Steuern und Finanzen: Was ist gerecht?

Im Mai und Juni 2025 berät eine zufällig geloste Bürgerdebatte in Erfurt über das Thema Steuer- und Finanzgerechtigkeit. Seit dem 24. März können sich alle Interessierten online in die Diskussion einbringen.
Ziel der „Bürgerdebatte gerechte Steuern und Finanzen“ ist es, eines der herausforderndsten und gleichzeitig wichtigsten Themenfelder der kommenden Bundesregierung aufzugreifen und die Diskussion in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
Getragen wird das Beteiligungsprojekt von einem zivilgesellschaftliches Bündnis aus dem Netzwerk Steuergerechtigkeit, dem Bund der Steuerzahler und dem Verein „Mehr Demokratie“.
Menschen fühlen sich getäuscht
Zur Begründung der Bürgerdebatte verweisen die Initiatoren auf eine aktuelle Umfrage für das ZDF-Politbarometer. Darin hatte eine Mehrheit der Befragten zwar das kürzlich verabschiedete Sondervermögen von über 500 Milliarden Euro befürwortet, fast drei Viertel der Befragten hatten aber angegeben, sich vom voraussichtlich nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) getäuscht zu fühlen.
Merz hatte vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 hohe zusätzliche Schulden abgelehnt. Nach der Wahl hatte Merz seine Meinung zu diesem Thema mit Verweis auf die aktuelle politische Lage geändert.
Grundgesetz-Änderung beschlossen
Der Bundestag hatte am 18. März 2025 mehrere Änderungen des Grundgesetzes beschlossen, die Bund und Ländern die Aufnahme neuer Schulden in Höhe mehrerer hundert Milliarden Euro ermöglichen. Die neuen Schulden dienen der Finanzierung von Verteidigung und Sicherheit und der Stärkung der Infrastuktur.
Geld soll außerdem in das Verkehrs- und Energienetz, in Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Digitalisierung fließen. Außerdem müssen Mittel aus dem Sondervermögen für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 verwendet werden.
Fragen und Antworten
Die Bürgerdebatte setzt bei der Frage gerechter Steuern und Finanzen an. Sie begleitet den neuen Bundestag bei seinen ersten 100 Tagen im Amt und macht Vorschläge aus der Mitte der Gesellschaft, wie Steuern und Finanzen gerechter gestaltet sein können.
In der Online-Beteiligung zur Bürgerdebatte auf der Beteiligungsplattform make.org geht es um zwei Fragen
- Was können und wollen wir uns als Gesellschaft leisten?
- Und wer soll das dann bezahlen?
Bei den Antworten steht im Mittelpunkt:
- Welche Aufgaben soll der Staat übernehmen?
- Wie finanziert er sie?
- Was ist machbar?
- Was ist gerecht?
Interessierte können bis zum 4. Mai 2025 eigene Ideen einreichen und über Vorschläge anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Debatte abzustimmen.
„Thema besprechbar machen“
„Sondervermögen, Milliarden für Investitionen, Aufweichung der Schuldenbremse hören wir derzeit auf allen Kanälen. Doch wer fühlt sich sattelfest und kann sachkundig mitreden? Wir wollen mit der losbasierten Bürgerdebatte das unübersichtliche Thema Steuern und Finanzen besprechbar machen“, so Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand von Mehr Demokratie. Er hält die Bürgerdebatte für das richtige Instrument, da losbasierte Formate aus seiner Erfahrung konstruktive Prozesse bei kontroversen und komplexen Themen ermöglichen.
Unter der Leitfrage „Wer soll das alles zahlen?“ debattieren vom 28. Mai bis 1. Juni und vom 27. bis 29. Juni 40 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger an zwei Wochenenden in Erfurt über ihre eigenen Ideen und Wertvorstellungen. Außerdem hören sie Vorträge von Expertinnen und Experten und bekommen die Vorschläge der Online-Beteiligung präsentiert.
Leitlinien für Steuer- und Finanzpolitik
Ziel der Debatte ist es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Lage zu versetzen, über dieses komplexe Thema sachkundig zu diskutieren. Statt eines festen Empfehlungskatalogs geht es darum, Konfliktlinien aufzuzeigen und einzelne Vorschläge beispielhaft zu diskutieren. So entsteht am Ende ein wertebasiertes Gesamtbild mit Leitlinien für die Steuer- und Finanzpolitik.
Die Ergebnisse der Bürgerdebatte werden anschließend veröffentlicht und in einer öffentliche Debatte auch Politikerinnen und Politiker übergeben, die für Fragen von Steuern und Finanzen zuständig oder wichtig sind.
2.000 Personen ausgelost
Zur Gewinnung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Losversammlung wurden in einem ersten Schritt zehn Städte und Gemeinden aus dem ganzen Bundesgebiet ausgewählt: Bad Salzungen, Bannewitz, Hannover, Leimen, Neutraubling, Neuwied, Regensburg, Uetersen, Wenden und Wiesbaden.
Aus deren Melderegistern wurde eine Zufallsstichprobe aus allen gemeldeten Einwohnerinnen und Einwohnern ab 16 Jahren gezogen. An die so gewonnenen 2.000 Adressen wurden am 4. April Einladungen zur Teilnahme an der Losversammlung geschickt.
Vielfalt der Bevölkerung abgebildet
Mit Hilfe der Zufallsauswahl entsteht eine Gruppe von Personen, die die Vielfalt der Bevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht, geografischer Herkunft, Größe des Wohnortes, Migrationshintergrund, politischer Zuordnung zu Parteien und Haltung zu Steuern und Finanzen möglichst gut widerspiegelt. Außerdem sollen gezielt die Menschen angesprochen werden, die sich sonst nicht für Politik interessieren.
Um diese Menschen auch persönlich anzusprechen, schwärmen im April freiwillige Helferinnen und Helfer in die ausgelosten Orte aus, um die ausgelosten Personen an der Haustür anzusprechen und sie noch einmal zur Teilnahme einzuladen. Dieses sogenannte aufsuchende Losverfahren soll die Zahl der Rückmeldungen auf die schriftliche Einladung erhöhen und vor allem Menschen ansprechen, die sonst nicht teilnehmen würden. Organisiert wird das Aufsuchen vom darin erfahrenen Verein „Es geht LOS“.
Aufwandsentschädigung und Kostenerstattung
Aus den Rückmeldungen, in denen die Teilnahme-Interessierten weitere Angaben zur Person machen, werden in einem zweiten Schritt die Mitglieder der Bürgerdebatte ausgelost. Die Auswahl erfolgt über ein Zufallsalgorithmus, der sicherstellt, dass die Gruppe die Vielfalt der Bevölkerung abbildet.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Losversammlung in Erfurt erhalten für ihr Engagement eine Aufwandsentschädigung von 600 Euro. Außerdem werden die Reise- und Übernachtungskosten übernommen.
Die Bürgerdebatte wird finanziell unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung, der Schöpflin Stiftung und der GLS Treuhand.
Machbarkeitsstudie zu Bürgerrat
Bereits 2023 hatte das Netzwerk Steuergerechtigkeit mit Unterstützung der Robert Bosch-Stiftung in einer Machbarkeitsstudie analysiert, inwiefern sich das Thema „Gerechtigkeit und Steuern“ für einen bundesweiten Bürgerrat eignet. Zentraler Teil war ein Pilot-Projekt, in dem zufällig ausgeloste Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber diskutiert hatten, was sie in Deutschland als ungerecht empfinden. Darüber hinaus hatten sie gemeinsam einen Fragestellungsvorschlag für einen zukünftigen Bürgerrat entwickelt: "Zwischen Leistung und Respekt: Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?"