"Einzigartige Perle im Herzen Berlins“
Die Nutzung des Tempelhofer Feldes in Berlin ist seit langem umstritten. Vom 3. Juli bis zum 22. September 2024 lief ein ein gelostes Bürgerbeteiligungsverfahren zur Zukunft des Areals.
Am 21./22. September 2024 hat sich eine deutliche Mehrheit der 150 anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der zweiten Dialogwerkstatt zur Zukunft des Tempelhofer Feldes gegen eine Randbebauung des Feldes ausgesprochen. Stattdessen bevorzugten die meisten eine Weiterentwicklung der verschiedenen Nutzungen wie etwa Kultur-, Bildungs- und Sportangebote. Von zehn sogenannten Entwicklungsperspektiven für das Feld, die von den Teilnehmern die meiste Unterstützung erhielten, sieht keine eine Randbebauung vor.
"Bewahrung der Perle im Herzen Berlins"
Die meisten Stimmen aus dem Gesamtplenum erhielt die Entwicklungsperspektive mit dem Titel „Bewahrung der weltweit einzigartigen Perle im Herzen Berlins“. Als zentral Punkte wurden genannt: „keine Bebauung“, „Förderung und Ausbau des Bestehenden“ sowie „THF für alle“. Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung des Felds für den Naturschutz, den Klimaschutz und die Klimaanpassung.
"Es ist ein Ort für Freiheit, für Regeneration für Berliner und Besucher. Es soll keine Bebauung auf dem Tempelhofer Feld geben", sagte ein Dialogwerkstatt-Teilnehmer. Eine andere Teilnehmerin erklärte: "Nach diesem diskussionsintensiven Wochenende kann es kein Projekt für die Wohnraumbebauung geben, das haben wir einheitlich im Konsens beschlossen."
Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) bedankte sich am Ende der Veranstaltung bei allen Teilnehmern. Es gehe darum, „das Tempelhofer Feld noch besser nutzbar für die Stadt zu machen“. Die Ergebnisse würden nun aufbereitet und in den kommenden Ideenwettbewerb eingespeist. „Es geht nichts verloren an Meinungen“, sagte Gaebler. Der Ideenwettbewerb soll am 13. November starten und bis Mai 2025 laufen. Die Dialogwerkstatt soll sich am Ende mit den Ergebnissen des Ideenwettbewerbs noch einmal auseinandersetzen.
275 Teilnehmer
Was in Zukunft mit dem Tempelhofer Feld passieren könnte, steht im Fokus des Dialogprozesses. 275 zufallsausgewählte Berlinerinnen und Berliner waren eingeladen, sich mit verschiedenen Perspektiven breit und offen zu beschäftigen. Die Teilnehmer für die Dialogwerkstätten waren im Vorfeld ausgelost worden: 20.000 Menschen aus dem Berliner Einwohnermelderegister waren angeschrieben und um Teilnahme gebeten worden. Von den rund 1.000 Interessierten hatten dann 275 Losglück.
Die Teilnehmer haben sich an zwei Wochenenden im September intensiv mit dem Tempelhofer Feld beschäftigt, Fachwissen zu Themen wie Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Klima- und Naturschutz, Gemeinwohl und Freiräume vermittelt bekommen, unterschiedliche Perspektiven für die Zukunft breit und offen diskutiert und gemeinsam Empfehlungen entwickelt.
Wie mit dem Tempelhofer Feld umgehen?
Im Dialogprozess wird berücksichtigt, wie das Tempelhofer Feld bisher genutzt wird und wie sich der voraussichtliche Bedarf für den Wohnungsbau entwickelt. Weitere Gesichtspunkte sind die Nutzungswünsche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Bedeutung des historischen Flughafengebäudes mit Blick auf Folgen für die Entwicklung und Nutzung des Areals. Die Ergebnisse sollen in die Aufgabenstellung des anschließenden internationalen planerischen Ideenwettbewerbs einfließen.
Das Tempelhofer Feld ist das ehemalige Flugfeld des früheren Flughafens Tempelhof. Das heute als Park und Freizeitfläche genutzten Gelände hat eine Gesamtfläche von etwa 304 Hektar. Etwa 90 Prozent gehören zum Bezirk Tempelhof-Schöneberg, rund 10 Prozent zum Bezirk Neukölln.
Am 25. Mai 2014 hatten die Berliner in einem Volksentscheid über Volksbegehren „100 % Tempelhofer Feld“ ein vollständiges Bauverbot für das ehemalige Flugfeld beschlossen. 68,2 Prozent der Abstimmenden hatten dafür votiert. Die vom Abgeordnetenhaus von Berlin zur Alternative gestellte Vorlage sah eine moderate Randbebauung und den Schutz der 230 Hektar großen zentralen Grünflächen des inneren Feldes vor. Für diese Vorlage votierten aber nur 44,3 Prozent der Abstimmenden. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 46,1 Prozent.
Längere Vorgeschichte
Die Debatte über die (Nach-)Nutzung des Feldes hat jedoch eine längere Vorgeschichte. Sie steht bereits seit dem politischen Beschluss der Länder Berlin, Brandenburg und des Bundes im Jahr 1996, die beiden innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel zugunsten des in Schönefeld gelegenen Willy-Brandt-Flughafens (BER) zu schließen, im Raum.
Während das Flughafengebäude als Denkmal von Welterbeformat und mit einer bewegten Vergangenheit aufgrund der gegebenen Gebäudestruktur und des Denkmalschutzes nur begrenzte Nutzungs- und Veränderungsmöglichkeiten bietet, sieht dies für das Tempelhofer Feld anders aus. Folgerichtig konzentrierten sich viele der stadtentwicklungspolitischen Debatten auf die Frage der Nutzung des Feldes. Die vorgebrachten Ideen lagen dabei teils weit auseinander und die öffentliche Debatte war immer wieder von starken Polarisierungen geprägt.
„Es bedarf einer neuen Debatte“
Die bei der Wiederholungswahl im Jahr 2023 gewählte Regierungskoalition aus CDU und SPD hat in ihren „Richtlinien der Regierungspolitik 2023 - 2026“ zur Zukunft des Tempelhofer Felds vereinbart:
„Es bedarf angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014 einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb wird der Senat die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten. Der weit überwiegende Teil der Freifläche bleibt bei einer klimagerechten Gesamtgestaltung für Erholung, Freizeit, Sport und Kultur gesichert. Das Feld soll einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität Berlins leisten.
„Neubewertung durch Berliner maßgeblich“
Mit der Randbebauung sollen Wohnquartiere mit breiten sozialen Angeboten für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Stadtgesellschaft geschaffen werden. Der Wohnungsbau soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft LWU sowie gemeinwohlorientierten Genossenschaften vorbehalten und im Betrieb klimaneutral sein. Die Nutzung dezentraler und stadtverträglicher erneuerbarer Energien und die Begrünung werden einen zusätzlichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Zu dieser Frage gesamtstädtischer Bedeutung ist für den Senat die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich.“
Das Berliner Abgeordnetenhaus hatte die vorgelegten Richtlinien der Regierungspolitik in seiner Sitzung am 25. Mai 2023 gebilligt.
Dialog statt Auseinandersetzung
Angesichts der Komplexität, aber auch der Konfliktträchtigkeit des Themas, möchte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen die öffentliche Verständigung mit einer „Dialogwerkstatt“ anstoßen. Anstatt die verschiedenen Interessengruppen in eine öffentliche Auseinandersetzung um „die richtige Lösung“ aufeinander treffen zu lassen, soll sich zunächst eine Gruppe von etwa 250 zufallsgelosten Einwohnerinnen und Einwohnern mit ihren Erwartungen und Vorstellungen für das Tempelhofer Feld äußern. Die verschiedenen Akteure rund um das Tempelhofer Feld werden eingeladen, sich in diesen Prozess als Wissens- und Erfahrungsträger einzubringen.
Der Dialogprozess wird zusammen mit dem integrierten internationalen stadt- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerb sowie einer begleitenden öffentlichen Beteiligung im Zeitraum von Mai 2024 bis Mitte/Ende 2025, vorbehaltlich politischer Entscheidungen, durchgeführt. Ziel ist es, sich mit einem stadtweiten Dialogprozess qualifiziert einer Neubewertung des Tempelhofer Feldes und einer möglichen Änderung des Gesetzes zum Tempelhofer Feld anzunähern.
Ideenwettbewerb begonnen
Am 13. November 2024 hat der europaweit ausgeschriebene, zweiphasige stadt- und freiraumplanerische Ideenwettbewerb für das Tempelhofer Feld begonnen. Planungsteams aus den Bereichen Stadtplanung, Architektur und Landschaftsarchitektur aus ganz Europa sind aufgerufen, ihr Fachwissen einzubringen und sich fachlich mit stadt- und freiraumplanerischen Entwürfen am Wettbewerb zu beteiligen. Ein Preisgericht wird im Juni 2025 die besten fünf Entwürfe auswählen. Teilnehmer der Dialogwerkstätten haben Sitz im Preisgericht.
Im Anschluss an den Wettbewerb werden dessen Ergebnisse im Juli 2025 in einer dritten Dialogwerkstatt vorgestellt und im September 2025 allen Interessierten in einer Ausstellung zugänglich gemacht.
Opposition kritisiert Beteiligungsprozess
Die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus hat den Beteiligungsprozess als Farce kritisiert. Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion, hatte den Senat dazu aufgefordert, den Ideenwettbewerb abzusagen. Dass der Senat das Verfahren weiterführe, zeuge von erheblicher Realitätsverweigerung und zeige, wie sehr SPD und CDU den Profiten der Baulobby verpflichtet seien.
Die "von Ideologie getriebenen Bebauungspläne" gehörten endgültig eingestampft, sagte BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser angesichts des eindeutigen Votums der Werkstatt-Teilnehmer. "Jetzt noch weiteres Geld in einen Bebauungswettbewerb zu versenken, wäre nicht nur eine mehrfache eindeutige Missachtung des Bürgerwillens, sondern auch angesichts der Berliner Haushaltsnot verantwortungslos."
Architektenbündnis sieht Randbebauung kritisch
Grünen-Fraktionschef Werner Graf verwies zudem darauf, dass die Bebauung des Feldes Berlins Wohnungsmarktprobleme nicht lösen werde. Der Senat versuche, mit der Diskussion um das Feld davon abzulenken, dass er mit seinen laufenden Bauvorhaben nicht vorankomme und die Neubauziele verfehle, so Graf.
Auch das Architektenbündnis „Architects4THF“ sieht eine Randbebauung kritisch. Nach der Ankündigung des Ideenwettbewerbs haben sich hier Berliner Stadtplaner und Architekten zusammengetan, um das Tempelhofer Feld in seiner jetzigen Form zu bewahren und die demokratische Kultur schützen.
"Die Ausschreibung ist irreführend und wird als politisches Instrument genutzt, um die Absichten des Berliner Senats öffentlich zu platzieren“, erklären die Initiatoren des Bündnisses, Jolene Lee und Malte Willms. Hier Wohnungen zu bauen „würde den Bodenwert der umliegenden Grundstücke derart in die Höhe treiben, dass die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit ganzer Stadtteile drastisch eingeschränkt würde." Die Vorschläge des Stadtentwicklungsprogramms für 2040 für bezahlbaren Wohnraum in Berlin außerhalb des Tempelhofer Feldes, hätte der Senat nicht ernst genommen.
"Leere hat einen Raum, Stille hat eine Stimme"
"Nicht zu bauen ist auch ein architektonisches Statement - denn Leere hat einen Raum, Stille hat eine Stimme", erklären Lee und Willms. "Wir erkennen die Relevanz des Baus neuer Sozialwohnungen zur Bewältigung der Wohnungskrise an. Allerdings teilen wir die Einschätzung mehrerer Studien, die aufzeigen, dass es eine Vielzahl an weiteren Möglichkeiten für den Wohnungsbau gibt, die über das Tempelhofer Feld hinausgehen", so die Architekten.
Für den stadtentwicklungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, ging es bei den Dialogwerkstätten "nicht um die Frage, ob gebaut wird, sondern darum, was". Es gelte weiterhin der Koalitionsvertrag, der die Randbebauung vorsieht. Man wolle sich außerdem nicht auf die Empfehlungen einer kleinen Gruppe verlassen, sondern im Zweifel eher noch mal alle Berliner befragen.
Ergebnisse der Dialogwerkstätten ernst nehmen
Oliver Wiedmann, Berliner Büroleiter des Vereins Mehr Demokratie, fordert den Senat auf, die Ergebnisse der Dialogwerkstätten ernst zu nehmen. Er kann nachvollziehen, dass die Entscheidung des Senats, den Wettbewerb einfach weiterzuführen, in der Zivilgesellschaft für Irritationen sorgt. Zwar seien die Ergebnisse aus den Werkstätten nicht bindend, „aber man kann sie auch nicht komplett ignorieren“.
Wiedmann hält den ganzen Ablauf für falsch. Zuerst hätte entschieden werden müssen, ob das Feld bebaut wird, am besten mithilfe eines neuen Volksentscheids, so der Vorschlag des Vereins Mehr Demokratie. Dann hätte man mit den Bürgern in Werkstätten über die Ausgestaltung diskutieren können. So aber herrsche Chaos, die Abläufe seien einfach nicht klar. Was passiert denn nach dem Wettbewerb? Wie geht die Politik mit den Ergebnissen um, die daraus hervorgehen? Das seien Fragen, die schon vorher hätten geklärt werden müssen.