Bürgerrat packt Klimawandel bei den Hörnern

Von November 2021 bis Mai 2022 lief in Spanien ein nationaler Bürgerrat zum Thema Klimaschutz. Einhundert zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger haben als Abbild der Gesellschaft in fünf Online-Sitzungen über die Frage "Ein sichereres Spanien im Angesicht des Klimawandels - wie machen wir das?" beraten. Am 6. Juni 2022 wurden die dabei entstandenen 172 Empfehlungen an Ministerpräsident Pedro Sánchez und Vize-Ministerpräsidentin Teresa Ribera übergeben.

Die Empfehlungen sind nach Zielen geordnet und in fünf Lebens- und Gesellschaftsbereiche unterteilt: Konsum, Lebensmittel und Landnutzung, Arbeit, Gemeinschaft, Gesundheit und Pflege sowie Ökosysteme. Bürgerrat-Teilnehmer erläuterten die wichtigsten Empfehlungen für jeden Bereich.

Produktionsmodelle ändern

Dazu gehören die Notwendigkeit, die Produktionsmodelle etwa in der Lebensmittelindustrie zu ändern, die mediterrane Ernährung zu fördern, die Dringlichkeit, die wichtigsten Ökosysteme des Landes zu erhalten und wiederherzustellen und die Treibhausgasemissionen des Verkehrs zu reduzieren, sowie die Bedeutung der Entwicklung eines Konsummodells, das mit den Grenzen des Planeten vereinbar ist.

Die Vorschläge beinhalten u.a. die Einführung eines Energieversorgungssystems mit "öffentlicher Kontrolle", die "Minimierung" von Inlandsflügen in Spanien, "wenn es Zugalternativen gibt", oder die Verabschiedung eines staatlichen Paktes zur Gewährleistung einer langfristigen Klimapolitik. Die Bürgerrat-Teilnehmer empfehlen auch, "das Konzept des degrowth" bekannter zu machen. Dabei geht es u.a. darum, "Werbung und konsumfördernde Botschaften zu regulieren, indem die Auswirkungen des Konsums auf den Klimawandel sichtbar gemacht werden".

"Nur ein erster Schritt"

Im Verkehrsbereich schlagen die Teilnehmer der Losversammlung vor, emissionsfreier Gütertransportsysteme zu fördern, das Fahrrad als Verkehrsmittel zu unterstützen und Lastwagen auf Elektroantrieb umzustellen. Auf städtischer und überörtlicher Ebene sollen Radwegenetze entstehen. Der Bahn- und Schiffsverkehr soll einschließlich des Gütertransports auf diesen Verkehrsträgern verbessert werden. Bei der Formulierung ihrer Empfehlungen wurden die Bürgerrat-Mitglieder von zahlreichen Fachleuten beraten.

"Dies ist nur ein erster Schritt, der Beginn von etwas, von dem wir hoffen, dass es große Auswirkungen haben wird und nicht nur die Regierung, sondern die gesamte Gesellschaft erreicht", sagten die zwölf anwesenden Bürgerrat-Vertreter bei der Vorstellung ihrer Empfehlungen.

Umweltpreis für Bürgerrat

Einige Stunden vor der Präsentation der Empfehlungen hatte der Bürgerrat von Vizepräsidentin Teresa Ribera den außerordentlichen Umweltpreis für Klimaschutz und bürgerschaftliches Engagement verliehen bekommen, der vom Ministerium für den ökologischen Wandel und die demografische Herausforderung verliehen wird. Ribera betonte die Rolle der Bürger angesichts des Klimanotstands und ihre Fähigkeit, einstimmige Vorschläge für ein gerechteres und sichereres Spanien im Angesicht des Klimawandels auszuarbeiten.

Die Übergabe der Empfehlungen an die Regierung ist der Höhepunkt von acht Monaten Arbeit und Beratungen, die am 22. Mai 2022 mit der Annahme der 172 Vorschläge abgeschlossen wurden. Die Arbeit des Bürgerrates gliederte sich in fünf Online-Diskussionssitzungen und eine Präsenzsitzung, die in Madrid stattfand, wobei drei Phasen durchlaufen wurden: eine erste Lernphase, eine zweite Beratungsphase und eine dritte Phase, in der Vorschläge ausgearbeitet wurden.

"Dialog über Klimawandel zu den Bürgern bringen"

Für den Bürgerrat-Teilnehmer Eduardo Martín war bei dieser Übung in Bürgerbeteiligung und kollektiver Intelligenz am wichtigsten, "den Dialog über den Klimawandel zu den Bürgern zu bringen". Dieser sei normalerweise eine Domäne von Experten, so sei aber die Gesellschaft als Ganzes eingeladen, sich am ökologischen Wandel zu beteiligen.

Der Extremaduraner ist der Meinung, dass viele der vom Bürgerrat verabschiedeten Maßnahmen verbindlich sein und eine direkte politische Wirkung haben sollten, denn es gebe "einige sehr klare und dringende Maßnahmen", wie z.B. "die Bestrafung des Ökozids, Vorschläge zur Verkürzung der Arbeitszeit, die Einführung des Homeoffice oder die Förderung von Energiegemeinschaften".

Bürgerrat basiert auf Gesetz

Die Durchführung des Bürgerrates basiert u.a. auf dem im Mai 2021 verabschiedeten Gesetz zu Klimawandel und Energiewende. Artikel 39 des Gesetzestextes, der sich mit dem Thema "Bürgerbeteiligung" befasst, legt fest, dass die Regierung für die Entwicklung von "Plänen, Programmen, Strategien, Instrumenten und allgemeinen Bestimmungen, die im Kampf gegen den Klimawandel und die Energiewende zu verabschieden sind", "eine strukturierte Bürgerbeteiligung [...] durch die Einrichtung eines nationalen Bürgerrates zum Klimawandel sicherstellen wird".

Der spanische Ministerrat hatte am 21. Januar 2020 den Klima-Notstand erklärt. Ein Beschluss, der die Dringlichkeit von Maßnahmen gegen den globalen Klimawandel anerkennt. Die Notstandserklärung, die keine rechtliche Bindungswirkung hat, wurde seit 2019 von verschiedenen Institutionen innerhalb und außerhalb Spaniens beschlossen. Großbritannien und Irland waren die ersten Länder, die so verfuhren. Seitdem sind weitere Staaten, Regionen und Städte hinzugekommen. In Spanien sind Städte wie Madrid und Barcelona, Provinzräte, Regionalregierungen und andere Institutionen wie einige Universitäten diesem Beispiel gefolgt.

Klima-Neutralität bis 2050

Bis 2030 will Spanien seine Treibhausgasemissionen um ein Drittel reduzieren. Spätestens 2050 soll das Ziel Klima-Neutralität dadurch erreicht werden, dass der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommt und Fahrzeuge kein CO2 mehr ausstoßen. Die Landwirtschaft soll ebenso klimaneutral werden. Das Steuer-, Haushalts- und Finanzsystem soll so gestaltet werden, dass es mit der angestrebten Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vereinbar ist.

Regierung und Parlament werden sich nun mit den Empfehlungen des Klima-Bürgerrates befassen.

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