein Eisen im Feuer."
Mit den Bürgerforen ändere das Land seine Strategie. Früher sei es bei der "Politik des Gehörtwerdens" darum gegangen, auch die Meinung von Minderheiten einzuholen. Nun gehe es darum, "der stillen Mehrheit Gehör zu verschaffen". Die Menschen würden per Los ausgewählt, es werde streng darauf geachtet, dass es bei Alter, Geschlecht und Herkunft Unterschiede gebe. Es soll zwei Bürgerforen pro Jahr geben. Diese stünden dann auf einer Stufe mit der Anhörung der Verbände nach einem Gesetzentwurf.
„Wir schließen eine Lücke“
Bei Gesetzentwürfen würden Verbände ganz selbstverständlich beteiligt. „Mit den Bürgerforen bei wichtigen Gesetzen stärken wir jetzt die Stimme der nicht organisierten Bürgerinnen und Bürger und schließen damit eine Lücke“, so die Staatsrätin. Bei allen anderen Gesetzentwürfen könnten die Bürgerinnen und Bürger weiterhin über das Beteiligungsportal des Landes mitwirken.
Die Erfahrung zeige, dass die beteiligten Bürgerinnen und Bürger wüssten, dass es in der erster Linie darum gehe, gehört zu werden und dass nicht jedes Votum im Gesetz Niederschlag finde. Schließlich habe man eine repräsentative Demokratie, in der am Ende die Parlamente entschieden.
Bürgerforen in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg hatten in den vergangenen Jahren bereits mehrere landesweite Bürgerforen stattgefunden. Dabei ging es um die Altersversorgung der Landtagsabgeordneten und die Corona-Pandemie. In einem grenzüberschreitende Bürgerforum mit der französischen Region Grand Est ging es um die Stärkung des Miteinanders nach der Corona-Pandemie. Derzeit läuft ein Bürgerforum zum Thema „Krisenfeste Gesellschaft“.
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