Parteienfinanzierung: „Wir müssen reden“

In Belgien ist die Reform der Parteienfinanzierung politisch festgefahren. Eine Gruppe von Denkfabriken und die Bürgerplattform G1000 starten deshalb gemeinsam die Bürgerdebatte „We Need To Talk“. Sie hoffen, dass die Bürger die Debatte in Gang bringen können.
Die belgischen Parteien erhalten jedes Jahr mehr als 75 Millionen Euro an Subventionen. In der Praxis ist dieser Betrag sogar doppelt so hoch, wie eine kürzlich durchgeführte Untersuchung der KU Leuven gezeigt hat, da die Fraktionsmitarbeiter, die vom Parlament bezahlt werden, in Wahrheit oft für die Parteien arbeiten. Die tatsächliche Subvention beläuft sich somit auf 160 Millionen Euro.
80 Prozent der Einnahmen der Parteien stammen aus staatlichen Subventionen. Bezogen auf die Zahl der Wähler erhalten die belgischen Parteien doppelt so viel Steuergelder wie ihre deutschen, dänischen oder schwedischen Kollegen und viermal so viel wie die niederländischen Parteien.
Belgische Parteien sind reich
Im Vergleich zu anderen Ländern haben die belgischen Parteien viel Geld. Dies zeigt sich an den hohen Beträgen, die die Parteien jährlich für Werbung in sozialen Medien wie Facebook, Instagram und Twitter ausgeben. Die belgischen Parteien haben 2022 einen Rekordbetrag von 5 Millionen Euro für Werbung in den sozialen Medien ausgegeben, womit das Land Europameister ist. In den Top 10 der europäischen Politiker mit den höchsten Social Media-Ausgaben finden sich sieben Belgier.
Die Idee dahinter ist, dass die Parteien auf diese Weise nicht von Firmenspenden abhängig sind und damit nicht anfällig für Korruption werden. Fachleute warnen jedoch seit langem, dass das System zu weit gegangen sei.
„Geld beeinflusst Handeln der Parteien“
"All das Geld beeinflusst natürlich das Handeln der Parteien", sagt die Schriftstellerin und Philosophin Alicja Gescinska, die als Sprecherin des Projekts fungiert. "Statt Politik zu machen, führen sie permanent Wahlkampf. Infolgedessen hat die Bedeutung von Wahlergebnissen stark zugenommen. Sie bestimmen nicht nur, wie viele Sitze man gewinnt, sondern auch, wie viel Geld man verdienen kann.“
Die Regierung unter Ministerpräsident Alexander De Croo hat sich in ihrem Koalitionsvertrag eine Reform der Parteienfinanzierung vorgenommen, doch diese Reform ist ins Stocken geraten. Alle Parteien sind sich einig, dass sich etwas ändern muss, aber nicht darüber, wie das neue System aussehen soll.
Blockade auflösen
Dies zeigte sich auch am 1. Februar 2023 im Verfassungsausschuss des Parlaments, der sich mit der Parteienfinanzierung befasst. Ein Expertenausschuss hatte Ende 2022 einen Bericht mit Vorschlägen vorgelegt. Dennoch hatte der Ausschuss beschlossen, neue Anhörungen durchzuführen.
Mit der Initiative "We Need To Talk" will eine Gruppe von Think Tanks und Organisationen, darunter Itinera, die Friday Group, das Egmont Institute und David Van Reybroecks G1000, die Blockade durch eine Bürgerdebatte lösen.
„Einen anderen Ansatz wählen“
„Es an der Zeit, einen anderen Ansatz zu wählen. Wenn sich die Politiker nicht selbst aus der Affäre ziehen können, sollten wir die Bürger fragen, wie sie vorgehen sollen“, heißt es auf der Internetseite der Bürgerdebatte. Die Bürger hätten etwas zu sagen, besonders heute. „Sie müssen keine Rücksicht auf politische Strategien und Wahlen nehmen, können also frei denken und Vorschläge machen. Außerdem werden die politischen Parteien in Belgien größtenteils mit Steuergeldern finanziert. Ist es dann nicht sinnvoll, dass die Bürgerinnen und Bürger über ihre Finanzierung mitbestimmen können?“, so die Argumentation.
Alle erkennen an, dass das System geändert werden muss", erklären die Organisationen. „Einige Parteien verfügen über ein so großes Vermögen, dass sie einen Teil ihrer Mittel in Immobilien oder an der Börse anlegen. Es gibt praktisch keine unabhängige Kontrolle der Parteienfinanzierung. Experten des Europarats kritisieren unser Land seit Jahren in dieser Hinsicht.“ Die derzeitigen Vorschriften seien mehr als 30 Jahre alt.
Alle Bürger konnten mitwirken
In der ersten Phase der Bürgerdebatte konnten alle Bürgerinnen und Bürger ihren Beitrag leisten. Über die Online-Plattform Rhetorik konnten Interessierte bis zum 24. März 2023 ihre Meinung zu Vorschlägen wie "Politische Parteien sollten ihr Geld an der Börse anlegen dürfen" und "Unternehmen sollten politischen Parteien Geld spenden können" äußern.
Die Antworten dienen als Anregung für den Bürgerrat, der vom 25. März bis zum 14. Mai 2023 tagt. 16.200 zufällig geloste Personen haben hierfür eine Einladung erhalten. Am Ende blieben 60 Bürgerinnen und Bürger übrig, die drei Wochenenden lang darüber beraten, wie die politischen Parteien finanziert werden sollen. Sie werden von unabhängigen Fachleuten alle dazu notwendigen Informationen erhalten, sich mit den politischen Parteien austauschen, um deren Ansichten zu erfahren und darüber informiert werden, was die breite Öffentlichkeit bewegt.
Die Politikwissenschaftler Bart Maddens (KU Leuven), Jean Faniel (CRISP) und Ingrid van Biezen (Universität Leiden) stellen dem Bürgerrat Informationen zur Verfügung. Auch die politischen Parteien können sich zu Wort melden.
Diskussion in Kleingruppen
Nach der Informationsphase beraten die Bürgerrat-Teilnehmer untereinander. In kleineren Arbeitsgruppen können alle ihre Perspektiven einbringen. Sie diskutieren, worauf jeder Wert legt, und formulieren am Ende der Beratungen eine Reihe von Empfehlungen. Spätestens im Juni 2023 soll ein breit abgestützter Abschlussbericht mit Reformvorschlägen auf dem Tisch liegen.
Als Dank für ihr Engagement erhalten alle Bürgerrat-Teilnehmer ein Honorar von 325 Euro. Für Bürger, die weiter als 100 km von Brüssel entfernt wohnen, werden die Kosten für Hotelübernachtungen übernommen.
Treffen mit politischen Akteuren
Die Bürgerdebatte wird von einem Begleitausschuss überwacht, in dem der ehemalige Ministerpräsident Herman Van Rompuy (CD&V) als Beobachter fungiert.
Nach Abschluss der Bürgerdebatte wollen deren Organisatoren Treffen mit wichtigen politischen Akteuren organisieren, um zu erfahren, was sie von den Bürger-Empfehlungen halten und was sie damit anfangen wollen. Der Verfassungsausschuss des Parlaments hat zugesagt, eine Delegation des Bürgerrates zu empfangen, um sich dessen Empfehlungen anzuhören.
Bürgerdebatte nicht billig
Die Kosten für das Projekt belaufen sich auf 250.000 Euro, die aus privaten Beiträgen stammen sollen. Das ist nicht billig, aber, so die Organisation, "das ist ungefähr so viel, wie die Parteien täglich erhalten“.
Mehr Informationen: Burgerdebat „We need to talk“