Mit Bürgerräten gegen Corona

Augsburg war die erste deutsche Stadt, die per Losverfahren Bürgerinnen und Bürger in die Beratung über Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie einbezogen hat. In einem Bürgerbeirat haben sich Bürgerinnen und Bürger untereinander sowie mit Expertinnen und Experten der Verwaltung und der Politik vernetzt. Der Beirat bot die Gelegenheit, die durch Corona entstandenen Fragen und Herausforderungen gemeinsam zu besprechen sowie tragfähige, demokratisch erarbeitete Lösungen dafür zu entwickeln.

Der Bürgerbeirat Corona tagte von November 2020 bis Mai 2021 einmal im Monat. Die 22 Teilnehmenden setzten sich aus zehn Augsburger Bürgerinnen und Bürgern, Oberbürgermeisterin Eva Weber, fünf Mitgliedern des Stadtrates sowie sechs Expertinnen und Experten aus der Stadtverwaltung zusammen. Alle drei Monate wurde der Beirat neu zusammengesetzt.

Mit Menschen ins Gespräch kommen“

„Mir ist es sehr wichtig, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. Mit dem Instrument des Bürgerbeirats Corona erhalten Augsburger Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, zu erklären, was sie bewegt, welche Forderungen sie haben und welche Empfehlungen sie an die Verwaltung und Politik weitergeben möchten“, erklärte Oberbürgermeisterin Eva Weber dazu.

Die Teilnehmenden wurden durch ein Losverfahren nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Migrationshintergrund und dem Vorhandensein eigener Kinder als ein Abbild der Bevölkerung der Stadt ermittelt. Die Teilnehmenden wohnten in Augsburg und waren mindestens 14 Jahre alt. Sie mussten einen Vorschlag einreichen, welche Maßnahme gegen Corona sie für sinnvoll halten. Die Beiratsmitglieder wurden jedoch nicht zufällig aus der Gesamteinwohnerschaft der Stadt ausgelost. Vielmehr mussten Interessierte sich bewerben, um in den Lostopf zu kommen. 395 Interessierte hatten diese Möglichkeit genutzt.

Bürgerforum in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg hat das Bürgerforum Corona Meinungen und Stimmungen zusammengetragen und sichtbar gemacht. Die Landesregierung wollte hören, wie die Menschen die Lage empfinden und welche Bedürfnisse sie haben. Wie haben die Menschen die Entwicklung wahrgenommen? Was erwarten sie von der Landesregierung? In seinen Empfehlungen sprach sich das Bürgerforum u.a. mehrheitlich für eine allgemeine Impfpflicht und gegen 2G-Regelungen aus. Die Ausgrenzung von Ungeimpften könnten zur Spaltung der Gesellschaft führen.

Die 50 Mitglieder wurden zufällig aus allen Landesteilen, aus kleinen Gemeinden und großen Städten sowie aus allen Altersklassen und sozialen Schichten ausgelost. „Da sind dann oft auch Handwerker oder Krankenschwestern dabei, die sich sonst eher selten einbringen“, sagte Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung in der Landesregierung. Alle Bürgerinnen und Bürger konnten Themenanregungen in das Bürgerforum einspeisen. Es konnte dabei etwa um die psychosozialen Folgen für ältere Menschen gehen oder auch um Nachbarschaftshilfe oder die Kultur. Das Bürgerforum tagte von Dezember 2020 bis Dezember 2021 monatlich.

Bürgerforum in Thüringen

In Thüringen hatte die Landesregierung am 2. Februar 2021 die Einberufung des zufällig gelosten „Thüringer BürgerForum - Gemeinsame Wege zur Bewältigung von COVlD-19 und künftiger Pandemien“ beschlossen. Die Losversammlung bestand aus 52 Menschen aus ganz Thüringen. Sie hat die Landesregierung bei der Festlegung ihrer Corona-Maßnahmen beraten.

In einen am 26. November 2021 veröffentlichten Bürgergutachten sind 55 Maßnahmen-Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger eingeflossen. Zu den Kernforderungen zählen eine Vermeidung von Schulschließungen und die Verbesserung der Situation in der Pflege.  Schwerpunkte der Beratungen waren Fragen der Motivation von Lernenden und Lehrenden, der hybride Unterricht für Schülerinnen und Schüler in Quarantäne oder Lernrückstände. Zudem beschäftigte das Forum die Sorge um eine Spaltung der Gesellschaft durch die Einführung der 2G-Regel im Alltag. Für Mitte 2022 ist eine Evaluierung geplant, die auf einer digitalen Plattform für Bürgerbeteiligung veröffentlicht und auch diskutiert werden soll.

"Forum Corona" in Sachsen

In Sachsen hat ein repräsentativer Querschnitt von Bürgerinnen und Bürgern in einem Bürgerforum über Erfahrungen mit der Corona-Pandemie und Maßnahmen dagegen debattiert. Dafür waren 50 Menschen aus ganz Sachsen von Juli 2021 bis Januar 2022 in sieben Online-Sitzungen zusammenkommen. Die Teilnehmenden bildeten nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, regionaler Herkunft und Migrationshintergrund einen Querschnitt der Bevölkerung ab.

Der Bericht der Teilnehmer des Forums enthält 43 Empfehlungen und rund 190 Ideen in insgesamt vier Handlungsfeldern: Gesundheit, Bildung, Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung. Als besonders wichtig werden durch den Bürgerrat Ziele erachtet wie die bessere Bezahlung von Fachkräften im Pflege- und Gesundheitssektor, die Ausstattung von Schulen mit moderner digitaler Infrastruktur und ausreichend Personal, unbürokratische und schnelle finanzielle Förderung für alle berechtigten Personen oder auch eine offene Kommunikation durch die Politik. Die Ergebnisse wurden dem sächsischen Landtag und der Staatsregierung übermittelt und als Empfehlungen in die Entscheidungsprozesse einfließen.

Corona-Bürgerrat in Oregon

Auch für die „Oregon Citizens' Assembly on Covid-19 Recovery“ fand eine Zufallsauswahl aus der Gesamtbevölkerung statt. Im Juli und August 2020 arbeiteten 36 zufällig ausgeloste Menschen aus ganz Oregon zusammen, um Empfehlungen „für einen fairen und gerechten Weg nach vorn über die Coronavirus-Pandemie hinaus“ zu entwickeln.

Die Bürgerrat-Mitglieder hatten aus einer Vielzahl von Fragen, die von mehreren Senatoren des Landes eingereicht worden waren, diese Frage ausgewählt: "Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Pandemie und Ungleichheiten in den sozialen/wirtschaftlichen Strukturen - was was wurde daraus gelernt? Angesichts des zunehmenden Interesses an Racial Justice - wie wichtig ist dieses Thema? Wie sehr brauchen wir jetzt Veränderungen? Wie wichtig ist es, nach einer Pandemie grundlegende Veränderungen im System anzustreben?“

Empfehlungen zu Wohnen und Bildung

Die Augelosten formulierten Empfehlungen zu den Themen Wohnen und Bildung, die jeweils mit breiten Mehrheiten angenommen wurden. So wurde empfohlen, Obdachlosen und denen zu helfen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Mit einem Moratorium sollten Zwangsräumungen von Wohnungen verhindert werden. Von den Folgen der Pandemie Betroffene sollten eine finanzielle Unterstützung und Lebensmittel bekommen. Angestellte in wichtigen Branchen sollten für ihren Einsatz eine Prämie erhalten.

Im Bereich Bildung empfahlen die Bürgerrat-Mitglieder, Schüler und Eltern darin zu schulen, wie sie Informationen aus dem Internet ziehen können. Landkreise und Distrikte sollten ihre Infrastruktur kirchlichen und anderen Hilfsgruppen zur Verfügung stellen, die Mittagessen für Schülerinnen und Schüler anbieten. Schülerinnen und Schüler sollten Hilfsgruppen angeboten, Kinder mit besonderen Bedürfnissen speziell gefördert werden.

Gesundheitskontrolle und Sicherheitsmaßnahmen

Online-Treffen sollten der Kontrolle der psychischen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen dienen, Schulräume für gemeinsame Aktivitäten etwa im Bereich Tanz oder Kunst genutzt werden. Weiterhin wurde empfohlen, dass Schulbezirke und Kommunalverwaltungen sich zusammenschließen, um Messgrößen und Sicherheitsmaßnahmen zu erarbeiten, um Social Distancing-Abstände zu wahren und das Tragen von Masken sowie Sicherheitsvorkehrungen zu regeln.

Der Corona-Bürgerrat war von den Organisationen „Healthy Democracy“ und „Oregon's Kitchen Table“ organisiert worden, die langjährige Erfahrung mit Losverfahren haben. Die Beratungen der ausgelosten Mitglieder fanden online statt. Vom 9. Juli bis zum 20. August 2020 gab es sieben jeweils zweistündige Kleingruppen-Sitzungen. Im gesamten Verlauf wurden die Ausgelosten von Wirtschafts- und Bildungsfachleuten beraten. Die Teilnehmenden erhielten eine Aufwandsentschädigung von 700 US-Dollar. Alle gemeinsamen Sitzungen der Bürgerrat-Mitglieder wurden live im Internet übertragen. Das gesamte Verfahren wurde von unabhängigen Expertinnen und Experten beobachtet und ausgewertet.

Breite Bürgerbeteiligung in Bristol

Eine breite Bürgerbeteiligung zur Corona-Pandemie fand unter dem Titel "Your City Our Future" im englischen Bristol statt. Vom 5. August bis zum 28. September 2020 lief eine Online-Befragung aller Einwohnerinnen und Einwohner. Diese konnten sich dazu äußern, was ihnen am Leben in Bristol vor den Corona-Maßnahmen gefallen hat und was nicht. Sie konnten ihre Erfahrungen während des Lockdowns schildern und erklären, wie sie sich Bristol in Zukunft wünschen.

Nach Abschluss der Umfrage veröffentlichte die Stadt eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Die nächste Etappe war Ende September/Anfang Oktober ein Online-Diskussionsforum zur Sammlung von Ideen für die Zukunft Bristols. Umfrage und Diskussionsforum sollten dazu beitragen, herauszufinden, über welche Dinge sich die Bürgerinnen und Bürger einig sind und wo es Meinungsverschiedenheiten geben könnte. Am 16. Januar 2021 hatte ein Bürgerrat seine Arbeit aufgenommen, um einen Konsens bei strittigen Fragen herbeizuführen.

Handlungsempfehlungen des Bürgerrates

Dieser Bürgerrat hatte im März 2021 seine Handlungsempfehlungen an die Politik veröffentlicht. Darin wurde der Stadtrat aufgefordert, lokale Unternehmen so zu unterstützen, dass im Bereich Wohnen eine Klimawende binnen fünf Jahren möglich ist. Dazu soll der Rat ein Umsetzungsprogramm vorlegen. Für Hausbesitzer und Vermieter sollen innovative Finanzierungsangebote entwickelt werden. Die verschiedenen Nachhaltigkeitsprogramme und -initiativen sollen in einem Angebot gebündelt werden.

Der Rat sollte außerdem eine Reihe von abgestuften Bristol-Standards einführen (von Mindestanforderungen bis hin zu Best-Practice-Anspruchsnormen), die sich auf Energieverbrauch und -effizienz für alle Sanierungen, Gebäudemodernisierungen, Entwicklungen und Neubauten für Privathaushalte und Gewerbe beziehen. Entsprechende Planungsvorschriften sollen formuliert werden. Mit einem Pilotprojekt für eine Straße oder ein Viertel soll aufgezeigt werden, was erreicht werden könnte, wenn die Stadt das Ziel der Klimaneutralität anstrebt.

Klimafreundliche Mobilität für alle

Um Mobilität für alle in der Stadt einfacher, gesünder und umweltschonender zu gestalten, soll der Stadtrat in einem inklusiven und transparenten Prozess mit Bürgern, Unternehmen und Interessenvertretern zusammenarbeitet, um die Klimaverpflichtungen durch ein nachhaltiges Verkehrssystem einzuhalten. Die durch Fahrzeuge verursachte Luftverschmutzung soll auf akzeptable Werte gesenkt werden.

Bis 2030 soll Bristol in Sachen Mobilität zur international besten Stadt werden, indem sie allen Einwohner:innen nachhaltige, sichere, gesunde und zugänglichen Alternativen zum Auto anbietet. Die Stadt soll grundlegend so neu gestaltet werden, dass sie auf den Menschen ausgerichtet ist und lebenswerte Nachbarschaften geschaffen werden. Grundsätzlich sollen die Bürgerinnen und Bürger bei verkehrspolitischen Planungen und deren Umsetzungen beteiligt werden. „Machen Sie den Prozess zugänglich, interaktiv und verbinden Sie ihn mit Spaß!“ heißt es in einer der Handlungsempfehlungen.

Für ein gesundes Bristol

Im Bereich Gesundheitspolitik fordern die Teilnehmenden des Bristoler Corona-Bürgerrates, einer gesunden Umwelt für alle Bürger Priorität einzuräumen. Von Unternehmen soll verlangt werden, mit sozialer Verantwortung zu handeln. Lokale Gemeinschaften sollen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, um die von ihnen gewünschten Dienste und Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Lebensweise bereitzustellen. Das Bewusstsein für und der Zugang zu Gesundheitsinformationen, -aufklärung und -diensten, die sich an lokalen Bedürfnissen orientieren, soll verbessert werden.

Die gesamte Verwaltung müsse sich der Verringerung der Ungleichheiten der gesundheitlichen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger und der Verbesserung ihrer Gesundheit widmen. Dabei soll der Schwerpunkt auf Rechenschaftspflicht, Partnerschaft und Transparenz bei der Erhebung und Nutzung von Gesundheitsdaten liegen. Die Stadt soll in einen gerechten Start ins Leben von der Zeit vor der Geburt bis hin zu jungen Erwachsenen (bis 25 Jahre) investieren.

"Bürger-Verbindungskomitee" in Grenoble

In der französischen Stadt Grenoble hat von November 2020 bis April 2021 monatlich ein Gremium aus 120 Einwohnerinnen und Einwohnern der sechs Stadtbezirke getagt, die nach dem Zufallsprinzip aus Telefonlisten ausgelost wurden. Das "Comité de liaison citoyen COVID-19" bestand jeweils zur Hälfte aus Männern und Frauen, ein Drittel der Teilnehmenden war jünger als 25. Die Ausgelosten hatten ein gemeinsames Gremium mit Vertretern lokaler Verbände, Gewerkschaften, Gruppen usw gebildet.

Die Mitglieder des Komitees wurden über Maßnahmen der Stadt zur Bewältigung der Gesundheitskrise informiert. Sie haben die gewählten Amtsträger und städtischen Dienste über die aktuellen Sorgen der Einwohner unterrichtet. Außerdem hatten sie die Aufgabe, zukünftige Risiken aus der Sicht der Einwohner auszumachen. Unter professioneller Moderation waren die die Teilnehmenden zum Dialog eingeladen, um ihre Meinung zu geplanten Maßnahmen zu äußern und ihre Bedenken vorzutragen.

Bürgerrat und Spiegelgruppe in Nantes

Eine Mischung aus einem an langfristigen Lösungen arbeitenden Bürgerrat und einem kurzfristig auf die Corona-Situation reagierenden Beirat gab es in der französischen Stadt Nantes. Vom 13. November 2020 bis zum 13. Februar 2021 befassten sich hier 80 zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger mit den Folgen der Pandemie. Teil davon war eine Spiegelgruppe aus 20 Bürgerrat-Mitgliedern, die mit gewählten Lokalpolitikern über aktuelle Maßnahmen gegen Corona diskutierten.

Die Mitglieder des Bürgerrates waren völlig frei bei der Wahl der Themen, über die sie diskutieren wollen. Ihr Auftrag war es, ein Bürgergutachten zu erstellen, das die Bedrohungen, Anfälligkeiten, Möglichkeiten und Ressourcen der Kommune im Zusammenhang mit der Corona-Krise aufzeigt und die Bedürfnisse und Erwartungen der Bewohner der Stadt und der angrenzenden Gebiete priorisiert. Das am 11. März 2021 veröffentlichte Bürgergutachten enthält Vorschläge für eine solidarischere Stadt, neue Formen des Zusammenlebens, zur Information und zum Schutz der Einwohner und zur Unterstützung des Wandels. Die erarbeiteten Vorschläge dienen als Handlungsempfehlungen für die gewählten Amträger der Stadt. Während des Verfahrens konnten nicht nur die gelosten Bürgerrat-Mitglieder, sondern im November und Dezember 2020 alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt ihre Ideen und Anregungen einbringen.

Bürgerkomitee in Frankreich

In Frankreich wurde am 10. Januar 2021 ein „Bürgerkomitee“ einberufen, das aus 30 zufällig ausgelosten Menschen besteht. Dieses "collectif de citoyens" begleitet und überwacht die Corona-Impfstrategie der Regierung und soll Vertrauen für die Impfmaßnahmen schaffen. Unter den Ausgelosten wurden die Teilnehmenden nach Alter, Geschlecht, Region, Bildungsniveau, Beruf und Art der Wohnverhältnisse ausgewählt. Zusätzlich mussten alle Eingeladenen folgende Frage beantworten: "Beabsichtigen Sie, sich im Jahr 2021 gegen Corona impfen zu lassen?". Die Antworten wurden auf einer Skala von 1 bis 5 eingeordnet, was es ermöglichen sollte, alle Meinungen der französischen Gesellschaft besser sichtbar zu machen.

Das Bürgerkomitee hatte am 16. Januar 2021 seine Arbeit aufgenommen, die während der gesamten Impfkampagne andauern wird. Die Mitglieder werden auch die Aufgabe haben, "Ängste, Widerstände und ethische Fragen, die eine Impfung aufwerfen kann", zu thematisieren. Laut einer seinerzeit durchgeführten Umfrage wollte sich in Frankreich jeder zweite Befragte nicht gegen Corona impfen lassen.

Bürgerrat in Nordmazedonien

In einem Projekt des UN-Demokratiefonds (UNDEF) in Nordmazedonien wurde das Bürgerrat-Modell eingesetzt, um den hohen Anteil an Impf-Zögerlichkeit und das Misstrauen gegenüber der Regierung zu bekämpfen - ein Beispiel dafür, wie wichtig solche Verfahren sind, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in Notsituationen unter Druck steht.

Für diesen Bürgerrat wurde eine zufällige Auswahl von Bürgerinnen und Bürgern aus allen Altersgruppen und Bevölkerungsschichten ausgelost - und zwar zu gleichen Teilen von Personen, die sich impfen lassen wollten und solchen, die das nicht planten. Im Bürgerrat trafen sich die Ausgelosten von Februar bis Juli 2021 zu zehn ganztägigen Online-Sitzungen. Sie wurden gebeten, eine gemeinsame Basis für Empfehlungen zu finden, die die Frage beantworten sollten: Was können wir tun, um einen erneuten Anstieg der Corona-Fälle zu verhindern? Nach Abschluss seiner Beratungen hat der Bürgerrat ein Bürgergutachten mit 15 konkreten politischen Empfehlungen erstellt, die den Regierungsvertretern in öffentlichen Anhörungen vorgelegt wurden.

Bürgerrat zur Corona-Politik

Die deutsche Bundesregierung erwägt einem am 19. April 2024 im Tagesspiegel veröffentlichten Bericht zufolge, einen Bürgerrat zur Aufarbeitung der Corona-Politik einzusetzen. „Wir schlagen als ersten Schritt einen Bürgerrat vor, in dem zufällig ausgewählte Menschen ihre Erlebnisse schildern und Empfehlungen für die Zukunft aussprechen können“, sagte Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, dem „Tagesspiegel“.

Auch Grüne und FDP sind dem Bericht zufolge offen für die Idee. „Für uns Grüne ist entscheidend, dass wir schnell und möglichst im Konsens mit den anderen demokratischen Fraktionen klären, wie wir die Coronazeit aufarbeiten können“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, der Zeitung. Dafür seien mehrere Instrumente denkbar, neben einer Enquete-Kommission im Parlament zähle dazu auch die Idee eines Bürgerrates.

FDP außerdem für Enquete-Kommission

Von den Liberalen kam ebenfalls Zustimmung für die Idee eines Bürgerrates, am Wunsch nach der Einrichtung einer Enquete-Kommission hielten sie aber fest. Diese sei der „Gold-Standard, um hochkomplexe juristische und wissenschaftliche Fragen durch unabhängige Experten aufzuarbeiten“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin und Gesundheitsexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. Ihre Partei sei jedoch offen für „weitere Gremien wie beispielsweise einen Bürgerrat“.

„Ein Bürgerrat und eine neu zu schaffende Kommission bieten die Chance, diese Debatten ohne Schaum vor dem Mund zu führen“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Mast dem „Tagesspiegel“. So könnten die Gräben der Pandemie überwunden werden. In der kommenden Woche wollen sich die Fraktionsspitzen dem Bericht zufolge auf einen gemeinsamen Weg verständigen. Die Union steht einer Aufarbeitung dem „Tagesspiegel“ zufolge skeptisch gegenüber.

Offener Brief

Bereits im August 2020 hatten der BUND, der Bund der Steuerzahler, Foodwatch und Mehr Demokratie in einem offenen Brief an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen gefordert, die Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestages in der Corona-Krise durch eine Parlamentskommission des Bundestages überprüfen zu lassen. Die Ergebnisse sollen einem losbasierten Bürgerrat vorgelegt werden, der diese bewertet und daraus Empfehlungen für die Zukunft entwickelt.

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