Empfehlungen gegen Desinformation übergeben
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am 12. September 2024 die Empfehlungen des Bürgerrates "Forum gegen Fakes" entgegengenommen. Inhalt sind Vorschläge und Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation.
Falschinformationen im Internet sind eine Gefahr für die Demokratie, da sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik, den öffentlichen Diskurs und die staatlichen Institutionen untergraben können. Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland nimmt diese Gefahr ebenfalls wahr. Die Bertelsmann Stiftung hatte im Beteiligungsprojekt "Forum gegen Fakes" mit Hilfe der Bürger Empfehlungen zum Umgang mit Desinformation entwickelt und diese der Politik übergeben.
15 Empfehlungen und 28 Maßnahmen
Der Bürgerrat hat 15 Empfehlungen und 28 Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation diskutiert und ausgearbeitet. Die Empfehlungen richten sich nun an Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, aber auch die individuelle Selbstverantwortung spielt eine wichtige Rolle beim Umgang mit Desinformation.
Insgesamt wird deutlich: Das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Bekämpfung von Desinformation ist schwer aufzulösen. Die wichtigsten Schlüssel sind Bildung und Medienkompetenz, nicht nur verpflichtend in der Schule, sondern als Angebot in allen Gruppen der Gesellschaft.
Unabhängige Anlaufstelle für Bürger und Journalisten
Der Bürgerrat fordert, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um Desinformation und von künstlicher Intelligenz erstellte Inhalte zu kennzeichnen und die Verbreitung von Desinformation einzudämmen. Dafür braucht es beispielsweise eine unabhängige Anlaufstelle für Bürger und Journalisten mit Experten in Beratungsgremien.
Auch die Plattformen werden in die Pflicht genommen: Ihr Design soll dazu anregen, Quellen von Bildern und zitierten Fakten anzugeben. Sie sollen verpflichtet werden, jährlich 1 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes in die Bekämpfung von Desinformation zu investieren. Die Algorithmen sollen dafür sorgen, dass Inhalte, die Kennzeichen für Desinformation aufzeigen, nicht verbreitet werden. Der Qualitätsjournalismus soll gestärkt werden, sich selbst aber auch in die Aufklärungsarbeit zu den Auswirkungen von Desinformation auf die Demokratie und die Gesellschaft einzubringen.
Nicht zuletzt können Nutzerinnen und Nutzer selbst eine Menge tun. Voraussetzung dafür sind Sensibilisierung und Aufklärung über Desinformation sowie ein bewussterer Umgang beim Posten und Teilen von potenziell demokratiegefährdenden Inhalten auf Social Media.
Online-Abstimmung über Empfehlungen
Vom 5. Juni bis zum 2. Juli 2024 konnten sich alle Bürgerinnen und Bürger online am "Forum gegen Fakes" beteiligen und die finalen Handlungsempfehlungen des Bürgerrates bewerten: 216.534 Teilnehmer hatten 623.048-mal über die 28 Maßnahmenvorschläge des Bürgerrates abgestimmt.
Die Bürgerinnen und Bürger bewerteten die Empfehlungen überwiegend positiv, jedoch differenziert. Jede empfohlene Maßnahme erhielt mehr Zustimmung als Ablehnung, jedoch keine mehr als 75 Prozent Zustimmung. Großen Anklang fanden vor allem Maßnahmen, die auf eine erhöhte Transparenz von Informationen und medialen Inhalten abzielen und den Menschen ein besseres Verständnis darüber ermöglichen, woher Informationen stammen. Beispielsweise erhielt die Kennzeichnung von Inhalten, die durch künstliche Intelligenz erstellt wurden, 73 Prozent Zustimmung.
Desinformation aktiv angehen und Lösungen erarbeiten
Maßnahmen, die sich auf das Nutzungsverhalten Einzelner beziehen, bekamen tendenziell niedrigere Zustimmung. Zum Beispiel erhielt die Maßnahme „Man sollte User über eine Bedenkzeit vor die Wahl zu stellen, ob sie Posts mit vermeintlicher Desinformation veröffentlichen wollen“ 48 Prozent Zustimmung.
Klar zu erkennen ist: Die meisten im Land sprechen sich dafür aus, dass Politik wie auch Plattformbetreiber, Medien und Zivilgesellschaft das Thema Desinformation aktiv angehen und Lösungen erarbeiten.
Die Handlungsempfehlungen des Bürgerrates wurden mit den Abstimmungsergebnissen aus der Online-Beteiligung in einem Bürgergutachten aufbereitet. Dieses wurde am 12. September 2024 an das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), sowie andere Interessengruppen, übergeben.
Desinformation ein Problem für die Gesellschaft
Manipulierte Informationen erwecken den Eindruck, dass es sich um echte, belegbare Nachrichten handelt. So werden gezielt Falschinformationen verbreitet. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sagen 84 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Desinformation im Internet ein großes Problem für unsere Gesellschaft ist.
Mit dem Projekt "Forum gegen Fakes - Gemeinsam für eine starke Demokratie" will die Stiftung der Gefahr durch Desinformation aktiv etwas entgegensetzen. Denn die Verbreitung von gezielten Falschinformationen kann das Vertrauen in Politik und Medien sowie den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess untergraben.
Deutschlandweites Beteiligungsprojekt
Am 24. Januar 2024 war das "Forum gegen Fakes - Gemeinsam für eine starke Demokratie" gestartet. Dabei handelt es sich um ein deutschlandweites Beteiligungsprojekt der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat, der Stiftung Mercator und der Michael Otto Foundation for Sustainability. Das Projekt wird unterstützt durch das Nachrichtenportal t-online und die Initiative #UseTheNews.
Ziel des Projektes ist es, Bürger über die Gefahren von Desinformation aufzuklären und zu sensibilisieren. Adressaten der im Forum erarbeiteten Handlungsempfehlungen sind Entscheidungsträger in Bund und Ländern, aber auch weitere Interessengruppen wie z.B. Plattformbetreiber, Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen.
Online-Beteiligung
Um so viele Menschen wie möglich zu beteiligen und zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen, wurden im Projekt „Forum gegen Fakes - Gemeinsam für eine starke Demokratie“ zwei verschiedene Arten der Beteiligung miteinander kombiniert:
1. Die gesamte Bevölkerung war gefragt: In einer breitangelegten Online-Beteiligung konnte sich jede und jeder einbringen. Vom 24. Januar bis zum 1. April 2024 waren alle Menschen in Deutschland aufgerufen, sich online zu der Frage: „Fakes und Manipulationen: Was sollten wir tun, um unsere Demokratie zu schützen?“ zu beteiligen. Dafür konnten eigene Vorschläge zum Umgang mit Desinformation eingereicht und über Vorschläge von anderen Beteiligten abgestimmt werden. Die Resonanz war hoch: Fast 200.000 Menschen hatten sich online beteiligt und rund 1.600 Vorschläge zum Vorgehen gegen Fake News eingebracht.
Fakes und Manipulationen Gefahr für Demokratie
Die Analyse der Ergebnisse hat ergeben: Bürgerinnen und Bürger betrachten Fakes und Manipulationen als eine reale Gefahr für die Demokratie. Die Teilnehmer haben vor allem drei große Bereiche ausgemacht, in dem sie sich Verbesserungen wünschen, "Bildung und Sensibilisierung", "Medienpraxis" sowie bei den sozialen Netzwerken. Konkret wird unter anderem eine Stärkung der Medienkompetenz gefordert und ein strengeres Vorgehen gegen Fake News vonseiten der sozialen Medien.
Auch an die etablierten Medien stellen die Beteiligten Forderungen. So soll es eine deutliche Trennung zwischen Nachrichten und Meinungen geben. Die Sorge vor einer Beeinflussung durch fremde Staaten spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle.
Handlungsempfehlungen formuliert
2. In einem Bürgerrat hat eine vielfältig zusammengesetzte Gruppe von 120 Bürgerinnen und Bürgern die aufbereiteten Ergebnisse der Beteiligung miteinander diskutiert und die wichtigsten Punkte bearbeitet. Die Losversammlung war nach den Kriterien Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Bildungsgrad und Migrationshintergrund ein Abbild der Bevölkerung. Der Bürgerrat hatte am 15. März 2024 seine Arbeit aufgenommen.
Zusätzlich hatte der Bürgerrat die Möglichkeit, sich bei Fragen mit Expertinnen und Experten auszutauschen. Mit diesem Wissen konnte der Bürgerrat die relevantesten Themen fundiert bearbeiten. Als Ergebnis hatte der Bürgerrat konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik formuliert, die in einem sogenannten Bürgergutachten zusammengefasst wurden.
Zweite Phase der Online-Beteiligung
Vom 22. April bis zum 12. Mai 2024 lief zu den Bürgerrat-Vorschlägen eine zweite Phase der Online-Beteiligung. Interessierte konnten fünf vorläufigen Empfehlungen des Bürgerrates kommentieren und darüber abstimmen. 9.620 Personen hatten diese Möglichkeit genutzt. Es wurde 11.100-mal abgestimmt und 1.703 Kommentare wurden abgegeben. Vier der fünf Empfehlungen wurden mit über 75 Prozent Zustimmung angenommen.
Ein Blick auf die Ergebnisse verrät, dass Meinungsfreiheit bei den Teilnehmenden eine wichtige Rolle spielt. Zudem lässt sich ein Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Regulierung bzw. Strafverfolgung und dem Bedürfnis nach freier Meinungsäußerung in den Kommentaren wahrnehmen.
Beteiligungsergebnisse diskutiert
Die Abstimmungen und Kommentare wurden eingehend analysiert. Vom 24. - 26. Mai hatte der Bürgerrat “Forum gegen Fakes” ein letztes Mal in Berlin getagt und dabei die Rückmeldungen aus der zweiten Online-Beteiligungsphase diskutiert. Dieses Feedback diente den Teilnehmern des Bürgerrates zur Verbesserung und endgültigen Formulierung ihrer Empfehlungen.
Die letzte Online-Beteiligungsphase hatte am 5. Juni 2024 begonnen und endete am 2. Juli 2024. Hier konnten alle Bürgerinnen und Bürger erneut abstimmen und die wichtigsten Empfehlungen an die Politik zum Umgang mit Desinformation identifizieren.
Über alle Online-Beteiligungsphasen hinweg haben mehr als 424.000 Menschen teilgenommen. Insgesamt wurde mehr als 1,5 Millionen Mal abgestimmt.
Bundesregierung will Projekt-Ergebnisse nutzen
Abschließend hat der Bürgerrat am 12. September 2024 das Bürgergutachten mit Politikempfehlungen an das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie die Bertelsmann Stiftung übergeben. Zudem sind weitere Ministerien, Bundestagsausschüsse sowie Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus Bund und Ländern Adressaten des Bürgergutachtens. Die darin enthaltenen Politikempfehlungen nutzt das BMI unter anderem zur Erarbeitung der Strategie zum Umgang mit Desinformation.
Bundesinnenministerin Faeser erklärte bei der Übergabe des Bürgergutachtens des Bürgerrates: "Wenn es um Maßnahmen gegen Desinformation geht, dann geht es um nichts Geringeres als um den Schutz unserer Demokratie. Fremde Staaten, insbesondere Russland, versuchen mittels Desinformation und Propaganda, das Vertrauen der Bevölkerung in unser demokratisches System und seine Institutionen zu untergraben. Im Netz finden sich abertausende von Falschmeldungen, manipulierter Bilder und irreführender Clips. Wie es trotz alledem gelingen kann, dass Menschen Desinformation besser erkennen, anstatt darauf hereinzufallen - genau darum geht es bei ,Forum gegen Fakes‘. (...) Ich danke allen Beteiligten für das freiwillige und ehrenamtliche Engagement. Wir werden die Empfehlungen jetzt auswerten und prüfen, inwieweit sie in die weitere Arbeit des BMI in diesem Themenfeld einfließen können."
Vielfalt der Bevölkerung im Bürgerrat
Der Bürgerrat sollte die Vielfalt der Bevölkerung in Deutschland abbilden. Für die Zusammensetzung des Bürgerrates wurden deshalb folgende Kriterien zugrunde gelegt: Regionale Herkunft (alle Bundesländer), Gemeindegröße (aus Städten und dem ländlichen Raum), Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Migrationshintergrund. Neben Deutschkenntnissen (mindestens Level B2) als Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Bürgerrat waren keine speziellen Fachkenntnisse erforderlich. Mitmachen konnten alle Einwohnerinnen und Einwohner ab 18 Jahren.
In einem ersten Schritt wurde eine große Anzahl an Bürgerinnen und Bürger per Zufall kontaktiert. Die Zufallsstichproben wurden aus zufällig generierten Telefonnummern und aus einer Marktforschungsdatenbank gezogen. In einem zweiten Schritt wurden die Interessierten nach den Kriterien Bundesland, Gemeindegröße, Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Migrationshintergrund und die dafür vorgesehenen Quoten analysiert. Am Ende des Verfahrens stand eine feste Gruppe von 120 Bürgerinnen und Bürgern, die den Bürgerrat „Forum gegen Fakes“ bildeten.
Gleiche Teilnahme-Chance für alle
Im Detail bedeutet das: Zur Kontaktaufnahme wurden Telefonnummern per Zufallsprinzip aus Telefonverzeichnissen gezogen oder zufällig von Computern generiert. Diese Mobilfunk- und Festnetznummern wurden angerufen und Personen ab 18 Jahre über den Bürgerrat informiert. Theoretisch hatten alle Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands mit einem Festnetz- oder Mobilfunktelefonanschluss die Chance, angerufen zu werden und am Bürgerrat teilzunehmen.
Die Anmeldung erfolgte in zwei Schritten: Personen, die den Kriterien entsprachen, wurden eingeladen, sich zu bewerben. Interessierte Personen bewarben sich daraufhin auf die freien Plätze im Bürgerrat. Sowohl bei dem Telefonat als auch bei der Bewerbung wurde überprüft, ob die interessierten Personen den Kriterien entsprechen, für die noch freie Plätze zur Verfügung stehen. Wenn dies der Fall war, erfolgte der zweite Schritt, bei dem die Bürgerinnen und Bürger verbindlich angemeldet wurden. Weitere Interessierte wurden auf einer Warteliste festgehalten. Bei Absagen rückten passende Personen aus diesem Interessentenpool nach.
"Mitzumachen lohnt sich"
Projektchef Dominik Hierlemann von der Bertelsmann Stiftung erklärt den Sinn des Beteiligungsverfahrens: "Wenn die Politik neue Strategien für gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt, dann ist es unserer Ansicht nach wichtig, die Bürgerinnen und Bürger daran zu beteiligen. Wir brauchen zu wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen eine breite Bürgerbeteiligung. Deshalb haben wir dieses Projekt initiiert.
Partizipationsprozesse, an denen sich möglichst viele beteiligen können - mit konkreten Ideen und Vorschlägen. Wo sehen die Bürger die größte Herausforderung? Was ist ihnen am wichtigsten? Welche Vorschläge erhalten die meiste Zustimmung? Mitzumachen lohnt sich, weil wir selbst als Menschen dazulernen, weil wir uns mit anderen auseinandersetzen, weil wir mehr über ein Thema erfahren. Diesen Aspekt der Demokratie vergessen wir allzu oft."
Debatten "erfrischend und erquickend"
Das bestätigen auch Mitglieder des Bürgerrates. Die Ravensburgerin Melanie Peilstöcker empfand die Debatten in den Arbeitsgruppen als „erfrischend und erquickend“. Aus den Diskussionen hat die 43-jährige Diplom-Betriebswirtin und Heilpraktikerin für Psychotherapie einen vertieften Respekt vor politischen Entscheidungsprozessen mitgenommen: „Über Politik geschimpft wird immer leicht. Aber ich möchte nicht mit den Entscheidern tauschen. Ich habe es als kompliziert empfunden, konkrete Regeln und Empfehlungen abzuleiten.“ Sie habe gelernt: „Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme.“
Der Kölner Christian Erichsen (60) bezeichnet die Organisation, aber auch die Diskussionen mit den anderen Teilnehmern beim „Forum gegen Fakes“ als vorbildlich: „Es herrschte eine Debattenkultur, wie ich sie mir nur wünschen kann“, sagt er rückblickend. „Ich hatte den Eindruck, dass wirklich ein Querschnitt der Gesellschaft zusammengekommen ist. Und dass bei allen Meinungsverschiedenheiten und trotz des schwierigen Themas freundlich und respektvoll miteinander umgegangen wurde.“
Bürgerräte tun der Demokratie gut
Erichsen ist aufgrund seiner eigenen Erfahrung davon überzeugt, dass Bürgerräte der Demokratie guttun. „Dass man damit nicht allen Demokratie-Skeptikern den Wind aus den Segeln nehmen wird, ist klar. Aber solche Formate geben den Bürgern das Gefühl: Wir hören auch zu und wir nehmen eure Belange ernst.“