"Aachen zukunftsbereit machen"
„Wie kann Aachens Innenstadt wieder ein attraktives Einkaufsziel werden?“ Ein Bürgerrat hat dazu 75 Empfehlungen erarbeitet, die am 12. Dezember 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Das Besondere am Aachener Bürgerrat: Diese Losversammlung war die erste Runde eines ständigen Verfahrens.
Die Vorschläge des Bürgerrates beziehen sich auf die Oberthemen
- Identität und Bottom-Up
- Freizeit und Kultur
- Mobilität
- Klima
- Öffentliche Räume und Leerstände
Aufenthaltsqualität stärken
Anliegen des Bürgerrates ist es, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu stärken, um die Verweildauer zu erhöhen und den Einkauf für die Einzelperson und die Familie zum „Erlebnis“ zu machen. Dafür soll die Stadt mobile Bäume mit integrierten, intakten Sitzgelegenheiten an zugänglichen Plätzen aufstellen, einen kurz getakteten Shuttlebus innerhalb des Grabenringes einsetzen, mehr Toiletten und Trinkbrunnen aufstellen und die Präsenz des Ordnungsamtes erhöhen.
Auch wird der Stadt empfohlen, Spieloasen über die gesamte Innenstadt zu verteilen und den Elisengarten mehr für Veranstaltungen wie Open Air Kino, Lesungen und Konzerte zu nutzen. Die Wochenmärkte sollen länger geöffnet bleiben, um auch Berufstätigen den Besuch zu ermöglichen. Fußgängerzone sollen ausgeweitet werden. Wo dies nicht möglich ist, sollen durch Spielstraßen und glattes barrierefreies Pflaster die Fußgänger bevorzugt werden.
Ehemaliges Kaufhaus wiederbeleben
Um Leerständen zu begegnen, schlagen die Bürgerrat-Mitglieder so vor, das „Haus Horten“ wiederzubeleben. Die Stadt soll das ehemalige Kaufhaus mit Cafés, Lebemsmittelmarkt, Bibliothek, VHS, kleinen neu gegründeten Unternehmen, niederschwellig abgegrenzten Verkaufsflächen, Indoor-Spielflächen und Pop-up Geschäften füllen. Leerstehende Gebäude sollen außerdem zeitlich begrenzt bis zur Weitervermietung für Vereine, Initiativen, Künstler, Freizeitangebote freigegeben werden.
„Grundsätzlich muss in der Innenstadt eine angenehmere Atmosphäre geschaffen werden. Hierbei soll zum einen aus ästhetischen, aber auch aus klimatischen Gründen die Begrünung an öffentlichen Gebäuden intensiviert werden“, heißt es im Bürgergutachten des Bürgerrates. Dazu soll bei der Planung öffentlicher Gebäude eine energetische Nutzung der Fassaden und Dächer vorgesehen werden. Sollte dies nicht möglich sein, müssten diese Flächen begrünt werden.
Mehr Grün in der Stadt
Der Baumbestand der Stadt soll ausgeweitet werden und die Bepflanzung sich an den Kriterien Klimaresistenz und Wohlbefinden der Bürger orientieren. Vermieden werden sollen „stinkende Ginko-Früchte“ und „Kastanien, die aufplatzen und für Rutschgefahr sorgen“.
Im Bereich Verkehr regt der Bürgerrat eine Reform des öffentlichen Nahverkehrs an. Dazu empfiehlt die Losversammlung, zusätzlich zu bestehenden Bussen ein ggf. autonomes Netzwerk-Bussystem mit Halten auf Anforderung zu schaffen. Weitere Empfehlungen sind ein übersichtliches Fahrschein-System mit einfachen Tarifen und die Barrierefreiheit des Busverkehrs. Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung sollen in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
Besserer Bürgerdialog
Die Stadt soll Pendelbus-Linien einrichten, die von Park & Ride-Plätzen in die Innenstadt fahren. Beim Einkauf in lokalen Geschäften soll die Parkgebühr bzw. das Busticket zur Preisermäßigung führen.
Nicht zuletzt will der Bürgerrrat den Austausch zwischen Stadt und Bürgern verbessert sehen. Die Stadt müsse eine einfach zu erreichende Anlaufstelle für Bürger einrichten. Die Anlaufstelle soll das offene Ohr für alle Bürger sein, deren Fragen und Lösungsansätze sammeln und diese öffentlich verfügbar machen. Die Anlaufstelle soll auch dazu genutzt werden, über Projekte und Angebote der Stadtverwaltung zu informieren.
Verordnungen und Beschränkungen befristen
Die Stadt wird aufgefordert, es Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, bestehende Regelungen, Prozesse und Beschränkungen auf den Prüfstand stellen. Sie soll Verordnungen und Beschränkungen befristen und nach Ende der Frist auf Beibehaltung überprüfen. Für Genehmigungen der Stadt sollen Fristen festgelegt werden, in denen die Stadt eine Entscheidung treffen muss. Eine Überschreitung der Frist soll zu einer positiven Entscheidung im Sinne des Antragstellers führen.
Mit der Gründung von Nachbarschaftsräten sollen Nachbarschaftsgefühle gefördert werden; um besser zusammenzuarbeiten; die Identifikation zu erhöhen und Identität zu schaffen. Durch Bürgergemeinschaften organisierte Stadt-/Straßenfeste sollen von der Stadt unterstützt werden.
„Aachen zukunftsbereit machen“
„Wir möchten Aachen lebendig machen. Und Leben steckt auch in unserem Gutachten“, schreiben die Bürgerrat-Teilnehmer im Vorwort ihres Bürgergutachtens. „Die 75 Empfehlungen passen gut in eine Schublade und wir stellten schnell die Angst fest, nicht gehört zu werden. Aber die Ideen, Vorschläge und Diskussionen mit Familien, Freunden und Bekannten füllen ganze Räume. Wir wirken als Multiplikatoren, die ein ganzes Stadion füllen können“, heißt es weiter.
„In diesem Gutachten stecken fünf Tage unserer Lebenszeit und Sie, lieber Stadtrat, können ermöglichen, diese Zeit in die Vision der Stadt der Zukunft zu übersetzen. Wir wollen Aachen zukunftsbereit machen.“
Bürgerrat-Arbeit an drei Wochenenden
Der Aachener Bürgerrat erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Wochenenden. Startpunkt war eine Auftaktveranstaltung mit einem Stadtspaziergang am 28. Oktober 2023. Es folgten zwei Arbeitswochenenden am 4./5. und 11./12. November 2023. Pro Sitzungstag haben die Bürgerrat-Mitglieder eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro erhalten.
Das erste Thema des Bürgerrates war nach einer Themensammlung in der Bevölkerung bestimmt worden. Themenvorschläge konnten bis zum 10. März 2023 eingereicht werden. Insgesamt waren auf diese Weise über eine Beteiligungsplattform 58 Themenvorschläge eingegangen. Vom 24. Februar bis zum 10. März 2023 konnten alle Einwohner online über die Vorschläge abstimmen. Alle Themenvorschläge, die mindestens 125 unterstützende Stimmen erhalten hatten, hatten Chancen, im Bürgerrat behandelt zu werden. Diese Hürde konnten 17 Vorschläge überspringen.
Themenauswahl
Nachdem die Verwaltung geprüft hatte, ob die Themen den vorgegebenen Kriterien (Unterschriftenquorum erreicht und um Stadtrat noch nicht behandelt) entsprechen, lag die Auswahl der sechs Finalisten beim Begleitgremium zum Bürgerrat, in dem neben den Aachener Ratsfraktionen mit gleicher Personenzahl auch die Initiative „Bürgerrat für Aachen“ vertreten ist. Diese Initiative hatte den Bürgerrat-Stein in Aachen ins Rollen gebracht.
Das Begleitgremium hatte intensiv über die Auswahl diskutiert. Am Ende flossen Argumente wie die „Strahlkraft über Aachen hinaus“, die „Nähe an der Lebensrealität“ und die Schwere des „Leidensdrucks“ in die Auswahl ein. Am 18. April 2023 gingen sechs Themen zur Entscheidung in das Bürgerforum der Stadt. Dieses Forum ist ein Ausschuss des Stadtrates zur Bürgerbeteiligung.
3.500 Einwohner ausgelost
Im Juli 2023 wurden 3.500 repräsentativ und zufällig ausgeloste Personen ab 16 Jahren zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen. Aus den Rückmeldungen der Ausgelosten hatte das Bürgersekretariat, das aus der Verwaltung heraus den Bürgerrat in organisatorischen Angelegenheiten unterstützt, 56 Mitglieder ausgelost. Deren Alter lag zwischen 18 und 85 Jahren.
Viele Bürgerrat-Mitglieder berichteten über positive Erfahrungen im Bürgerrat. „Ich habe mich zuerst überhaupt nicht getraut und gedacht, was soll ich da“, berichtete eine Teilnehmerin. „Es war schön, Impulse zu setzen. Jemand hört das, jemand sieht das“, fasste ein anderer Teilnehmer seine Erfahrung zusammen. Eine dritte Teilnehmerin sagte, es sei wichtig gewesen, zu merken, „dass das Ganze demokratisch abläuft, dass jeder eine Stimme erhält“. Weitere Bürgerrat-Mitglieder berichteten von ihrem Stolz, dabei zu sein, von einem „besonderen Erlebnis mit unbekannten Leuten“ und „viel Spaß“ bei der Bürgerrat-Arbeit. „Bitte mehr davon“, wünschte sich eine der Ausgelosten.
"Bürgerrat ein wichtiges Instrument"
Die Ergebnisse des Bürgerrates wurden am 12. Dezember 2023 in einer Bürgerrat-Konferenz vorgestellt. Am 16. Januar 2024 wurde das Gutachten dann im Bürgerforum diskutiert. Am 31. Januar 2024 hatte der Rat der Stadt die Empfehlungen des Bürgerrates entgegengenommen. Diese wurden in den Fachausschüssen beraten. Der Stadtrat entscheidet prinzipiell, ob alle Empfehlungen oder nur ein Teil davon umgesetzt werden. Seine Entscheidung muss der Rat ausführlich begründen. Sollte ein Teil der Empfehlungen nicht umsetzbar sein, wird auch dies erklärt.
Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen freute sich in einer Stellungnahme, dass Aachen als Vorreiterin in Deutschland erfolgreich den ersten ständigen Bürgerrat in Aachen etablieren konnte. Sie sagte: „Der Bürgerrat ist ein wichtiges Instrument, um Bürgerinnen und Bürger aktiv für eine partizipative Stadtgesellschaft in politische Prozesse einzubeziehen. Als ständige, institutionalisierte Einrichtung geht das Gremium weit über ein Diskussionsforum hinaus. Politik und Verwaltung erhalten so eine unmittelbare Empfehlung aus der Bürgerschaft“.
„Mittel gegen Spaltung der Gesellschaft“
Und weiter: „Demokratie wird nur durch echte Beteiligung gestärkt und festigt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Prozesse. Aachen setzt damit ein klares Zeichen für eine Demokratie, die auf Transparenz, Vielfalt und aktiver Bürgerbeteiligung beruht“.
Die Initiative „Bürgerrat für Aachen“ freut sich über einen Nebeneffekt des Bürgerrates: „Es kommen Menschen aus der Stadt zusammen, die sich sonst nie begegnen würden und sicher auch nicht zusammen über Stadtfragen diskutieren würden. Diese neuen Bekanntschaften werden aber auch nach Ende der Versammlungen fortbestehen und so besteht die Chance, dass die Stadtgesellschaft auf längere Sicht wieder ein wenig zusammenrückt. Der Bürgerrat ist somit auch ein Mittel gegen die Entfremdung und Spaltung der Gesellschaft.“
Empfehlungen in Projekten und Maßnahmen berücksichtigt
Nach Auskunft der Stadtverwaltung aus dem November 2024 wird eine Vielzahl der übergeordneten Empfehlungen bereits in aktuellen Projekten und Maßnahmen der Verwaltung berücksichtigt. Um sicherzustellen, dass die Bearbeitung des umfangreichen Bürgergutachtens des Bürgerrates in einem angemessen zeitlichen Rahmen zielgerichtet abgeschlossen und über den Fortschritt der Umsetzung transparent berichtet werden kann, wurden die 21 Kernbotschaften in drei Kategorien eingeteilt:
- Solche, die aus verschiedenen Gründen nicht umgesetzt werden können.
- Solche, die prinzipiell umsetzbar sind und zu denen bereits Maßnahmen in Planung sind, die bereits umgesetzt wurden oder sich aktuell in Umsetzung befinden.
- Solche, die prinzipiell umsetzbar sind, sich aktuell noch nicht in Umsetzung befinden und zu denen ein entsprechender Beschlussvorschlag durch die Verwaltung formuliert wurde und dem Hauptausschuss vorgelegt wird.
Ausschuss für Umsetzung von Empfehlungen
Am 6. November 2024 hatte der Hauptausschuss der Stadt Aachen einstimmig beschlossen, Empfehlungen des Bürgerrates, die prinzipiell umsetzbar sind und sich aktuell noch nicht in Umsetzung befinden, zu realisieren.
So soll die Leitstelle 'Menschen mit Behinderungen' der Stadt Aachen Anregungen der Kernbotschaft zur Barrierefreiheit prüfen und daraus konkrete Projekte entwickeln. Diese Kernbotschaft lautet: „Unser Anliegen ist es, jede/m zu ermöglichen, selbstständig alle Ziele zu erreichen und am öffentlichen Leben ohne Barrieren teilzunehmen. Aachen soll barrierefrei umgebaut werden, damit behinderte Menschen selbstständig am öffentlichen Leben teilnehmen können.“
Park & Ride und Grünflächen
Ebenso beauftragte der Ausschuss die Verwaltung, das Angebot „Park and Ride“ und die Kommunikation des Angebots weiter zu optimieren. Die Kernbotschaft dahinter lautet: „Unser Anliegen ist es, gut erreichbare und preiswerte Parkmöglichkeiten zu bieten, um bequemer einkaufen zu können, auch für Fahrräder“.
Ebenfalls begrüßte der Hauptausschuss die Idee, Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Bepflanzung und Pflege städtischer Grünflächen einzubinden und beauftragte die Verwaltung damit, eine digitale Version der Grünflächen-Patenschaft zu prüfen. Damit ging der Ausschuss auf die Kernbotschaft zur Bürgerintegration ein, die lautet: „1. Durch Einbeziehung der Bürger erreicht die Stadt schöne Identifizierung und Eigeninitiative bei der Bepflanzung der Grünstreifen, Baumscheiben und Anderes. 2. Die Stadtgärtner werden durch Einbeziehung der Bürger entlastet. 3. Durch die individuelle Bepflanzung der Grünflächen wird die Stadt „bunter“.“
Bürgerrat als ständiges Gremium
Der Rat der Stadt Aachen hatte die Einführung des ständigen Bürgerrates am 30. März 2022 beschlossen. Vorbild ist der Bürgerdialog in der nahen Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) Ostbelgien. Das Parlament der DG hatte bereits 2019 per Gesetz geregelt, wie das Demokratie-Instrument dort gestaltet sein soll. Seitdem fanden in Ostbelgien bereits fünf Losversammlungen statt. Ständige Bürgerräte gibt es außerdem in Brüssel, Kopenhagen, Mailand und Paris.
Bürgerräte sollen auch in Aachen in Zukunft regelmäßig stattfinden. Dafür hat das Gremium eine rechtliche Grundlage und eine dauerhafte Organisationsstruktur. Durch immer wieder neue Bürgerräte sollen Politik und Verwaltung unmittelbare Empfehlungen aus der Bürgerschaft erhalten. Die Mitglieder des Bürgerrates werden jedes Jahr neu bestimmt.