Klima-Bürgerrat an Politiker: "Einigt euch!"
Den Klimawandel zum Schulfach machen, in Hochgeschwindigkeitszüge investieren und den öffentlichen Nahverkehr zuverlässiger, gleicher und billiger machen. Dies sind drei von 22 Empfehlungen des ersten nationalen schwedischen Klima-Bürgerrates.
In einer gemeinsamen Erklärung und in ihren 22 Vorschlägen betont die Losversammlung, dass Schwedens Umweltziele ebenso ein Querschnittsthema sein sollten wie die Verteidigungspolitik. "Die Klimafrage ist zu wichtig, um ein politischer Spielball zu bleiben, es liegt an uns allen, jetzt zu handeln", so die Bürgerrat-Mitglieder. "Wenn wir uns einigen können, sollten unsere gewählten Vertreter dies auch tun können."
Die wichtigsten Empfehlungen
Zu den Vorschlägen, die vom Bürgerrat am stärksten unterstützt wurden, gehören:
- Regierung und Opposition sollten beim Klimaschutz zusammenarbeiten, wie in der Renten- und Verteidigungspolitik
- Einführung eines Schutzes vor hohen Kosten für Fahrkarten im öffentlichen Verkehr und eines nationalen Fahrkartensystems
- Aufnahme des Klimawandels in den Lehrplan der Schulen
- Aufwertung des Stellenwerts von Naturgebieten in der Stadtplanung
- Entwicklung eines Labels für klimafreundliche Produkte, Waren und Dienstleistungen
- Einführung eines nationalen Carsharing-Dienstes
- Verstaatlichung und Ausbau des Bahnverkehrs
- Größtmögliche Mobilität durch eine verbesserte Fahrradinfrastruktur
Außerdem soll der Schwerlastverkehr elektrifiziert, Autos auf nachhaltigen Elektroantrieb umgestellt und eine "vernünftige Luftverkehrssteuer" eingeführt werden.
"Es ist erstaunlich, dass sich so viele Menschen auf so viel einigen können. Das ist möglich, wenn man einen Dialog auf der Grundlage von Respekt führt und einander und den Experten zuhört", so Bürgerrat-Teilnehmerin Sara Lundmark aus Älvsjö.
60 Bürgerrat-Mitglieder
Die Klimaschutz-Vorschläge wurden von 60 zufällig geloste Einwohnerinnen und Einwohnern entwickelt. Die Losversammlung hatte am 9. März 2024 ihre Arbeit aufgenommen und bis zum 19. Mai 2024 getagt. Am 20. Mai 2024 wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Vertreter von sieben der acht im Parlament vertretenen Parteien waren anwesend, um den Aktionsplan entgegenzunehmen. "Ich werde ihn mit meinen Kollegen im Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss teilen und lesen und sehen, was ich verwenden kann", kündigte die Abgeordnete Helena Storckenfeldt an.
In insgesamt neun Sitzungen hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich über den Klimawandel und mögliche Maßnahmen dagegen informiert, Lösungen diskutiert und Vorschläge dazu entwickelt, wie Schweden seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen erfüllen kann. Die erste und letzte Sitzung fand in Präsenz statt, die Sitzungen dazwischen wurden online durchgeführt. Die Teilnehmer wurden bei ihren Beratungen von Expertinnen und Experten unterstützt. Deren Vorträge und weitere Informationen wurden auf der Internetseite des Bürgerrates veröffentlicht.
Abkommen zur globalen Erwärmung
Das Pariser Klimaschutzabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den 195 Vertragsparteien anlässlich der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) mit dem Ziel des Klimaschutzes in Nachfolge des Kyoto-Protokolls geschlossen haben.
Das Übereinkommen wurde am 12. Dezember 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris (COP 21) von allen Vertragsparteien der UNFCCC, seinerzeit 195 Staaten und die Europäische Union, verabschiedet und sieht vor, die globalen Erwärmung auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen und Anstrengungen für eine Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius zu unternehmen.
Teilnehmer zufällig ausgelost
Die Bürgerrat-Mitglieder wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, so dass die Losversammlung ein Abbild der schwedischen Bevölkerung war. Dazu waren auf der Grundlage von Daten aus dem staatlichen Personenadressregisters Einladungen an 7.000 Einwohner des Landes verschickt worden. Im Lostopf waren alle Einwohnerinnen und Einwohner ab 15 Jahren.
Für die Gewinnung der Teilnehmer wurden Registereinträge zu Geschlecht, Alter, Wohnort, Gesellschaftsschicht sowie der Wohnhaftigkeit in städtischen oder ländlichen Gebieten verwendet. 490 Ausgeloste hatten Interesse an einer Teilnahme am Bürgerrat bekundet. Von diesem wurden mit Hilfe eines Algorithmus 60 Menschen ausgewählt.
Repräsentative Stichprobe
Im Rahmen ihrer Anmeldung hatten die potenziellen Bürgerrat-Teilnehmer einen Fragebogen ausgefüllt, in dem sie Fragen zu ihrem Bildungsstand, einem möglichen Migrationshintergrund, ihrer Besorgnis über den Klimawandel und der Partei, die sie wählen würden, wenn heute Wahlen stattfänden, beantwortet haben. Diese Informationen wurden verwendet, um sicherzustellen, dass die endgültige Stichprobe repräsentativ für die Vielfalt der Bevölkerung ist. Zuvor waren die Daten der Stichprobe anonymisiert worden.
Die Bürgerrat-Teilnehmer hatten für die Teilnahme an den Sitzungen eine Aufwandsentschädigung von 8.000 Schwedischen Kronen (rund 715 Euro) pro Person erhalten. Außerdem wurden den Teilnehmern die Reisekosten sowie bei Bedarf zusätzliche Kosten etwa für eine Kinderbetreuung erstattet.
„Beeindruckt und inspiriert“
"Es war großartig, dieses Verfahren (...) zu verfolgen, die tiefgreifenden Diskussionen über komplexe Themen, bei denen sich die Menschen gegenseitig mit Respekt zuhören", sagt Tim Daw, Nachhaltigkeitsforscher am Stockholm Resilience Centre der Universität Stockholm und Projektleiter des Bürgerrates.
"Ich bin wirklich beeindruckt und inspiriert von allen Bürgerrat-Mitgliedern. Ihr Engagement, ihr Verfahren, ihre Diskussionen und das, was sie erarbeitet haben, machen sie zu Vorbildern für uns alle und nicht zuletzt für unsere Politiker im Land", kommentierte die ehemalige schwedische Leichtathletin Carolina Klüft als Mentorin des Bürgerrates die Arbeit der Losversammlung.
"Großes Vertrauen in Mitmenschen"
Als zweiter Bürgerrat-Mentor erklärte der Umwelthistoriker Prof. Sverker Sörlin: "Ich denke, dass Politiker, die sich die Vorschläge ansehen, sehen können, dass es in einem Querschnitt der Bevölkerung Unterstützung dafür gibt, viel weiter zu gehen, als wir es bisher gewagt haben. Das sollte den Politikern ein wenig Rückgrat geben, mehr zu wagen, denn sie haben die Menschen nicht gegen sich, wenn sie mehr Opfer verlangen."
Auch Bürgerrat-Teilnehmer zeigten sich angetan von ihrer Erfahrung: "Ich nehme ein sehr großes Vertrauen in meine Mitmenschen mit, und wenn ich ein wenig egoistisch sein darf, dann bin ich sehr glücklich, dass ich diese Schulung erhalten habe und dass ich all diese Professoren und Doktoren kennengelernt habe, die ihr Leben dieser Forschung widmen", sagte der 27-jährige Aria Mirzai aus Göteborg.
"Es wurde viel zugehört"
Teilnehmerin Ulrika Månsson (52) aus Vilsärad sagte, dass die Diskussionen mitunter hitzig gewesen seien und Emotionen geweckt hätten, aber es habe ein Respekt geherrscht, den man sonst vermisse. "Es wurde viel zugehört und versucht, die Leute auf den Punkt kommen zu lassen und respektvoll zu sein, was ich im öffentlichen Raum vermisse. Dort muss man sich durchsetzen oder andere unter Druck setzen."
Der 19-jährige Hugo Wrege aus Enköping hat gelernt, "dass ich meine Meinung tatsächlich ändern kann, wenn ich viele gute Informationen von sachkundigen Leuten erhalte und dann diskutiere, ein wenig nachdenke und dann zu meiner eigenen Schlussfolgerung komme, was ich vorher nicht gedacht hätte".
Beirat und Mentoren
Ein Beirat, der aus Menschen aus einem breiten politischen Spektrum zusammengesetzt war, stand dem Bürgerrat bei seiner Vorbereitung und Durchführung beratend zur Seite und hat das Verfahren überwacht. Während der Durchführung hatte der Bürgerrat zwei Mentoren. Das Verfahren wurde zudem durch ein unabhängiges Evaluationsteam auf seine Qualität überprüft. Die Ergebnisse werden in einem Evaluationsbericht dokumentiert.
Der Bürgerrat war sowohl aus der Zivilgesellschaft heraus als auch von Wissenschaftlern gefordert worden. 2022 und 2023 hatte der nationale Koordinator der schwedischen Regierung für die Agenda 2030 die Einrichtung eines nationalen Bürgerrates für nachhaltige Entwicklung vorgeschlagen.
12. nationaler Klima-Bürgerrat
Der Bürgerrat ist Teil des Forschungsprogramms FAIRTRANS, einer Zusammenarbeit zwischen der Universität Stockholm, der Universität Gävle, der Universität Uppsala, der Universität Lund und dem schwedischen Umweltforschungsinstitut IVL. Fairtrans wird von Mistra und Formas finanziert. Der Bürgerrat wird teilweise von der Europäischen Klimastiftung finanziert.
Der Klima-Bürgerrat in Schweden war die 12. nationale Losversammlung zum Thema Klimaschutz. Klima-Bürgerräte gab es zuvor bereits in Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Österreich und Spanien. Weltweit haben bisher mehr als 140 Klima-Bürgerräte stattgefunden.