Erster Bürgerrat in Kroatien

07. November 2023
Roman Huber / Mehr Demokratie

Im kroatischen Rijeka läuft seit dem 3. November 2023 der erste Bürgerrat des Landes. 34 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger beraten über Möglichkeiten zur Verbesserung der lokalen Verwaltung und Bürgerbeteiligung.

Aufgabe des Bürgerrates ist es

  • sich mit dem System der kommunalen Selbstverwaltung und den Möglichkeiten zur lokalen Bürgerbeteiligung ertraut machen
  • zu überlegen und zu diskutieren, wie das System der lokalen Selbstverwaltung verbessert und die lokale Bürgerbeteiligung verbessert werden kann
  • gemeinsam Empfehlungen für Maßnahmen zu entwickeln, die die Stadt Rijeka ergreifen sollte, um die lokale Selbstverwaltung zu verbessern und mehr Bürgerbeteiligung vor Ort zu ermöglichen

Bei der Lösung dieser Aufgabe werden die Teilnehmer von Expertinnen und Experten für Verwaltung und Bürgerbeteiligung unterstützt.

Abbild der Stadtbevölkerung

Der Bürgerrat tagt vom 3. November bis zum 7. Dezember 2023 insgesamt sieben Mal. Die Losversammlung wurde aus den an einer Teilnahme interessierten Ausgelosten so zusammengestellt, dass sie nach Geschlecht, Alter und Wohnort ein Abbild der Stadtbevölkerung ist. Das jüngste Bürgerrat-Mitglied ist 22 Jahre alt, der älteste Teilnehmer ist 74.

1.000 Haushalte waren zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen worden. Zur Gewinnung von Teilnehmern wurde das aufsuchende Losverfahren angewandt. Hierbei wurden Einwohner Zuhause besucht, um sie über den Bürgerrat zu informieren und sie zum Mitmachen zu bewegen. Teilnehmen können alle Einwohner Rijkas ab 18 Jahren mit Wahlrecht bei den nationalen Wahlen in Kroatien. Das Losverfahren wurde vom Meinungsforschungsinstitut Stratosfera zusammen mit der zivilgesellschaftlichen Organisation SMART entwickelt.

Unterstützung für Teilnehmer

Nicht teilnahmeberechtigt sind Mitglieder des Stadtrates oder des Kreistages des Kreises Primorsko-Goranska und deren Haushaltsangehörige. Gleiches gilt für Angestellte der Stadt Rijeka, Mitglieder des Bürgerrat-Durchführers SMART sowie andere an der Vorbereitung oder Durchführung des Bürgerrates Beteiligte und deren Haushaltsangehörige.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich verpflichtet, an mindestens fünf der sieben Bürgerrat-Sitzungen teilzunehmen. Für die Teilnahme gibt es eine Aufwandsentschädigung von 140 Euro. Alle Teilnehmer erhalten zudem Verpflegung und eine Busfahrkarte kostenlos sowie ein Angebot zur Kinderbetreuung.

Bürger haben viel zu sagen“

Initiatorin des Bürgerrates ist die Stadt Rijeka zusammen mit dem Verein zur Entwicklung der Zivilgesellschaft SMART. Beide werden dabei von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt, die den Bürgerrat auch mitfinanziert.

Oberbürgermeister Marko Filipović erklärte zum Start des Bürgerrates: „Mit der Gründung des Bürgerrats gehen wir ins Ungewisse, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bürger, die sich für die Teilnahme an diesem Projekt entschieden haben, viel zu sagen haben und uns auf mögliche Probleme hinweisen.“

Als Bürger teilhaben“

Teilnehmende Bürgerinnen und Bürger freuen sich über die Möglichkeit zur Mitarbeit. „Ich bin so froh, dass ich die Einladung in den Bürgerrat angenommen habe“, so Jasminka Vukelić. „Ich habe vor allem aus Neugier geantwortet, aber auch, weil ich denke, dass Rijeka das Potenzial hat, zu wachsen, Fortschritte zu machen und dass wir als Bürger daran teilhaben können.“

Ich würde gerne genauer sehen, wie unsere Stadt funktioniert“, sagte Ratko Mišić. Er betonte, dass er noch nie zuvor die Gelegenheit gehabt habe, an der Arbeit einer ähnlichen Bürgerversammlung teilzunehmen.

Eindrücke von der ersten Sitzung

Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand von Mehr Demokratie, hat die Stadt Rijeka bei der Planung des Bürgerrates beraten. Bei der Auftaktsitzung am 3. November 2023 war er vor Ort. Hier schildert er seine Eindrücke:

„Im Bürgerrat sitzt ein alter Kriegsveteran, der 'seine Brille vergessen' hat, also vermutlich nicht oder nicht gut genug lesen kann. Der junger Mann, der neben ihm sitzt, liest ihm die Texte vor und erklärt sie ihm.

Aufsuchendes Losverfahren wirksam

Es sind Menschen dabei, die laut eigener Aussage noch nie irgendwo teilgenommen haben. Ein Anästhesist, der gestern noch sagte, er könne nicht kommen, hat kurzerhand seine Schicht verschoben und macht Nachtschicht, damit er doch teilnehmen kann. Für viele ist es das erste Mal im Kreis zu sitzen und zu einer Gruppe zu sprechen und einander zuzuhören.

Die meisten Teilnehmer kommen über das aufsuchende Losverfahren. Die Moderatorinnen und Moderatoren waren selbst unterwegs und haben an den Türen geklingelt. Da es keine Daten aus dem Einwohnermeldeamt gab, wurden Straßen ausgelost und von von Hausnummer x bis z an jeder Tür geklopft.

Bürgerrat jetzt schon ein Erfolg“

Für Sonja Schirmbeck, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung Kroatien, ist der Bürgerrat jetzt schon ein Erfolg, denn alle 'wussten' zuvor, dass Bürgerbeteiligung in Kroatien nicht funktionieren und niemand kommen würde. Und jetzt so eine diverse Gruppe. Mehrere andere Städte im Land sind schon neugierig, auch der Bürgermeister der Hauptstadt Zagreb.“

Nach Abschluss der Arbeit des Bürgerrates von Rijeka werden dessen Empfehlungen auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht. Außerdem werden die Bürgerrat-Vorschläge allen wichtigen Interessengruppen in der Stadt zur Prüfung und Kommentierung zugeschickt. Oberbürgermeister Marko Filipović wird allen Teilnehmern eine ausführliche Antwort und Stellungnahme zukommen lassen.

Mehr Informationen: Vijeće građana Rijeka