Bürgerrat diskutierte über künstliche Intelligenz
Im Juni 2022 lief ein außergewöhnliches Demokratie-Experiment: Zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger haben in einem virtuellen Bürgerrat über die Folgen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz debattiert. Inhaltlich ging es um den Einsatz selbstlernender Maschinen in der Pflege und Betreuung. Ob und auf welche Weise Algorithmen Personalabteilungen bei ihren Einstellungsentscheidungen assistieren sollten, war ebenfalls Thema.
Mögliche Fragestellungen waren: Werden durch künstliche Intelligenz Personalchefs bei der Suche nach neuen Fachkräften überflüssig? Oder kann es ein Vorteil sein, durch zusätzliche Datenverarbeitung bessere Ergebnisse bei der Personalsuche zu erzielen? Wollen wir wirklich am Lebensende - statt mit einer menschlichen Pflegekraft - mit einem Roboter, der beispielsweise das Aussehens einer Plüsch-Robbe hat, die man in den Armen hält, über persönliche und medizinische Probleme diskutieren?
Am Bürgerrat haben 200 Menschen in einer virtuellen Diskussionsgruppe und 100 weitere in einer Kontrollgruppe teilgenommen. Die Bürgerrat-Mitglieder kamen aus ganz Deutschland. Um die Wirkung des Austauschs im Bürgerrat zu erfassen, erhielt die Kontrollgruppe nur die Argumente zu den Bürgerrat-Themen, während die Diskussionsgruppe die Argumente auch diskutieren konnte. Die Losversammlung fand "asynchron" an zehn Tagen statt. Die Teilnehmer waren also nicht zeitgleich online. Sie hatten zehn Zeitfenster zum Einloggen auf dem Beteiligungsportal "Demokratiefabrik".
"Maximale Diversität"
Das Beteiligungsportal garantiert laut eigener Aussage, dass eine maximale Diversität von Argumenten und Positionen in die Diskussion einfließt. Die Bürgerrat-Mitglieder können eigene Beiträge verfassen sowie zufällig ausgeloste Beiträge von anderen Teilnehmern bewerten und zu kommentieren. Zudem helfen vier Experten den Bürgerrat-Teilnehmern bei ihrer Meinungsfindung.
Studentinnen und Studenten der Universität Stuttgart und der Hochschule der Medien (HdM) haben den Bürgerrat moderiert. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden nach dem Zufallsprinzip Pseudonyme zugeordnet. So sollten die vorgebrachten Argumente stärker ins Gewicht fallen als der soziale Hintergrund. Zudem konnten der Austausch der Argumente und die Interaktion mit Expertinnen und Experten beobachtet und analysiert werden.
„Künstliche Intelligenz ist zentrales Zukunftsthema“
Der Projektleiter Prof. Dr. André Bächtiger, geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, hoffte, auf diese Weise neue Einsichten in den demokratischen Prozess des Debattierens zu gewinnen. „Künstliche Intelligenz ist ein zentrales Zukunftsthema. In unserem Projekt untersuchen wir, wie es gelingen kann, bei anspruchsvollen normativen Fragen die Bürgerinnen und Bürger systematisch einzubeziehen“, so Professor Bächtiger.
Prof. Dr. Alexander Mäder, der das Vorhaben an der HdM betreut, hob hervor: „Die Studierenden von heute sind die Wissenschaftskommunikatoren von morgen. Partizipative Prozesse gewinnen hier eine immer größere Bedeutung.“ Ziel des Experiments sei es gewesen, durch Fragestellungen der Teilnehmer, Diskussion mit Experten und Moderation der Studierenden, Empfehlungen oder zumindest Problemstellungen an die Politik und die Gesellschaft weiterleiten zu können, die für die künftige Regulierung von Künstlicher Intelligenz wichtig sind.
Bürgerrat Teil des Projekts "Fragen an KollegIn KI"
Das Demokratie-Experiment war Teil des Projekts „Fragen an KollegIn KI“, einem Projekt der Universität Stuttgart (Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems, IRIS, Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung, IZKT) und der Hochschule der Medien in Kooperation mit der Stadtbibliothek Stuttgart. Darin organisieren die beiden Hochschulen unter anderem ein Lehrprojekt zur partizipativen Wissenschaftskommunikation und eine öffentliche Debattenreihe. Das Projekt wurde im Rahmen des „Wissenschaftsjahres 2022 - Nachgefragt!“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.