Tempelhofer Feld: Dialog statt Streit
Die Nutzung des Tempelhofer Feldes in Berlin ist seit langem umstritten. Nun hat am 3. Juli 2024 ein ein gelostes Bürgerbeteiligungsverfahren zur Zukunft des Areals begonnen.
„Dieser Dialog ist Ihr Beitrag zu einer offenen, sachlichen und demokratischen Auseinandersetzung zum Tempelhofer Feld“, begrüßte Michael Künzel von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen die Anwesenden auf dem überdachten Vorfeld des Flughafens Tempelhof. Mit dem Bebauungsverbot durch den Volksentscheid von 2014 sei der Stadt eine Denkpause auferlegt worden. „Und diese Denkpause wollen wir nutzen, um nachzudenken, was wäre denn, wenn das Feld anders entwickelt wird, als es heute ist.“ Fabian Schmitz-Grethlein von der Tempelhof Projekt GmbH spielte auf die wechselvolle Geschichte und Nutzung des Geländes an: „Der Flughafen ist schon immer ständig im Werden, nie im Sein.“
275 Teilnehmer
Was in Zukunft mit dem Tempelhofer Feld passieren könnte, steht im Fokus des Dialogprozesses. 275 zufallsausgewählte Berlinerinnen und Berliner sind eingeladen, sich mit verschiedenen Perspektiven breit und offen zu beschäftigen. Die Teilnehmenden für die Dialogwerkstätten waren im Vorfeld ausgelost worden: 20.000 Menschen aus dem Berliner Einwohnermelderegister waren angeschrieben und um Teilnahme gebeten worden. Von den rund 1.000 Interessierten hatten dann 275 Losglück.
Die Teilnehmer werden sich an zwei Wochenenden im September intensiv mit dem Tempelhofer Feld beschäftigen, Fachwissen zu Themen wie Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Klima- und Naturschutz, Gemeinwohl und Freiräume vermittelt bekommen, unterschiedliche Perspektiven für die Zukunft breit und offen diskutieren und gemeinsam Empfehlungen entwickeln. Diese fließen in einen anschließenden internationalen Ideenwettbewerb ein.
Wie mit dem Tempelhofer Feld umgehen?
Im Dialogprozess soll berücksichtigt werden, wie es bisher genutzt wird und wie sich der voraussichtliche Bedarf für den Wohnungsbau entwickelt. Weitere Gesichtspunkte sind die Nutzungswünsche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Bedeutung des historischen Flughafengebäudes mit Blick auf Folgen für die Entwicklung und Nutzung des Areals. Die Ergebnisse sollen in die Aufgabenstellung des anschließenden internationalen planerischen Ideenwettbewerbs einfließen.
Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler erklärte dazu: „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Dialogwerkstatt treffen keine Entscheidung darüber, ob das Tempelhofer Feld an den Rändern bebaut wird oder nicht. Die Dialogwerkstatt soll einen offenen und wertschätzenden Beitrag leisten zur Frage, wie Berlin in Zukunft mit dem Tempelhofer Feld umgehen soll. Umso wichtiger ist es, dass die jetzt angeschriebenen Menschen engagiert in der Dialogwerkstatt mitarbeiten und ihre Ideen und Vorstellungen einbringen können.“
Volksentscheid 2014
Das Tempelhofer Feld ist das ehemalige Flugfeld des früheren Flughafens Tempelhof. Das heute als Park und Freizeitfläche genutzten Gelände hat eine Gesamtfläche von etwa 304 Hektar. Etwa 90 Prozent gehören zum Bezirk Tempelhof-Schöneberg, rund 10 Prozent zum Bezirk Neukölln.
Am 25. Mai 2014 hatten die Berliner in einem Volksentscheid über Volksbegehren „100 % Tempelhofer Feld“ ein vollständiges Bauverbot für das ehemalige Flugfeld beschlossen. 68,2 Prozent der Abstimmenden hatten dafür votiert. Die vom Abgeordnetenhaus von Berlin zur Alternative gestellte Vorlage sah eine moderate Randbebauung und den Schutz der 230 Hektar großen zentralen Grünflächen des inneren Feldes vor. Für diese Vorlage votierten aber nur 44,3 Prozent der Abstimmenden. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 46,1 Prozent.
Längere Vorgeschichte
Die Debatte über die (Nach-)Nutzung des Feldes hat jedoch eine längere Vorgeschichte. Sie steht bereits seit dem politischen Beschluss der Länder Berlin, Brandenburg und des Bundes im Jahr 1996, die beiden innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel zugunsten des in Schönefeld gelegenen Willy-Brandt-Flughafens (BER) zu schließen, im Raum.
Während das Flughafengebäude als Denkmal von Welterbeformat und mit einer bewegten Vergangenheit aufgrund der gegebenen Gebäudestruktur und des Denkmalschutzes nur begrenzte Nutzungs- und Veränderungsmöglichkeiten bietet, sieht dies für das Tempelhofer Feld anders aus. Folgerichtig konzentrierten sich viele der stadtentwicklungspolitischen Debatten auf die Frage der Nutzung des Feldes. Die vorgebrachten Ideen lagen dabei teils weit auseinander und die öffentliche Debatte war immer wieder von starken Polarisierungen geprägt.
„Es bedarf einer neuen Debatte“
Die bei der Wiederholungswahl im Jahr 2023 gewählte Regierungskoalition aus CDU und SPD hat in ihren „Richtlinien der Regierungspolitik 2023 - 2026“ zur Zukunft des Tempelhofer Felds vereinbart:
„Es bedarf angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014 einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb wird der Senat die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten. Der weit überwiegende Teil der Freifläche bleibt bei einer klimagerechten Gesamtgestaltung für Erholung, Freizeit, Sport und Kultur gesichert. Das Feld soll einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität Berlins leisten.
„Neubewertung durch Berliner maßgeblich“
Mit der Randbebauung sollen Wohnquartiere mit breiten sozialen Angeboten für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Stadtgesellschaft geschaffen werden. Der Wohnungsbau soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft LWU sowie gemeinwohlorientierten Genossenschaften vorbehalten und im Betrieb klimaneutral sein. Die Nutzung dezentraler und stadtverträglicher erneuerbarer Energien und die Begrünung werden einen zusätzlichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Zu dieser Frage gesamtstädtischer Bedeutung ist für den Senat die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich.“
Das Berliner Abgeordnetenhaus hatte die vorgelegten Richtlinien der Regierungspolitik in seiner Sitzung am 25. Mai 2023 gebilligt.
Dialog statt Auseinandersetzung
Angesichts der Komplexität, aber auch der Konfliktträchtigkeit des Themas, möchte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen die öffentliche Verständigung mit einer „Dialogwerkstatt“ anstoßen. Anstatt die verschiedenen Interessengruppen in eine öffentliche Auseinandersetzung um „die richtige Lösung“ aufeinander treffen zu lassen, soll sich zunächst eine Gruppe von etwa 250 zufallsgelosten Einwohnerinnen und Einwohnern mit ihren Erwartungen und Vorstellungen für das Tempelhofer Feld äußern. Die verschiedenen Akteure rund um das Tempelhofer Feld werden eingeladen, sich in diesen Prozess als Wissens- und Erfahrungsträger einzubringen.
Es ist vorgesehen, den Dialogprozess mit dem integrierten internationalen stadt- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerb sowie einer begleitenden öffentlichen Beteiligung im Zeitraum von Mai 2024 bis Mitte/Ende 2025, vorbehaltlich politischer Entscheidungen, durchzuführen. Ziel ist es, sich mit einem stadtweiten Dialogprozess qualifiziert einer Neubewertung des Tempelhofer Feldes und einer möglichen Änderung des Gesetzes zum Tempelhofer Feld anzunähern.
„Pläne demokratiegefährdend“
Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ kritisiert das komplette Vorhaben. Sprecherin Anita Möller sagt: „Die Pläne des Senats sind vorgeschoben, unehrlich und demokratiegefährdend.“ Dies umso mehr, als die Frage, ob das Feld bebaut werden soll oder nicht, gar nicht auf der Tagesordnung der Dialogwerkstätten steht.
Die Linke kritisiert, dass weder der Ideenwettbewerb noch der Bürgerdialog ergebnisoffen seien. Die Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg sprach von einer "Fake-Beteiligung", da für die Koalition längst feststehe, dass sie die Bebauung am Ende durchsetzen und bis zum Ende der Legislaturperiode Fakten schaffen wolle.
Widerspruch zu Beteiligungsleitlinien
Hendrikje Klein sieht als Sprecherin für Bürgerbeteiligung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus einen Widerspruch zu den städtischen Bürgerbeteiligungsleitlinien: „Dadurch, dass die Diskussion auf einen Aspekt, nämlich das Wie einer Randbebauung begrenzt wird, werden die Leitlinien ad absurdum geführt.“
Die Grünen sprechen von einer Nebelkerze. Angesichts der bereits ausgewiesenen Flächen für fast 250.000 Wohnungen seien die geplanten 5.000 Einheiten am Tempelhofer Feld gar nicht erforderlich, sagte der grüne Stadtentwicklungsexperte Julian Schwarze. Wegen der langen Planungszeit könnten sie frühestens in zehn Jahren die Wohnungsnot lindern.
„Bebauung nicht vertretbar“
Für den BUND „gibt es nachgewiesenermaßen keinen Ort auf dem Feld, auf dem eine Bebauung vertretbar wäre“. Das Feld sei ein in der Klimakrise immer wichtiger werdendes Kaltluftentstehungsgebiet für die dicht bebaute Umgebung. Betrachte man nur diese Perspektive, dürfe es keine Randbebauung geben, es müsse eine Bebauung in der Mitte erfolgen. Aus Artenschutzgründen wäre das fatal, hier käme nur eine Randbebauung in Betracht. Damit verbiete sich allein aus diesen beiden Aspekten jegliche Bebauung.
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