Zehn demokratische Wege zur Krisen-Vorbeugung

Am 25. Mai 2025 hat ein Europäischer Bürgerrat eine Bürgeragende beschlossen. Inhalt sind „Zehn demokratische Wege zur Krisen-Vorbeugung“. Die Charta ist nun online und steht zur öffentlichen Diskussion zur Verfügung.
Im Beschluss der unter dem Dach der Initiative „Democratic Odyssee“ durchgeführten Losversammlung heißt es: „Unsere Welt verändert sich dramatisch! Wir erleben tiefgreifende Umwälzungen in unserem planetarischen Klima, unserer Geopolitik, unseren Finanzsystemen sowie unseren Gesellschaften, Technologien und Kulturen.
Es ist nicht schwer, sich weitere Krisen in der Zukunft vorzustellen, von Naturkatastrophen über Pandemien bis hin zu Krisen, die unser gemeinsames Schicksal bestimmen werden: Klimakollaps, Abbau des Sozialstaats, grassierende Korruption, Zerfall sozialer Bindungen, zunehmende soziale Unsicherheit, Diskriminierung und Ungleichheit. Die Europäer sehen sich mit dem Gespenst des Krieges konfrontiert.
„Wir können es besser machen“
Die Mitglieder des Bürgerrates 'Demokratische Odyssee' sind der Überzeugung, dass die Europäerinnen und Europäer aus Krisen viel gelernt haben, aber dass wir es besser machen können. Wir rufen die europäische Öffentlichkeit, Politiker, Beamte und Institutionen dazu auf, gemeinsam mit uns einen Vertrauensvorschuss zu geben.
Wir müssen und können diese turbulenten Zeiten besser meistern. Wir müssen dies auf demokratische Weise tun. Behörden und Bürger müssen gemeinsam die Krisen der Zukunft vorherzusehen, sie wo möglich vermeiden und wo nötig bekämpfen. Der Schlüssel dazu lautet: vorbereiten, vorbereiten, vorbereiten. Gemeinsam müssen wir aus ihnen lernen, aus unseren Fehlern und Erfolgen. Nutzen wir unsere kollektive Intelligenz, um zu überlegen, was jetzt getan werden muss, um künftige Krisen zu bewältigen.
Wer hat die Macht?
Wir sollten immer fragen, wer bereits die Macht hat, aber auch, wer sie haben sollte. Sinnvolle Maßnahmen liegen auch in den Händen der Gesellschaften. Ob sie in Notfällen oder in normalen Zeiten handeln, es liegt im Interesse der gewählten Vertreter, auf die Erfahrungen der Menschen aus ihrem realen Leben zurückzugreifen, die oft das beste Fachwissen darstellen. Intelligente Maßnahmen und Entscheidungen hängen jedoch von einer breit zugänglichen demokratischen Kompetenz ab.
Die Democratic Odyssey, eine zufällig geloste Versammlung von 300 Menschen aus ganz Europa und aus allen Lebensbereichen und mit unterschiedlichem Hintergrund, hat sich für ein Jahr zusammengefunden, um Veränderungen für unsere demokratische Landschaft zu entwerfen, die aus der Überzeugung heraus entstehen, dass Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, einbezogen werden müssen.
„Demokratische Teilhabe jenseits von Wahlen neu denken“
Nach unserem Verständnis ist jeder Mensch, der in Europa lebt, eine Bürgerin oder ein Bürger und hat politische Handlungsfähigkeit und trägt Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft. Auf unserer Reise von Athen über Florenz nach Wien haben wir uns in Diskussionen, Geschichtenerzählen, immersivem Theater und Zukunftsvisionen engagiert, um Ideen zu entwickeln, was sich in Europa ändern muss, um unsere Zukunft zu demokratisieren.
Kann das demokratische Ideal wiederbelebt werden? Wir laden alle Bürgerinnen und Bürger ein, demokratische Teilhabe jenseits von Wahlen neu zu denken: als translokal, generationsübergreifend, gegründet auf die Sorge um das Gemeinwohl und in Symbiose mit nicht-menschlichem Leben, eingebettet in alle Aspekte unseres Lebens, von der Familie über die Schule und den Arbeitsplatz bis hin zu öffentlichen Dienstleistungen und allen Ebenen der Regierung.
„Sich gemeinsam auf demokratische Weitsicht verlassen“
Wenn dies gelänge, würden die Menschen vor, während und nach einer Krise ihre eigene demokratische Widerstandsfähigkeit gestalten und dabei lernen, sich gemeinsam auf demokratische Weitsicht zu verlassen.
Unsere Charta zeigt zehn Wege auf, um dieses Ziel zu erreichen. Sie erkennt an, dass Krisen jeden überall treffen können, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Dennoch lassen sich allgemeine Grundsätze für die Schaffung einer demokratischen Welt mit mehr Beteiligung auf unserem Kontinent und darüber hinaus festlegen.
Zehn demokratische Wege zur Krisen-Vorbeugung
1. „Mitmachen ist auch unsere Verantwortung als Bürger!“
2. ‚Unser Geld, unsere Entscheidung!“
3. ‘Nichts über uns ohne uns“
4. „Bildung für Vorausschau“
5. Gemeinschaftlichkeit und Selbstorganisation sind unsere Stärke
6. ‚Wenn Menschen sich bewegen, muss die Demokratie folgen“
7. ‘Transparenz ist nicht verhandelbar“
8. ‚Fürsorge ist das Herzstück der Demokratie“
9. ‘Technologie nutzen, kollektive Intelligenz freisetzen“
10. “Noch ist nicht alles erfunden“
Ein aus Bürgerrat-Mitgliedern zusammengesetzter Rat der Demokratischen Odyssee wird für eine angemessene Weiterverfolgung der in der Charta enthaltenen Empfehlungen sorgen.
Bürgerrat-Start im September 2024
Vom 27. bis 29. September 2024 fand im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Projekts „Democratic Odyssey“ in Athen das erste Treffen eines Europäischen Bürgerrates statt. Es folgten Versammlungen in Florenz und Wien.
Die Democratic Odyssey (Demokratie-Odyssee) setzt sich für einen „Ständigen Bürgerrat für Europa“ ein. Ein breites Bündnis unterstützt den Vorstoß. „Das Vorhaben ist inspiriert von den zaghaften Bemühungen der Europäischen Union (EU), die Bürgerbeteiligung zu institutionalisieren“ heißt es auf der Internetseite des Odyssee-Projekts.. Die EU soll dazu bewegt werden, hier weiter zu gehen als bisher.
Versammlungen in verschiedenen Städten
Der Pilot-Bürgerrat hat sich wie der antiken griechische Sagenheld Odysseus auf eine Reise begeben. Die Losversammlung sollte nicht in Brüssel, sondern in verschiedenen europäischen Städten tagen und sowohl in Präsenzsitzungen als auch online zusammenkommen. „Der Bürgerrat wird somit verschiedene Städte miteinander verknüpfen, da Vertreter der Städte und Bürger aus ganz Europa die verschiedenen Treffen als Brücke verbinden. Sie wird den Keim für weiteres bürgerschaftliches Engagement in jedem Hafen legen“, hieß es zum Auftakt dieses losdemokratischen Projekts.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates kamen aus ganz Europa. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Sie haben mehrsprachig beraten und einen Beitrag zur künftigen Ausrichtung der EU geleistet. Der Pilot-Bürgerrat hatte mit 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und wuchs mit der Ausweitung auf andere Städte weiter. Zu den Mitgliedern der Losversammlung gehörten sowohl Bürgerinnen und Bürger aus den meisten EU-Ländern als auch aus einigen Beitrittsländern sowie zufällig ausgewählte Menschen aus Athen und anderen Städten. Auch Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft wurden einbezogen.
Bürgeragenda für die EU
Der Bürgerrat soll mit einer „Bürgeragenda für die Zukunft der EU“ abgeschlossen werden. Letztendlich sei „das Medium die Botschaft“: Die Organisatoren wollen die nächsten Grenzen der Bürgerbeteiligung erkunden - von der Technik bis hin zu Diskussionsverfahren und demokratischer Vorausschau. Das Verfahren wird als „radikal offen und integrativ“ beschrieben. „Da es sich um einen Pilot-Bürgerrat handelt, sind Experimente und Unvollkommenheit das A und O.“
Die Europäische Union nutzt bereits Bürgerräte als Beteiligungsinstrument. Diese sind jedoch kein ständiges Gremium, sondern werden nach Bedarf einberufen. In den bisherigen Bürgerräten ging es um die Themen Lebensmittelverschwendung, virtuelle Welten, Lernmobilität, Energieeffizienz, Hass in der Gesellschaft und den nächsten langfristigen Haushalt der EU.
Modell für ständigen Bürgerrat
Bereits 2022 hatte die Bertelsmann-Stiftung in einem Bericht ein Modell für einen ständigen Bürgerrat vorgestellt. Der Vorschlag orientiert sich am Modell des ständigen Bürgerdialogs in Ostbelgien. Danach sollen die EU-Bürgerräte jährlich tagen. Die Losversammlungen sollen aus 204 Mitgliedern aus allen EU-Mitgliedsstaaten bestehen, die in fünf bis acht Sitzungen ihre Empfehlungen entwickeln. Themenvorschläge sollen aus den EU-Institutionen oder aus der Bevölkerung kommen können.
Auch von der globalen Bürgerrat-Organisation "DemocracyNext" gibt es einen Vorschlag zur Organisation von Bürgerräten auf EU-Ebene.