Mit Verstand über künstliche Intelligenz beraten

26. Mai 2024
Belgian Presidency EU

2024 hat Belgien die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union (EU) inne. Während dieses Vorsitzes legt das Land den Schwerpunkt auf die Beteiligung der Bürger und hat im eigenen Land ein gelostes Bürgerforum mit EU-Bezug durchgeführt. Das Thema: Künstliche Intelligenz (KI) und die Rolle, die die EU in diesem Bereich spielen könnte. Die Ergebnisse wurden am 25. Mai 2024 den politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen und der König-Baudouin-Stiftung vorgestellt.

Die neun Kernaussagen des Bürgerforums:

1. Arbeit: Menschen helfen, ohne sie zu ersetzen

KI wird die Arbeitswelt grundlegend verändern. Das Bürgerforum betont, wie wichtig die Anpassung von Individuen, Unternehmen und Gewerkschaften ist. KI sollte die Menschen unterstützen, aber nicht ersetzen. Dafür müssen Umschulungen geplant werden, um Ausgrenzung zu vermeiden. Die Zeit, die dank KI und einer geringeren Arbeitslast gewonnen wird, sollte für Aufgaben genutzt werden, die zur Innovation beitragen, das Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigern und eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen.

2. Lernen, mit KI zu leben: Investitionen in heutige und zukünftige Generationen

Ein kritisches Verständnis von KI spielt eine entscheidende Rolle, insbesondere für junge Menschen. Das Bildungswesen muss KI berücksichtigen und den verantwortungsvollen Umgang mit ihr vermitteln. Nur wer KI versteht, kann sie kritisch betrachten. Außerdem muss das Urheberrecht geschützt werden.

3. Wirtschaftssystem und Machtbeziehungen: ein neuer Ansatz?

KI stellt unser Wirtschaftsmodell auf den Kopf. Die derzeitigen Monopole, die häufig nicht von Europa ausgehen, führen zu einer Machtkonzentration und gefährden die Demokratie und die Wirtschaft der EU. Die EU muss ihr Wirtschaftssystem anpassen, um eine solche Machtkonzentration zu verhindern und eine ausgewogene und wettbewerbsfähige KI-Entwicklung in Europa zu gewährleisten. Dazu gehören die Besteuerung von Gewinnen aus KI, die Befassung mit einem Grundeinkommen und die Förderung privater Investitionen.

4. Wissenschaftliche Forschung und Innovation: einzigartige Möglichkeiten

KI eröffnet erstklassige Möglichkeiten, die Forschung zu beschleunigen und Innovationen voranzutreiben. Sie kann die menschlichen Fähigkeiten übertreffen, schnellere Ergebnisse liefern und abstrakte Konzepte testbar machen. Allerdings leidet die EU unter einer Talentabwanderung in Länder wie die USA, die mehr in Innovation investieren. Die KI-Forschung in Europa muss unbedingt gefördert werden, indem in Universitäten und Unternehmen investiert wird und die Bevölkerung über KI-Chancen informiert wird, um Talente zu halten.

5. Umwelt: Lösungen und ökologischer Fußabdruck

Die Umweltauswirkungen von KI werden weitgehend vernachlässigt. Dabei verbraucht KI enorme Mengen an Ressourcen und Materialien. Diese Auswirkungen müssen dringend in die Klimaziele einbezogen werden. Das „Verursacherprinzip“ könnte auf KI angewendet werden, indem die Umweltkosten mit den gesellschaftlichen Vorteilen verglichen werden. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit über eine ökologische Bewertung von Anwendungen ist ebenfalls wichtig. Regelungen und Belohnungen für KI mit geringem Fußabdruck sollten in Betracht gezogen werden, um nachhaltige Praktiken zu fördern.

6. Deepfake und unzuverlässige Informationen: gefährlich für Mensch und Demokratie

Von KI erzeugte Deepfakes und Fake News bedrohen das Vertrauen, die Privatsphäre und die Demokratie und führen zu gesellschaftlicher Polarisierung. Diese Inhalte sollten als „sehr riskant“ eingestuft werden, anders als derzeit im KI-Gesetz vorgesehen. Es sind umgehende Maßnahmen erforderlich, einschließlich Sanktionen und besserer Aufklärung der Öffentlichkeit.

7. Position der Europäischen Union in der Welt: mutig in europäische Werte investieren, sie schützen und fördern

Die EU muss ihre strategische Position stärken, indem sie in KI-Entwicklung investiert und die Abwanderung von Fachkräften verhindert. Die Abhängigkeit von nicht-europäischen KI-Systemen bedroht die europäischen Werte und Normen. Die EU muss Mut zur Investition zeigen, die Vorschriften harmonisieren und ihre Daten vor Cyberangriffen schützen. Schnelles Handeln und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor sind von wesentlicher Bedeutung, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die europäischen Werte im internationalen Umfeld zu verteidigen.

8. Globale Abkommen: die Europäische Union muss die Initiative ergreifen

Nur auf europäischer Ebene zu regulieren, reicht nicht aus. Vielmehr muss die EU global Einfluss nehmen, um ihre Werte zu schützen. Deshalb sollte die EU internationale Abkommen über Ethik, Klimaauswirkungen und soziale Gerechtigkeit von KI in die Wege leiten.

9. „Human-in-the-Loop“ und persönlicher Kontakt: zwei Grundvoraussetzungen für die künftige KI-Entwicklung

Die Zukunft der KI setzt voraus, dass der Mensch in Entscheidungen einbezogen wird und der persönliche Kontakt erhalten bleibt. Transparenz und Vertrauen tragen maßgeblich zur Akzeptanz von KI bei. In der Medizin kann KI objektivieren, darf aber das menschliche klinische Urteilsvermögen nicht ersetzen. Im Verteidigungsbereich muss der Mensch trotz KI-Unterstützung die letzte Kontrolle behalten, um schwerwiegende Fehler zu vermeiden.

Das gesamte Bürgergutachten des Bürgerforums finden Sie hier (PDF, 31 Seiten).

"Mit viel Herzblut, Verstand und viel Energie gearbeitet"

Das Bürgerforum geht davon aus, dass sein Bericht von der EU-Politik aufgegriffen wird: „Wir haben mit viel Herzblut, Intelligenz und viel Energie gearbeitet. Unsere Erfahrung war sehr lehrreich und inspirierend. Es war ermutigend zu sehen, dass alle Teilnehmer nicht nur an ihre eigenen Interessen, sondern auch an weniger vertretene Gruppen dachten. Wir hoffen, dass unsere Vision berücksichtigt wird und dass unser Beitrag zu konkreten Maßnahmen führt, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden“, sagte eines der Forumsmitglieder.

Hendrik Van De Velde, Koordinator des belgischen Vorsitzes im Rat der EU, erklärte: „Die Gesellschaft muss bei wichtigen Themen wie der künstlichen Intelligenz gehört werden und zu einer ehrgeizigen Politik beitragen, die ihren Erwartungen entspricht. Dieses Bürgerforum war der ideale Weg, um das Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Das Ergebnis sind neun Kernbotschaften und eine Reihe konkreter Wege, die dazu beitragen sollen, die strategische Agenda der europäischen KI-Politik in den kommenden Jahren zu gestalten."

Was ist künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz (KI) nutzt Computer und Maschinen, um die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstands nachzuahmen. Eine KI ist in der Lage, Informationen aus Daten zu ziehen, die ein Mensch niemals erfassen könnte, etwa weil sie zu zahlreich sind oder vorhandene Muster zu komplex sind, um sie zu erkennen. Statt für jeden Zweck programmiert zu werden, kann eine KI eigenständig Antworten finden und selbstständig Probleme lösen.

Der Ansatz der EU zur künstlichen Intelligenz konzentriert sich auf Exzellenz und Vertrauen, um Forschung und industrielle Kapazitäten zu stärken und gleichzeitig Sicherheit und Grundrechte zu gewährleisten. „Die europäische KI-Strategie zielt darauf ab, die EU zu einem Drehkreuz von Weltrang für künstliche Intelligenz zu machen und dafür zu sorgen, dass KI menschlich und vertrauenswürdig ist“, heißt es auf der Internetseite der Europäischen Kommission.

16.200 Einladungen zu Bürgerforum verschickt

Für das Bürgerforum zur künstlichen Intelligenz waren16.200 Einladungen an Einwohner in ganz Belgien verschickt worden. Im Rahmen seines Vorsitzes im Rat der EU strebt Belgien an, seine Bürgerinnen und Bürger in Debatten über europäische Themen einzubinden. Die Regierung versucht insbesondere, die Perspektiven der Bürger zu verstehen, welche Richtung Europa in Bezug auf künstliche Intelligenz in der Regierungsperiode 2024 - 2029 einschlagen sollte. Die Ergebnisse des beEU-Bürgerforums werden mit den EU-Institutionen geteilt und bieten ihnen eine Quelle der Inspiration für die nächste Legislaturperiode.

Im Rat der Europäischen Union, dessen Vorsitz Belgien 2024 übernommen hat, kommen die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen der 27 Mitgliedstaaten zusammen. Er ist das Forum, in dem die verschiedenen Regierungen ihre Interessen vertreten und Kompromisse aushandeln. Die Vertreter aus den Mitgliedstaaten handeln für ihre jeweilige Regierung verbindlich.

Der Rat ist eines von drei Hauptrechtsetzungsorganen der EU. Er erlässt Rechtsakte. Darüber hinaus koordiniert er die Politiken der Mitgliedstaaten, übt gemeinsam mit dem Europäischen Parlament Haushaltsbefugnisse aus und entwickelt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU nach Vorgabe des Europäischen Rates.

60 Teilnehmer

Das beEU-Bürgerforum zur künstlichen Intelligenz hatte 60 Personen umfasst, die so ausgewählt worden waren, dass sie die belgische Gesellschaft abgebildet haben. Ausgeloste Personen konnten für eine Teilnahme bewerben. Die endgültigen Teilnehmer wurden unter den angemeldeten Personen ausgelost.

Diese Methode hat gleiche Chancen für alle gewährleistet und ein nach Alter, Geschlecht, Wohnort, Einkommensniveau und Bildung breit gefächertes Forum garantiert. Geachtet wurde auch auf eine angemessene Vertretung junger Menschen und auf die Vielfalt der belgischen Bevölkerung.

Drei Sitzungswochenenden

Das beEU-Bürgerforum hatte am 24. und 25. Februar, 23. und 24. März sowie 20. und 21. April 2024 im Egmont-Palast in Brüssel getagt. Die Diskussionen wurden auf Französisch und Niederländisch geführt, wobei Dolmetscher zur Verfügung standen. Alle Teilnehmer hatten die Informationen erhalten, die sie für eine sachliche Debatte benötigt haben. Qualifizierte Moderatoren hatten die Diskussionen erleichtert und für ein Umfeld gesorgt, das von Vertrauen und Gleichberechtigung geprägt war. Außerdem waren Experten anwesend, um die Debatten zu bereichern.

Während des Bürgerforums konnten die Teilnehmer insbesondere die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten für künstliche Intelligenz sowie ihre ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen entdecken, indem sie an jedem Wochenende mit einer Gruppe von Experten sprachen.

Bereichernde Erfahrung

Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen empfanden das Bürgerforum als eine bereichernde Erfahrung. Sie schätzten die Qualität der Diskussionen und die Vielfalt der Ansichten. Sie betonten auch, wie wichtig die Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen an der Entscheidungsfindung in so komplexen Fragen wie der künstlichen Intelligenz ist.

Ashutosh, ein Informatikstudent, sagte: „Die drei Wochenenden, die wir hatten, haben mir geholfen, die Welt der KI besser zu verstehen, ebenso wie die Menschen um mich herum. Nicht jeder ist ein Informatikstudent, also hatte ich schon einige Vorurteile, die ich hier mit anderen Meinungen konfrontieren konnte.“ Auch Bavo ist sehr froh, teilgenommen zu haben: „Als ich ankam, hatte ich ein bisschen Angst, ich wusste nicht, wie es laufen würde. Es ist jetzt das dritte Wochenende und ich bin sehr glücklich und stolz auf mich, dass ich teilgenommen habe."

Mehr Informationen: Bürgerforum „Künstliche Intelligenz in der EU“