Sieben Ziele für bessere Mobilität in Köln

17. Juni 2025
C. Ehrchen

Wie möchten wir uns in unserem Stadtviertel bewegen? Was trägt dazu bei, dass wir uns wohlfühlen? Zu diesen Fragen hat der erste Kölner Bürgerrat von März bis Mai 2025 sieben Ziele und mehr als 100 Ideen entwickelt. Am 16. Juni 2025 wurde der Abschlussbericht der Losversammlung veröffentlicht. 

Am Bürgerrat hatten 55 Kölnerinnen und Kölner teilgenommen, die per Losverfahren ausgewählt worden waren. Sie hatten mithilfe von Fachleuten in einem moderierten Verfahren ein stadtweites Konzept entwickelt, wie künftig die Straßen und Plätze in Quartieren mit überwiegender Wohnnutzung in Köln aussehen könnten.

Sieben Ziele

Was den Mitgliedern des Bürgerrats bei der Entwicklung der Stadtviertel besonders wichtig ist, zeigen die folgenden Ziele:

  1. Die Maßnahmen der Stadt Köln sollen eine höhere Verkehrssicherheit bewirken.
  2. Die Maßnahmen sollen eine größtmögliche Barrierefreiheit sicherstellen.
  3. Die Maßnahmen sollen eine zugängliche, umweltfreundliche Mobilität ermöglichen.
  4. Die Maßnahmen sollen die Lebensqualität im Quartier steigern.
  5. Die Maßnahmen sollen zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen.
  6. Der Umsetzung der Maßnahmen soll eine transparente Beteiligung vorausgehen.
  7. Die Maßnahmen sollen Begegnung, Aktivierung und Engagement im Quartier fördern.

Mehr als 100 Ideen

Die Bürgerrat-Mitglieder haben mehr als 100 Maßnahmen benannt, wie die Stadt Köln die Ziele erreichen kann. Welche Maßnahmen ausgewählt und konkret umgesetzt werden, entscheidet sich bei den Projekten vor Ort. Die Vorschläge reichen von Gestaltungselementen in den Wohnstraßen über Maßnahmen auf Quartiersebene bis hin zur Aktivierung der Anwohnerinnen und Anwohner.

Auch mögliche Konflikte haben die Mitglieder des Bürgerrates mitbedacht. Sollen Parklätze erhalten bleiben oder die Fläche für neue Aufenthaltsbereiche oder Sharing-Angebote genutzt werden? Ideen wie die Nutzung von Supermarktparkplätzen nach Geschäftsschluss finden sich in den Ergebnissen des Bürgerrates wieder.

41 Kriterien für Rangfolge-Festlegung

Zur Festlegung einer Rangfolge hat der Bürgerrat 41 Anforderungen entwickelt. Diesen Empfehlungen entsprechend sollen die Quartiere vorrangig umgestaltet werden, die folgende Anforderungen erfüllen:

  1. Quartiere, in denen es viele Unfälle und Gefahren gibt
  2. Quartiere, in denen es besonders heiß wird
  3. Quartiere, in denen viele Menschen auf engem Raum leben
  4. Quartiere mit schlechter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr
  5. Quartiere mit schlechtem Radwegenetz

Vorschläge zur Öffentlichkeitsbeteiligung

Der Bürgerrat empfiehlt eine frühzeitige und umfassende Beteiligung möglichst aller Menschen vor Ort. Auch dazu wurden zahlreiche Vorschläge gesammelt, welche Gruppen üblicherweise berücksichtigt werden sollten, welche Formate sich jeweils eignen und über welche Kanäle die Menschen jeweils informiert werden könnten. Je nach Gegenstand und Zielgruppe schlägt die Losversammlung unterschiedlich intensive Beteiligungsverfahren vor.

Bereits bei der Wahl der Formate soll die Stadt auf Wünsche und Impulse aus den Quartieren eingehen. Von der reinen Informationsweitergabe über eine Veedels-App bis hin zu Quartiers-Bürgerräten reichen die Ideen. Ein Quartiers-Bürgerrat, dessen Mitglieder per Zufall ausgewählt werden, könnte vermitteln und helfen, gute Kompromisse zu finden.

Mitglieder des Bürgerrates haben ihre Beratungsergebnisse am 8. Juli 2025 in einem Fachgespräch dem Verkehrsausschuss und dem Ausschuss für Bürgerbeteiligung, Anregungen und Beschwerden des Stadtrates vorgestellt. Bis spätestens Anfang 2026 soll auf Grundlage der Bürgerempfehlungen ein Konzept für die nachhaltige und lebenswerte Gestaltung der Stadtviertel entstanden sein.

7.000 Einladungen

Zur Gewinnung von Mitgliedern für den Bürgerrat hatte die Stadt 7.000 Personen aus einer zufällig gezogenen Stichprobe des Melderegisters angeschrieben. 1.395 Eingeladene (19,9 Prozent) hatten sich für eine Teilnahme beworben. 

Weil es immer bestimmte Gruppen gibt, die über schriftliche Einladungen nur schwer erreicht werden und in öffentlichen Debatten meistens nicht ausreichend Gehör finden, wurden neun Bürgerrat-Mitglieder über Multiplikatoren eingeladen. Hier gab es eine enge Zusammenarbeit mit der Sozialraumkoordination in Köln sowie der Kölner Freiwilligen Agentur als stadtgesellschaftlicher Teil des kooperativen Büros für Öffentlichkeitsbeteiligung.

Diese Organisationen hatten Menschen angesprochen, die häufig aus sozial oder ökonomisch benachteiligten Verhältnissen kommen und teilweise das Vertrauen in demokratische und politische Prozesse verloren haben oder sich davon nicht angesprochen fühlen. Dazu zählen beispielsweise Menschen mit Armutserfahrungen, niedrigem Einkommen, eingeschränktem Bildungszugang, Migrationshintergrund oder Behinderung. Über die Multiplikatoren konnten soziale Einrichtungen und Organisationen erreicht werden, die wiederum direkten Kontakt zu den stillen Gruppen haben und die Menschen persönlich zum Bürgerrat einladen konnten.

"Wichtiger Schritt für mehr Bürgerbeteiligung"

Die per Brief oder über die Multiplikatoren Eingeladenen hatten per Online-Formular oder postalisch über einen Rückmeldebogen Angaben zu Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnort, Migrationshintergrund, Form des privaten Haushalts und Verkehrsverhalten gemacht. Anhand dieser Angaben wurden mit Hilfe des geschichteten Losverfahrens 60 Personen für den Bürgerrat so ausgewählt, dass sie nach den gemachten Angaben ein Abbild der Kölner Bevölkerung sind. Fünf aus diesen Bewerbungen Eingeladene erschienen jedoch nicht. Alle Bürgerrat-Mitglieder haben für ihr Engagement eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro erhalten.

Viele Bürgerrat-Mitglieder zeigten sich von der Losversammlung sehr beeindruckt. „Ich möchte gar nicht inhaltlich werden. Aber in diesen schwierigen Zeiten ist es wie eine Erlösung, herzukommen und zu sehen, wie 60 wildfremde Menschen freundlich und auf Augenhöhe diskutieren, selbst wenn man nicht einer Meinung gewesen ist", fasste ein Teilnehmer seine Eindrücke zusammen.

Ein anderes Bürgerrat-Mitglied meinte: „Ich fand das alles hoch spannend. Es hat mir jede Menge neue Erkenntnisse gebracht und Antworten auf Fragen, die ich mir vorher nie gestellt habe.“ Ein besonderer Wunsch: „Das Format der Bürgerräte sollte in Köln weiter fortgeführt werden.“

Fünf Bürgerrat-Sitzungen

Der Bürgerrat hatte vom 28. März bis zum 11. Mai 2025 in fünf Sitzungen Empfehlungen zum Thema "Mobil im lebenswerten Quartier" entwickelt. Diese umfassen Maßnahmen, mit denen die Kölner Viertel in Zukunft nachhaltig und lebenswert gestaltet werden können. Das Konzept soll zeigen, anhand welcher Kriterien geeignete Räume in Köln priorisiert werden und wie die Kölnerinnen und Kölner bei der Umsetzung beteiligt werden können.

Begleitet und unterstützt wurden die Bürgerrat-Mitglieder durch Fachleute aus der Verwaltung und einer externen Beratung. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Planung und Zivilgesellschaft haben Ihnen das nötige Hintergrundwissen vermittelt.

Aufgaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Ziel des Bürgerrates war es, Empfehlungen für die stadtweite Konzeption zur zukunftsfähigen Straßenraumgestaltung in den Kölner Vierteln zu erarbeiten. Hierzu haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

  1. Ziele für die Gestaltung von Straßenräumen entwickelt
  2. konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele vorgeschlagen
  3. Kriterien dazu erarbeitet, welche geeigneten Räume hierfür vorrangig zu nutzen sind und
  4. Ideen zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Umsetzung entwickelt

Der Bürgerrat wurde vom städtischen Büro für Öffentlichkeitsbeteiligung organisiert. Durchführer waren der Beteiligungsdienstleister ifok sowie der Verein "Zukunftsrat Köln". Zusammen mit dem Amt für nachhaltige Mobilitätsentwicklung hatten diese drei Träger eine Steuerungsgruppe gebildet. 

Das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) der Bergischen Universität Wuppertal hat die Losversammlung wissenschaftlich begleitet. Expertinnen und Experten des Instituts waren bei allen Sitzungen anwesend. Sie haben den Verlauf protokolliert und Mitglieder des Bürgerrates befragt. Qualität und Wirkungen des Verfahrens werden in einem Abschlussbericht bewertet.

Planungszellen 1979

Mit dem Bürgerrat ist Köln nach 46 Jahren zur Losdemokratie zurückgekehrt. Bereits 1979 hatten 250 Kölnerinnen und Kölner in zufällig gelosten Planungszellen Vorschläge zur Gestaltung des Bereichs um das historische Rathaus und und den aus dem Mittelalter stammenden Veranstaltungsort Gürzenich gemacht.

Ein Bürgergutachten dokumentierte auf 124 Seiten die von den Ausgelosten erarbeiteten Empfehlungen. Auffallend waren die Abweichungen der Vorschläge zur Flächennutzung durch die Architektinnen und Architekten auf der einen und die Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

Wohnungen statt Büros

Während die Architektur-Fachleute für die Wohnnutzung nur einen Anteil von 19,4 Prozent vorgeschlagen hatten, hatten die Planungszellen-Mitglieder einen Anteil von 48,7 Prozent empfohlen. Die Bürgerinnen und Bürgern wollten der Verwaltungsnutzung nur einen Anteil von 6,2 Prozent einräumen, die Architektinnen und Architekten hingegen 35,5 Prozent.

Der Stadtentwicklungsausschuss des Stadtrates stimmte am Ende dem Vorschlag der Losversammlung zu. 

„Planung auf den Kopf gestellt“

„Auswärtige Beobachter sprachen davon, dass die vorausgegangene Planung durch das Bürgergutachten ‚auf den Kopf gestellt‘ wurde“, schrieb Planungszellen-Erfinder Prof. Peter C. Dienel in seinem Buch „Bürger planen das Rathausviertel“ über das Beteiligungsverfahren in Köln. Prof. Dienel war als Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren an der Gesamthochschule Wuppertal Impulsgeber des Kölner Beteiligungsverfahrens. Die praktische Durchführung des Kölner Verfahrens lag in den Händen der Forschungsstelle.

Was hat die Verwaltung aus dem Beteiligungsverfahren gelernt? „Das Experiment des Einsatzes des Planungszellenverfahrens unter großstädtischen Bedingungen in Köln ist im Ganzen positiv verlaufen“, fasste der seinerzeitige städtische Beigeordnete Dr. Rüdiger Göb die gemachten Erfahrungen zusammen.  Ein Erfahrungsbericht der Stadt Köln zur Erarbeitung des Bürgergutachtens empfahl die weitere Anwendung des Planungszellenverfahrens. Trotzdem ließ die Rückkehr der Losdemokratie nach Köln 46 Jahre auf sich warten.

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