Amerika in einem Raum

06. November 2021
Helena Foundation (CC BY-SA 2.0)

Informierte US-Bürgerinnen und -Bürger befürworten ein konzertiertes Handeln beim Klimaschutz. Das ist das Ergebnis des Projekts „America in One Room“, das das Stanford Center for Deliberative Democracy (CDD) im September 2021 zum Thema „Klima und Energie“ durchgeführt hat. Die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.

Die Ergebnisse des bürgerrat-ähnlichen Projekts sollten den Delegierten der UN-Klimakonferenz 2021 helfen, die Ansichten der US-Bürger zum Klimawandel besser zu verstehen. "Das Ziel ist es, herauszufinden, was die Öffentlichkeit zu tun bereit ist, wenn sie gut über die Vor- und Nachteile einer Reihe von Entscheidungen im Vergleich zu einer anderen informiert ist", erläutert James Fishkin, CDD-Direktor und Professor für internationale Kommunikation und Politikwissenschaft. "Letztendlich dienen die Ergebnisse dazu, zu beurteilen, welche politischen Veränderungen eine informierte amerikanische Öffentlichkeit aus welchen Gründen befürworten würde.“

Fast 1.000 Teilnehmer

Fast 1.000 zufällig geloste Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich zusammen mit einer Kontrollgruppe von mehr als 600 Personen, die nicht an diesem Projekt teilgenommen haben, online eingehend mit mehr als 70 Vorschlägen zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 auseinandergesetzt. Alle Teilnehmer hatten einen Fragebogen und Informationsmaterial zu allen Möglichkeiten bekommen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität eine Option sind. Thematisch ging es um Fragen von Stadtplanung, Verkehr, Energie, Flächennutzung und CO2-Rückholung aus der Atmosphäre.

Waren vor Beginn des Projekts noch 65,7 Prozent der Teilnehmer besorgt über den Zustand der Umwelt in den USA, waren es danach 76,6 Prozent. 76,5 Prozent stimmten nach der Veranstaltung der Meinung zu, dass der aktuelle Wandel des Weltklimas menschengemacht ist. Vor dem Zusammentreffen waren es 65,6 Prozent. Unter den Anhängern der Republikaner wuchs der Anteil von 35 Prozent auf 54 Prozent. Während vor „America in One Room“ 53,7 Prozent die Forderung unterstützten, die USA bis 2050 klimaneutral zu machen, waren es danach 65,6 Prozent. 78,2 Prozent der Teilnehmer unterstützten nach der Veranstaltung „ernsthafte Maßnahmen“ gegen den Klimawandel. Zuvor waren es 62,8 Prozent. Entsprechend wuchs die Bereitschaft, höhere Steuern und Energiekosten zu tragen und weniger Strom zu verbrauchen.

Hohe Teilnahme-Zufriedenheit, viel gelernt

Insgesamt wuchs bei den Teilnehmern durch die Veranstaltung das Wissen über politische Gegebenheiten in den USA und den Klimawandel in allen abgefragten Unterpunkten. Die Zufriedenheit mit der Durchführung von „America in One Room“ bzgl. Information und Diskussion erreichte teilweise Werte über 90 Prozent. 75,2 Prozent der Teilnehmer gaben an, durch die Veranstaltung viel über Menschen gelernt zu haben, die anders sind als sie.  America in One Room hat die "affektive Polarisierung" verringert, sagt der Soziologe Larry Diamond, das heißt "das emotional-psychologische 'Ich hasse die andere Seite'". "Statt manipuliert oder propagiert zu werden fühlen die Teilnehmer sich gestärkt", sagt James Fishkin. "Und sie haben das Gefühl, dass sie eine Meinung haben, die es wert ist, gehört zu werden."

Vorbild des Projekts war eine 2019 ebenfalls unter dem Namen "America in One Room" durchgeführte Zusammenkunft von 526 zufällig ausgewählten Wählerinnen und Wählern, die in Dallas an einer dreitägigen überparteilichen Diskussion über wichtige politische Themen teilnahmen.

Deliberation verändert politische Einstellungen

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten dabei umfassende und ausgewogene Informationen zu fünf Themen erhalten: Einwanderung, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Außenpolitik und Umwelt. Im Laufe von vier Tagen diskutierten sie diese Themen in kleinen, moderierten Gruppen und größeren Plenarsitzungen.

Vor und nach der Veranstaltung hatten die Teilnehmer einen ausführlichen Fragebogen ausgefüllt. Nach der Teilnahme an "America in One Room" hatten sich die Teilnehmer bei fast jedem Thema in Richtung der politischen Mitte bewegt. Außerdem verdoppelte sich der Anteil der Teilnehmer, die der Meinung waren, dass die amerikanische Demokratie "gut funktioniert". Der Anteil derjenigen, die der Meinung waren, dass Menschen mit anderer Meinung "gute Gründe" dafür hatten, stieg um 20 Prozentpunkte. Die Effekte hielten auch langfristig an.

Raus aus den Filterblasen

Mit solchen Veranstaltungen sollen Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen politischen Einstellungen aus ihren "Filterblasen" geholt werden. "Misstrauen und die Spaltung von Menschen in politische Lager sind die Hauptursachen für die Abkehr von demokratischen Grundsätzen. Deliberation ist ein Mittel zur Veränderung der politische Kultur", sagt Larry Diamond über die Wirkung von informierten Beratungen.

"Was in Dallas passiert ist, war magisch", sagt Diamond über die Tiefe und Dauer der Verbindungen, die bei America in One Room 2019 hergestellt wurden. "Zu sehen, wie sich die Amerikaner trotz ihrer großen politischen Unterschiede zusammenschließen, war eine der tiefgreifendsten Erfahrungen meines Lebens."

Bessere Bürger durch geeignete Verfahren

Mit dem „Deliberative Polling“ genannten Verfahren soll gezeigt werden, dass Menschen bessere Bürger werden, wenn in einem geordneten Verfahren der Dialog der Menschen untereinander gefördert wird, erklärt die stellvertretende CDD-Direktorin Alice Siu.

Von 1994 bis 2021 hat das CDD mehr als 110 deliberative Verfahren in 32 Ländern weltweit durchgeführt, darunter in China, der Mongolei, Japan, Südkorea, Bulgarien, Brasilien und Uganda. Damit wurde Regierungen und politischen Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt geholfen, wichtige Entscheidungen zu treffen.

Die Menschen sind klug“

Als Ergebnis der Arbeit des CDD in der Mongolei verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das vorschreibt, dass Verfassungsänderungen ein nationales Deliberationsverfahren durchlaufen müssen. "Die mongolische Regierung hat zum ersten Mal ein deliberatives Verfahren zu Verfassungsänderungen durchgeführt", erklärte Siu, "und das Parlament hat dann tatsächlich die Verfassung auf der Grundlage der Ergebnisse geändert. Das war historisch."

James Fishkin, der seit mehr als 30 Jahren mit Deliberative Polling arbeitet, um gesellschaftliche Probleme zu bearbeiten, ist so optimistisch wie eh und je. "Die Menschen sind klug", sagt er. "Vor allem, wenn man ihnen eine Chance gibt und Bedingungen schafft, unter denen sie tatsächlich miteinander reden können, ohne sich gegenseitig zu beleidigen, und unter denen sie gute Informationen erhalten und gemeinsam über die Herausforderungen nachdenken können, vor denen wir stehen."

Mehr Informationen: America in One Room: Climate and Energy