Bundestag schreibt Bürgerräte aus

Der Deutsche Bundestag will bis Ende 2025 drei zufällig geloste Bürgerräte zu bundespolitischen Themen einberufen. Am 23. Dezember 2022 hatte die Parlamentsverwaltung die Ausschreibung zur Durchführung der Losversammlungen veröffentlicht.

Generell organisieren Kommunen, Länder, Bund und die Europäische Union die praktische Durchführung von Beteiligungsverfahren nicht selbst. Vielmehr werden damit professionelle Beteiligungsunternehmen beauftragt, die bereits Erfahrung z.B. bei der Organisation von Bürgerräten haben. Diese kümmern sich in Absprache mit dem jeweiligen Auftraggeber dann etwa um die Auslosung und Betreuung der Teilnehmer, um die Organisation und Moderation der Bürgerrat-Sitzungen, um die Auswahl der dort vortragenden Experten und um die Dokumentation der Ergebnisse.

Finanzierung der Bürgerräten gesichert

Eine Ausschreibung ist eine Aufforderung an potenzielle Auftragnehmer, sich um die Durchführung einer Leistung zu bewerben. Der Zweck von Ausschreibungen ist, das Vergabeverfahren transparent und öffentlich zu machen, so dass ein möglichst günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt wird. Für die kommenden Bürgerräte hat der Bundestag für das Jahr 2023 bis zu 3 Millionen Euro und für 2024/25 bis zu 3 weitere Millionen Euro genehmigt. Mit der Ausschreibung werden die Bedingungen genannt, unter denen die Beteiligungsunternehmen die Bürgerräte durchzuführen haben. Formuliert wurde die Ausschreibung von der "Stabsstelle Bürgerräte“, der im Sommer 2022 in der Bundestagsverwaltung gebildet wurde.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will mit zufällig gelosten Bürgerräten die politische Entscheidungsfindung auf Bundesebene verbessern. „Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt“, heißt es im am 24. November 2021 vorgestellten Koalitionsvertrag der drei Parteien.

Bürgerräte aus Zivilgesellschaft und Ministerien

Zwar hat es seit 2019 bereits sieben bundesweite Bürgerräte gegeben, jedoch fanden diese nicht im Auftrag des Bundestages statt. Träger waren vielmehr zivilgesellschaftliche Organisationen oder einzelne Bundesministerien. Daher sind die kommenden Bürgerräte die ersten mit einer direkten Anbindung an die gewählten Abgeordneten.

In der Ausschreibung des Bundestages wird die Durchführung von Bürgerräten so begründet: „Trotz der schwindenden Bindungskräfte traditioneller Institutionen gesellschaftlichen Engagements ist auf vielen Ebenen der Gesellschaft ein ausgeprägter Wille zu aktiver Mitgestaltung spürbar. Zugleich haben viele Menschen die Wahrnehmung, ihre Stimme werde im politischen Diskurs nicht mehr gehört. Beide Entwicklungen steigern den Bedarf nach neuen Beteiligungsformaten, die die Bürgernähe parlamentarisch-repräsentativer Politik stärken. Eines dieser Formate sind Bürgerräte.“

Meinungsbild aus der Bevölkerung

Mit den Bürgerräten hole sich der Bundestag in neuer Form ein differenziertes und auf Alltagserfahrungen gestütztes Meinungsbild aus der Bevölkerung ein, das direkt in den Prozess der parlamentarischen Willensbildung einfließen könne. Damit seien die Bürgerräte für den Bundestag ein neues Beratungsinstrument im Rahmen der repräsentativen Demokratie. Die Bürgerräte sollen helfen, in Fragen von hoher gesellschaftlicher Relevanz zu erkennen, wo die Gesellschaft insgesamt stehe.

„Gegenstand eines Bürgerrates können Richtungsentscheidungen, wertebasierte Konflikte, Priorisierungen oder Verteilungsfragen sein“, heißt es in der Ausschreibung weiter. Die Beratungen der Bürgerräte sollen in differenzierte Empfehlungen münden, die im parlamentarischen Prozess aufgegriffen werden könnten und auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz hoffen dürften.

160 Teilnehmer

Für jeden bundesweiten Bürgerrat sollen 160 Bürgerinnen und Bürger zufällig ausgewählt werden, die die gesellschaftliche Vielfalt des Landes abbilden. Teilnahmeberechtigt sind alle Einwohner ab 16 Jahren.

Jeder Bürgerrat soll in einem Mischformat mit Präsenzsitzungen und digitalen Sitzungen arbeiten. Nachdem der Bundestag sich für ein Bürgerrat-Thema entschieden hat, soll das beauftragte Beteiligungsunternehmen in Absprache mit dem Bundestag ein Konzept für dessen Durchführung erstellen. Dazu gehört ein Detailkonzept zu Zielvorstellung, Ablauf, Vorgehen und Methodik des Bürgerrates. Entwickelt werden sollen auch Vorschläge zu Formaten der Einbeziehung von Bundestagsabgeordneten.

20.000 Einladungen

Zu jedem Bürgerrat sollen etwa 20.000 zufällig aus den Einwohnermelderegistern der Kommunen gezogene Menschen eingeladen werden. Aus den daraus resultierenden Bewerbungen wird eine Versammlung zusammengestellt die nach Alter, Geschlecht, Bildung, regionaler Herkunft (Bundesland) und öftlicher Herkunft (Gemeindegröße) ein Abbild der Bevölkerung darstellt. Für einzelne Bürgerräte können weitere Rekrutierungskriterien herangezogen werden. Die Ziehung der Bürgerrat-Teilnehmer kann dabei auch im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im Bundestag stattfinden. Ort der Bürgerrat-Veranstaltungen soll i.d.R. Berlin sein.

Wie bei Bürgerräten üblich, werden die Reise- und Unterkunftskosten der Teilnehmer ebenso übernommen wie die Verpflegung und Kosten für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. Die Veranstaltungsorte und Unterkünfte sind barrierefrei, also auch für Menschen mit Behinderungen ohne fremde Hilfe zugänglich. Außerdem erhalten alle Bürgerrat-Mitglieder eine Aufwandsentschädigung.

Vorgaben für Experten-Auswahl

Für digitale Sitzungen erhalten Teilnehmer auf Leihbasis die notwendige technische Ausrüstung sowie ein Videokonferenz-System. Zur Nutzung gibt es vorab entsprechende Schulungen und Testläufe. Zwischen den Sitzungen steht den Bürgerrat-Mitgliedern eine interne Online-Plattform für Austausch und Information zur Verfügung.

Auch für die Auswahl der Expertinnen und Experten, die die Bürgerrat-Teilnehmer mit Informationen versorgen, gibt es in der Ausschreibung Vorgaben. Wichtig sind dem Bundestag insbesondere

  • Fach- und Themenkompetenz sowie besondere Fähigkeit zur allgemeinverständlichen Darstellung
  • eine möglichst geschlechterparitätische Besetzung
  • im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung die Abbildung eines breitestmöglichen Meinungsspektrums, das zwingend vielfältige, auch kontroverse Sichtweisen auf den Beratungsgegenstand einbezieht

Neben Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis können dabei je nach Thema auch Vertreterinnen und Vertreter von Interessenverbänden sowie Betroffene eingeladen werden. Die Fachleute sollen während der Bürgerrat-Sitzungen, inklusive der Beratungen in den Kleingruppen zur direkten Beantwortung von Rückfragen und für Faktenchecks, Feedback zu Vorschlägen und ähnliche Formate anwesend sein. Auch zwischen den Sitzungen sollen sich die Bürgerrat-Teilnehmer an die Experten wenden können.

Platz für Evaluationsteams und Medienvertreter

Um die Qualität der Bürgerräte zu überwachen, werden für Evaluationsteams zehn Plätze in den Veranstaltungen vorgehalten. Auch Medienvertreter sollen an Bürgerrat-Sitzungen teilnehmen können. Gleiches gilt auf Antrag für weitere interessierte Beobachter.

Zur Information der Öffentlichkeit werden wichtige Sitzungsteile der Bürgerräte wie Plenumsberatungen und Experten-Vorträge aufgezeichnet und veröffentlicht. Zu jeder Sitzung werden Kurzberichte auf der Internetseite des jeweiligen Bürgerrates veröffentlicht. Dort finden sich auch alle wichtigen Sitzungsunterlagen sowie ein Informationsangebot in leichter Sprache sowie auf Englisch. Für die gesamte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gibt es in der Ausschreibung viele Ideen und detaillierte Vorgaben.

Übergabeveranstaltung

Jeder Bürgerrat endet mit einer Übergabeveranstaltung im Bundestag, zu der alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeladen werden. Dort wird das Bürgergutachten an den Bundestag übergeben, das die Bürgerrat-Mitglieder in Zusammenarbeit mit dem dazu durch die Ausschreibung verpflichteten Beteiligungsunternehmen formuliert haben. Es enthält die Empfehlungen des Bürgerrates zum jeweiligen Thema sowie alle weiteren wichtigen Informationen zur Losversammlung.

Nach dem ersten der drei geplanten Bürgerräte kann der Bundestag das Beteiligungsunternehmen mit der Organisation und Durchführung weiterer Bürgerräte beauftragen. Dabei soll dann auch mit aufsuchender Einladung von Ausgelosten an der Haustür oder „weiteren innovativen Verfahren“ gearbeitet werden können.

Erster Bürgerrat im Herbst 2023

Der erste vom Bundestag beauftragte Bürgerrat findet im Herbst und Winter 2023/24 statt. Das Thema lautet: Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben

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