Jedes Los gewinnt
Am 18. Oktober 2024 wurde zum zweiten Mal die Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ an herausragende Beteiligungsverfahren verliehen. Bei allen vier derart ausgezeichneten Verfahren kam das Los zum Einsatz.
Die Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ wird seit 2023 jährlich vom Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung in Kooperation mit dem Berlin Institut für Partizipation vergeben. Ausgezeichnet werden damit kommunale Akteure (insbesondere Städte, Gemeinden und Kreise) für qualitativ hochwertige Beteiligungsverfahren. Den Preis erhalten herausragende Projekte, die als Beispiel für gute Bürgerbeteiligung dienen können.
Gewinner aus drei Bundesländern
Im Jahr 2024 kommen die Gewinner aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen. Stellvertretend für zahlreiche gute Beteiligungsprojekte in ganz Deutschland wurden ausgezeichnet:
- die Stadt Köln für ihren Nachhaltigen Mobilitätsplan „Besser durch Köln“
- die Stadt Sulz am Neckar für ihren Klimarat „Sulz besser machen“
- der Verein „Bonn im Wandel“ für das umfangreich Mitwirkungsverfahren „Bonn4Future - Wir fürs Klima“
- die Stadt Brandis für ihren Bürger- und Jugendrat
Mehr als 50 Bewerbungen von kommunalen Akteuren waren für die Auszeichnung eingegangen.
Auffallend ist, dass in allen vier Fällen geloste Gremien zur Problemlösung eingesetzt wurden. So wurde der Klimarat in Sulz am Neckar ebenso zufällig ausgelost wie die Klimaforen in Bonn und ein Bürgerrat und der Jugendrat in Brandis. In Köln saßen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger an einem runden Tisch zur Verkehrspolitik.
Geloste Bürger an rundem Tisch
Der runde Tisch Mobilität und Gesellschaft fand im Rahmen der Erstellung des Mobilitätsplans „Besser durch Köln“ im April 2023 statt: Der nachhaltige Mobilitätsplan sollte nicht nur die ökologischen und ökonomischen Dimensionen betrachten, sondern auch die soziale Dimension berücksichtigen. Der Runde Tisch hatte die Aufgabe, die erarbeiteten Zwischenergebnisse in drei Sitzungen auf die Sozialverträglichkeit der Mobilitätsplanung zu prüfen.
Der erste Entwurf des Leitbildes wurde am runden Tisch diskutiert und es wurden Stärken und Schwächen konkret aus der Perspektive der Sozialverträglichkeit festgestellt. Das Gremium hatte sich dabei aus 20 Vertreterinnen und Vertreter sozialer Verbände, Unternehmen und Organisationen sowie aus 20 per Los zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern zusammengesetzt.
„Kölner Verfahren beispielhaft und vorbildlich“
Laudator Prof. Dr. Ortwin Renn, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit, Potsdam, sagte zur Begründung der Auszeichnung der Stadt Köln: „Mit der Vielzahl an Beteiligungsformaten zur Erreichung unterschiedlicher Zielgruppen und Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen (in der Stadt und der Region) hat die Stadt ein Partizipationsdesign entwickelt, das weit über das durchschnittliche Mitwirkungs-Angebot anderer Städte hinausgeht und eine umfassende, gut abgestimmte und wirksame Form der Beteiligung realisiert.
Besonders hervorzuheben ist auch, dass es den Kölnern gelungen ist, dieses komplexe Design zeitgerecht, qualitativ hochwertig und aufeinander abgestimmt umgesetzt zu haben. Das Leitbild sowie der Chancen- und Mängelbericht haben eine breite Zustimmung erfahren. So wurde das Leitbild einstimmig im Rat der Stadt Köln verabschiedet. Insgesamt kann das Kölner Verfahren als beispielhaft und vorbildlich für die partizipative Erstellung von Mobilitätsplanungen angesehen werden.“
Klimarat in Sulz
Der Klimarat in Sulz am Neckar fand im Rahmen des Projektes „Sulz besser machen“ statt. Er bestand aus 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 16 und 80 Jahren. Erklärtes Ziel war es, Empfehlungen zum kommunalen Klimaschutz zu erarbeiten. Dazu hatte der Klimarat 25 Empfehlungen an Bürgermeister Jens Keucher überreicht. Insgesamt hatten sich 400 Menschen an der Initiative beteiligt, die auf ein vielseitiges Beteiligungskonzept mit Tischgesprächen, Klimawerkstätten, einer digitalen Plattformen und den Klimarat gesetzt hatte.
Laudatorin Prof.´in Dr. Andrea Walter von der Hochschule für Polizei und Öffentliche Verwaltung NRW begründete die Auszeichnung für Sulz am Neckar mit folgenden Worten: „Sulz besser machen ist ein tolles Beispiel dafür, dass lokale Bürgerbeteiligung entscheidend dazu beitragen kann, dass Bürgerinnen und Bürgern sich als selbstwirksam wahrnehmen und mit ihrem Zutun Ergebnisse noch besser machen, als es Politik und Verwaltung allein könnten.
Liebes Team aus Sulz, Sie zeigen mit ihren Aktivitäten, wie innovativ ländliche Räume sein können. Ich hoffe sehr, dass viele ländliche Regionen in Deutschland Sie als ein inspirierendes Beispiel wahrnehmen und von Ihren Erfahrungen profitieren.“
Klimaneutralität lässt sich nicht verordnen
Im Jahr 2019 fiel in Bonn der Beschluss des Stadtrates, dass Bonn bis spätestens 2035 klimaneutral sein soll. Die Mitglieder der Transition Town Initiative Bonn im Wandel hatten dieses im deutschen Vergleich sehr ehrgeizige Ziel der Stadt begrüßt. Zugleich war ihnen klar: Klimaneutralität lässt sich nicht verordnen. Es braucht Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Zusammenarbeit und gutes Miteinander aller Akteure, Ideen und einen durchdachten Klimaplan.
Mit Unterstützung der Stadtverwaltung und Kommunalpolitik und begleitet von mehr als 70 Initiativen und Organisationen brachten sie deshalb Bonn4Future auf den Weg, einen großangelegten Prozess, in dessen Rahmen auch geloste Beteiligung eine wichtige Rolle gespielt hat.
Aktionsplan für klimaneutrales Bonn
Am 10. September 2022 fand das vierte und vorerst letzte Klimaforum seinen Abschluss. Der Aktionsplan der Bürgerinnen und Bürger für ein lebenswertes und klimaneutrales Bonn wurde an Oberbürgermeisterin Katja Dörner übergeben.
Mehr als 200 zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger, gut 50 gesellschaftliche Akteure aus Zivilgesellschaft, Organisationen und Wirtschaft, aber auch mehr als 40 Vertreterinnen und Vertreter der Verwaltung hatten in zwei Jahren einen Klima-Aktionsplan erarbeitet. Er beschreibt, was aus Sicht der Bürger passieren muss, damit Bonn klimaneutral und lebenswert wird.
Klimaplan mit Bürgerempfehlungen
Ende April 2024 hatte die Stadt eine Aktualisierung zum Bonner Klimaplan vorgelegt. Der neue Klimaplan Plus enthält jetzt auch die Empfehlungen von über 300 Bonnerinnen und Bonnern, die beim großen Mitwirkungsverfahren „Bonn4Future - Wir fürs Klima“ mitgearbeitet haben.
Die Laudatorin Dr. Esther Hoffmann vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung formulierte zur Begründung: „Bonn4Future - Wir fürs Klima“ zielte darauf, Bonn bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu machen. In breit besetzen Klimaforen mit zufällig rekrutierten Bürgerinnen und Bürgern, Interessenvertretern und Verwaltung wurde ein Klima-Aktionsplan entwickelt, der aus Sicht der Teilnehmer beschreibt, wie die Transformation zur klimaneutralen und lebenswerten Stadt gelingt.
„Bonn4Future bietet Inspiration für andere Städte“
Das Beteiligungsverfahren leistet so einen Beitrag zur dringend notwendigen sozial-ökologischen Transformation. Denn nur gemeinsam und mit positiven Zukunftsbildern kann diese gelingen. Hier bietet Bonn4Future Inspiration für andere Städte und weitere zivilgesellschaftliche Initiativen.“
In Brandis hatten Einwohnerinnen und Einwohner 2022 in einem gelosten Bürgerrat die Aktualisierung des Leitbilds ihrer Stadt diskutiert. Das aufsuchende Losverfahren hat dabei eine diverse Gruppe mit vielen Perspektiven zusammengebracht. So war etwa der jüngste Teilnehmer 14 Jahre, die älteste Teilnehmerin 84 Jahre alt.
Jugendrat zur Jugendbeteiligung
Am 29. November 2022 hatten zufällig geloste Schülerinnen und Schüler dem Stadtrat die Empfehlungen ihres Jugendrates zur Verbesserung der Jugendbeteiligung in der Kommune übergeben. Vorgeschlagen wird die Einrichtung eines Jugendbeirates sowie ein einmal im Jahr stattfindendes Jugendforum mit zufällig ausgelosten Teilnehmern.
Für den Jugendrat waren ab Jahrgangsstufe 7 pro Klasse der Oberschule und des Gymnasiums Brandis zwei Schüler/innen als Teilnehmer/innen ausgelost worden. Der Jugendrat hatte sich dann aus 60 Schülerinnen und Schülern zusammengesetzt.
Bürgerräte ernst nehmen
Laudatorin Gisela Erler, ehemalige Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg, hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für Bürgerräte und betonte, dass Bürgerinnen und Bürger politisch genauso viel Einfluss bekommen müssen wie Lobbyverbände.
Als wichtigste Voraussetzungen für eine gelungene Beteiligung betonte sie, dass die Politik Bürgerräte möglichst früh einbinden und sich verpflichten muss, die Ergebnisse ernsthaft zu prüfen, und Ablehnungen öffentlich begründen.
2023 drei Bürgerräte ausgezeichnet
Bereits 2023 waren mit der Gemeinde Bischweier, der Region Freiburg und die Stadt Werder an der Havel drei Kommunen mit der Auszeichnung "Gute Bürgerbeteiligung" geehrt worden, in deren Beteiligungsverfahren das Los eine maßgebliche Rolle spielte.