Bundestag beschließt Bürgerrat zu Ernährung
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben am 10. Mai 2023 die Einsetzung des ersten vom Parlament beauftragten Bürgerrates beschlossen. Das Thema: „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. 403 Abgeordnete stimmten dafür, 251 dagegen, 12 enthielten sich.
Der Bürgerrat soll den Blick auf die im Alltag bereits stattfindenden Umbrüche in der Ernährung richten und die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger in die politische Debatte einbringen. Besonderes Augenmerk soll dabei auf der Rolle des Staates im Spannungsfeld von individueller Freiheit und Verantwortung für die Gesellschaft liegen. Die erste Sitzung findet am 29. September 2023 statt.
Mehrwert für den Bundestag
Der Mehrwert des Bürgerrates für den Bundestag besteht darin, ein genaues Bild davon zu bekommen, welche Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung wünschen oder welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten.
Folgende konkrete Leitfragen sollen den Rahmen der Beratungen des Bürgerrates bilden:
- Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger in der Ernährungspolitik vom Staat? Wo soll er aktiv werden und wo nicht? Was soll der Staat ermöglichen oder erleichtern?
- Was wollen Konsumentinnen und Konsumenten über ihre Lebensmittel und deren Herkunft wissen? Was gehört zu einer transparenten Kennzeichnung von sozialen Bedingungen, von Umwelt- und Klimaverträglichkeit und von Tierwohlstandards? Wie detailliert sollten derartige Angaben sein, damit sie hilfreich und nicht verwirrend sind?
- Was halten die Bürgerinnen und Bürger für den Aufbau eines fundierten gesamtgesellschaftlichen Wissens über die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit für notwendig? Welche Rolle kommt dabei zum Beispiel der Schule zu? Welche Maßnahmen sollten zum Schutz besonders verletzlicher Konsumentinnen und Konsumenten ergriffen werden?
- Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt werden?
- Welchen steuerlichen Rahmen soll der Staat für die Preisbildung von Lebensmitteln setzen?
- Wie kann der Lebensmittelverschwendung Einhalt geboten werden und was kann der Staat dagegen tun?
Diese Fragen knüpfen an eine Reihe von Instrumenten der Ernährungspolitik an, wie etwa Selbstverpflichtungen, gesetzliche Mindeststandards, Regulierungen, Fördermaßnahmen, Kennzeichnungspflichten, Qualitätssiegel oder Informationskampagnen und Bildungsmaßnahmen. Im Vordergrund sollen dabei Maßnahmen stehen, die der Deutsche Bundestag auf Bundesebene beeinflussen kann.
Die Eignung und Angemessenheit dieser Instrumente soll der Bürgerrat mit Blick auf den privaten Konsum bestimmter Lebensmittel, deren Produktion und das Essensangebot in Kantinen oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen erörtern.
160 Bürgerrat-Mitglieder
Dem am 21. Juli 2023 augelosten Bürgerrat gehören 160 Personen an, die nach dem Zufallsprinzip aus allen Menschen über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt wurden. Die Zufallsauswahl erfolgte nach einem mehrstufigen Verfahren. Dabei wurde eine ausgewogene Beteiligung mit Blick auf die Kriterien Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Gemeindegröße und Bildungshintergrund erreicht. Zudem wird der Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung im Bürgerrat abgebildet. Die Teilnehmer erhalten eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 Euro pro Sitzungstag in Präsenz und 50 Euro pro Online-Sitzung.
Die Beratungen des Bürgerrates werden durch eine inhaltlich neutrale Moderation geleitet, die für eine ausgewogene Beteiligung der Teilnehmer sorgt. Zur Vermittlung des erforderlichen Wissens und einer fachlich fundierten Begleitung wird der Bürgerrat durch Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis unterstützt. Ziel ist, einen möglichst umfassenden und objektiven Überblick über Stand und Breite der Diskussion zur jeweiligen Fragestellung zu geben. Einzelpositionen werden als solche dargestellt und eingeordnet.
Wissenschaftlicher Beirat
Zum Bürgerrat wurde ein Wissenschaftlicher Beirat gebildet. Dem Beirat gehören elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anerkannter Hochschulen und Forschungseinrichtungen an. Sie wurden von allen Fraktionen über die Berichterstattergruppe Bürgerrat des Ältestenrates des Bundestages benannt.
Der Wissenschaftliche Beirat berät den Dienstleister bei der Zusammensetzung des Pools an Expertinnen und Experten sowie bei der Gestaltung des Verfahrens. Vertreterinnen und Vertreter der relevanten Verbände und Institutionen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden vor Beginn der Beratungen des Bürgerrates zu einem offenen Anhörungsverfahren eingeladen. Gegenstand der Anhörung sind die von den Durchführern vorgeschlagene Umsetzung der Fragestellung, die Verfahrensgestaltung und die Zusammensetzung der Expertengruppe.
Durchführer beauftragt
Bereits am 31. März 2023 hatte die Bundestagsverwaltung mitgeteilt, wen sie mit der Durchführung des Bürgerrates beauftragt hat. Der Fachverband Mehr Demokratie wird zusammen mit den Beteiligungsunternehmen nexus, ifok und Institut für Partizipatives Gestalten (IPG) den ersten vom Bundestag beauftragten Bürgerrat vorbereiten und begleiten. Dabei geht es sowohl um die Betreuung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Organisation und Moderation des gesamten Verfahrens, als auch um die Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages.
Der Bürgerrat legt dem Bundestag bis zum 29. Februar 2024 seine Handlungsempfehlungen in Form eines Bürgergutachtens vor. Zu dem Bericht findet in erster Beratung eine Aussprache im Plenum des Bundestages statt.
Es ist beabsichtigt, den Bericht dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur federführenden Beratung zu überweisen. Mitberatend beteiligt werden die Ausschüsse für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, für Gesundheit, für Arbeit und Soziales, für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, für Inneres und Heimat, für Klimaschutz und Energie, für Kultur und Medien, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Weitere Ausschüsse können bei Bedarf beteiligt werden.
Ernährungs-Bürgerräte in anderen Ländern
Auch in anderen Ländern gibt es Bürgerräte zum Thema Ernährung. In der Schweiz hat der "Bürgerrat für Ernährungspolitik" am 7. November 2022 seine 126 Empfehlungen für eine nachhaltigere Ernährungspolitik vorgestellt. In Schweden lief von April bis Juni 2023 ein Bürgerrat zu der Frage, was sich ändern muss, damit alle sich gesund, nachhaltig für den Planeten und für alle bezahlbar ernähren können.