Bundespräsident für Bürgerräte

05. Juli 2019
Bundesregierung/Steffen Kugler

Deutschland kann sich von Irland inspirieren lassen – z.B. mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung, wie dem Bürgerrat. Das sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Staatsbankett zu Ehren von Michael D. Higgins, Präsidenten von Irland, am 3. Juli 2019 in Schloss Bellevue.

"Auch wir in Deutschland können uns von Irland inspirieren lassen - zum Beispiel wenn es darum geht, unsere Demokratie für die Zukunft zu stärken, etwa mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung.

Mit großem Interesse habe ich die Arbeit der irischen Citizens‘ Assembly verfolgt, zum Beispiel in Vorbereitung des Referendums über das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch. Neunundneunzig Irinnen und Iren, die sich vorher überhaupt nicht kannten - Studierende, LKW-Fahrer, Lehrer, Ingenieurinnen und Krankenpfleger, ein Querschnitt der Gesellschaft – haben sich dafür in einem Dubliner Hotel versammelt. Befürworter und Gegner der Verfassungsänderung. Sie haben miteinander geredet, Argumente ausgetauscht, das Für und Wider abgewogen. 

“Not exactly the stuff of political revolution”, wie eine Tageszeitung kommentierte. Und doch gelang es diesen Bürgerinnen und Bürgern, eine der politisch und ethisch schwierigsten Fragen von Konfrontation in Richtung Konsens zu drehen. Ich finde, dieses Beispiel kann uns Mut in die Gestaltungskraft unserer Demokratien machen. Oder, wie eine Zeitung titelte: “Sie haben der Welt gezeigt, was Demokraten mit etwas Einfallskraft erreichen können.”

Ich bin überzeugt: Die Demokratie braucht solche Impulse der Erneuerung. Wir spüren doch in ganz Europa, auch hier in diesem Land: Die Demokratie verändert sich. Aber sie steht deshalb nicht kurz vor dem Untergang – im Gegenteil: Das politische Interesse, der Gestaltungswille, die Erwartungen, gerade unter jungen Menschen, sind riesengroß. Ich wünsche mir, dass es unserer Demokratie gelingt, dieses Engagement nicht wegzustoßen, sondern aufzugreifen und einzubinden. Dafür wünsche ich denen, die heute Verantwortung tragen – in Parteien, Parlamenten, Regierungen –, die nötige Zuversicht und die Offenheit, das Neue nicht als Bedrohung zu empfinden, sondern neue Formen der Beteiligung zu wagen und neue Wege in Politik und politische Institutionen zu ebnen. Kurzum, auch uns in Deutschland wünsche ich ein Stückchen “irischen Mut”!"

Hintergrund

Die Bürgerversammlung in Irland (“Citizens’ Assembly in Ireland”) hat einen institutionellen Charakter und ist über die Jahre ein wichtiger Teil des demokratischen Prozesses geworden. Die 99 Mitglieder werden zufällig durch ein Meinungsforschungsunternehmen ausgewählt und sollen Kernthemen des politischen Diskurses, wie etwa Abtreibung, die alternde Bevölkerung oder den Klimawandel diskutieren. Mit Hilfe von Expertinnen und Experten entwickeln die Teilnehmenden Vorschläge, die dem Parlament und ggf. auch dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden.

Gegründet wurde die irische Bürgerversammlung nach der Finanzkrise 2011 und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die bestehenden demokratischen Institutionen. Seitdem haben die Irinnen und Iren in Referenden über vier Vorschläge aus der Citizens Assembly abgestimmt. Sie votierten so dafür, dass auch gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe eingehen können und für die Aufhebung des Abtreibungsverbots sowie des Blasphemie-Paragraphen. Abgelehnt wurde eine Senkung des Mindestalters für Präsidentschaftskandidaten von 35 auf 21 Jahre.

Mehr Informationen: Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten von Irland