„Ein starkes Signal an die Bürger“

17. September 2024

Die Institutionalisierung von gelosten Beteiligungsverfahren spielt in Belgien sowohl auf föderaler als auch auf regionaler Ebene eine immer wichtigere Rolle. Ist sie ein wichtiger Hebel, um Beteiligung langfristig zu verankern? Sichert Institutionalisierung diese Verfahren wirklich über politische Unwägbarkeiten hinweg? Die französische Demokratie-Organisation "Missions Publiques" hat Manon Salmain und Jonathan Moskovic dazu befragt.

Das Interview erschien zuerst auf der Internetseite von Missions Publiques.

Manon Salmain ist die Projektmanagerin für Luft-Klima-Energie bei Brussels Environment. Brussels Environment ist die Verwaltung, die den regionalen Klima-Bürgerrat in Brüssel ins Leben gerufen hat. Dieser ständige Bürgerrat umfasst mehrere Durchläufe, in denen 65 bis 100 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger über mehrere Monate hinweg über klimarelevante Themen beraten. Jeder Durchlauf umfasst fünf Sitzungstage. Die Losversammlung wird für jedes Thema neu zusammengestellt und wählt das Thema für die nächste Versammlung aus. Das erste Thema war Wohnen, das zweite Ernährung, und das nächste wird sich wahrscheinlich mit der Kreislaufwirtschaft und den Gemeingütern befassen.

Jonathan Moskovic ist ehemaliger Berater für demokratische Innovationen im französischsprachigen Brüsseler Parlament, das gemischte deliberative Ausschüsse eingerichtet hat. Diese Ausschüsse setzen sich aus Abgeordneten und zufällig ausgewählten Bürgern zusammen (drei Viertel Bürger und ein Viertel Abgeordnete) und umfassen je nach Parlament insgesamt 48 bis 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie haben sich mit Themen wie der Einführung des Mobilfunkstandards 5G, Obdachlosigkeit, der Rolle der Bürger bei der Bewältigung von Krisen, Berufsausbildung, städtischer Biodiversität und Stadtlärm befasst.

Was ermöglicht und garantiert Institutionalisierung?

Frage: Belgien institutionalisiert zunehmend bestimmte Beteiligungsverfahren: Die Zufallsauswahl ist gesetzlich verankert, deliberative Ausschüsse sind in der Geschäftsordnung sowohl des Bundesparlaments als auch des Brüsseler Parlaments enthalten, und per Gesetz wurde der erste ständige Bürgerrat in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgien eingeführt. Was wird dadurch ermöglicht und garantiert?

Jonathan Moskovic: Deliberative Ausschüsse sind in der Geschäftsordnung des Brüsseler Parlaments verankert, die drei Ausschüsse pro Jahr vorsieht, die bestimmten Regeln folgen: Anzahl der Teilnehmer und Sitzungen, Ziele, Abstimmungsregeln usw. So gab es in der letzten Legislaturperiode sechs Ausschüsse. Jeder Ausschuss befasst sich mit einem vom Parlament festgelegten Thema, das entweder von Abgeordneten oder Bürgern vorgeschlagen wird.

Der Rahmen zielt darauf ab, „Grenzen“ für das Verfahren zu setzen und gleichzeitig flexibel genug für Entwicklung und Anpassung zu bleiben. So wurden beispielsweise in der letzten Legislaturperiode die Verordnungen und Leitlinien angepasst, um den Herausforderungen besser gerecht zu werden. Es gab Dutzende von Änderungen, darunter auch die Ausweitung der Anwesenheit von Experten im Verfahren.

„Institutionalisierung gewährleistet Dauerhaftigkeit des Verfahrens“

Die Institutionalisierung gewährleistet die Dauerhaftigkeit des Verfahrens, aber seine Umsetzung und seine Ziele hängen stark vom politischen Willen ab. Die Wahlen auf Bundes- und Landesebene am 9. Juni 2024 haben zu erheblichen Veränderungen bei den künftigen Mehrheiten geführt. Für eine neue Mehrheit dürfte es schwierig sein, das Verfahren abzuschaffen, sie könnte sich aber dafür entscheiden, während ihrer Amtszeit keine deliberativen Ausschüsse einzusetzen.

Manon Salmain: Für den Klima-Bürgerrat legen die Regeln die Methode zur Auswahl der Bürger, die Diversitätsziele, die Gesamtstruktur, die obligatorische Nachbereitung nach drei und zwölf Monaten usw. fest. Sie lassen gleichzeitig mehr Freiheit bei den Organisationsformaten und Methoden.

Eine Bewertung nach dem ersten Durchlauf führte zu methodischen Anpassungen für den zweiten Durchlauf. So haben wir beispielsweise die Gruppe von 100 auf 70 Bürgerinnen und Bürger verkleinert und die Einsparungen genutzt, um uns auf Vielfalt und Qualität statt auf Quantität zu konzentrieren. Außerdem haben wir die Sitzungsformate angepasst und mit einer spezialisierten Organisation zusammengearbeitet, um mehr junge Menschen zu gewinnen.

Institutionalisierte Nachbereitung

Eine wichtige Neuerung ist die institutionalisierte Nachbereitung des Bürgerrates. Jeder Durchlauf umfasst zwei Antworten: die erste drei Monate nach Einreichung der Bürgerrat-Ergebnisse bei der Regierung und die zweite ein Jahr später. Für jeden Durchlauf wird ein Bürgerkomitee gebildet, für das zehn Freiwillige nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden, um die Umsetzung der Arbeit des Bürgerrates ein Jahr lang zu überwachen.

Der dritte Durchlauf soll Anfang 2025 beginnen, wobei bereits ein Budget bereits zugewiesen. Für die Weiterbearbeitung des vorangegangenen Durchlaufs werden jedoch die künftigen Abgeordneten zuständig sein, und die Ambitionen für dieses Verfahren werden vom politischen Willen abhängen.

Frage: Verändert die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Bürgern die Arbeitsweise des Parlaments oder der Verwaltung?

Moskovic: Eine der Herausforderungen der deliberativen Ausschüsse besteht darin, eine ausgewogene Beteiligung zu gewährleisten und eine Dominanz der gewählten Vertreter zu vermeiden, die an solche Aufgaben gewöhnt sind. Gewählte Abgeordnete sind in einem Verhältnis von einem Viertel zu drei Vierteln Bürger dabei, was ausgewogene Diskussionen in Untergruppen ermöglicht.

Anfänglich haben Abgeordnete vielleicht Schwierigkeiten, ihren Platz zu finden, da sie mit dem Thema oft vertraut sind und sich eher als Experten denn als Teilnehmer positionieren können. Bei ihrer zweiten Teilnahme neigen sie jedoch dazu, besser mitzuspielen und ihre Rolle nicht als überlegene Bürger oder bloße Beobachter zu verstehen.

„Ausschüsse haben die Abgeordneten überzeugt“

Dennoch gibt es auch innerhalb der Bürgergruppen eine Machtdynamik, die durch Alter, Geschlecht und Bildung beeinflusst wird. Die größte Herausforderung besteht nach wie vor darin, die Empfehlungen in die Politik zu übertragen und Kontakt zu den Nichtteilnehmern herzustellen.

Diese Ausschüsse haben auch die Abgeordneten selbst überzeugt. Sie bringen Mitglieder der Mehrheit und der Opposition zusammen und ermöglichen es ihnen, die Beratungen gleichermaßen zu erleben. Viele ursprünglich skeptische Abgeordnete haben ihre Meinung geändert und sind zu Befürwortern der deliberativen Ausschüsse geworden.

Schon das Prinzip der deliberativen Ausschüsse, dass die Bürger an der Gestaltung der Politik beteiligt werden müssen, ist ein starkes Signal an die Bürger. Wie der frühere Präsident des französischsprachigen Brüsseler Parlaments sagte: „Was wir an Macht verlieren, gewinnen wir an Legitimität“. Dieser Ansatz ist ermutigend für künftige Mehrheitswechsel, da es sich nicht um einen parteispezifischen Mechanismus, sondern um ein bewährtes demokratisches Verfahren handelt.

„Eine Herausforderung für die Verwaltung“

Salmain: Während des gesamten Durchlauf des Klima-Bürgerrates werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um Verwaltungsmitglieder einzubeziehen und einen Dialog mit den Bürgerrat-Teilnehmern herzustellen. Das ist positiv, denn die Verwaltungen haben nur begrenzten Kontakt zu den Bürgern und ihren Realitäten. Es ist ein neuer Ansatz für Brussels Environment, der die Dynamik zwischen den Dienststellen fördert. Es ist jedoch eine Herausforderung und ein Lernprozess für eine Verwaltung, mit den Bürgern zu arbeiten.

Es gibt drei Schlüsselmomente: Vor dem Bürgerrat versammeln wir die zuständigen Dienststellen, um die genaue Fragestellung zu definieren. Während des Verfahrens werden die Dienststellen mobilisiert, um sich mit der Arbeit der Bürgerinnen und Bürger zu befassen, bestehende Initiativen zu identifizieren und die Gruppe beim Vorankommen zu unterstützen.

Nach der Arbeit der Bürgerinnen und Bürger nehmen wir uns intern Zeit, um ihre Vorschläge zu analysieren und angemessen zu beantworten, ohne dabei Fachsprache zu verwenden. Diese Zeit ist wichtig, um die Bedürfnisse der Bürger zu verstehen und aus ihren Vorschlägen zu lernen.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Workshop und den Diskussionen:

  • Durch die Institutionalisierung wird die Bürgerbeteiligung in die Routine der Politikgestaltung integriert, ohne sie zu versteinern, wenn eine ständige Verbesserung angestrebt wird.
  • Die Einbindung von Bürgern, gewählten Vertretern und Verwaltungen gewährleistet eine bessere Nutzung der Ergebnisse und schafft neue Verbindungen zwischen diesen Gruppen.
  • Die Institutionalisierung ist keine 100%ige Garantie, sondern setzt Grenzen: Zufallsauswahl, Anzahl der Arbeitssitzungen, obligatorische Nachbereitung.
  • Politischer Ehrgeiz und Wille entscheiden immer über den Erfolg eines Verfahrens.
  • Die Institutionalisierung sollte neben gelegentlichen Verfahren in Betracht gezogen werden, um Dopplungen und Überschneidungen zu vermeiden.
  • Eine gute Institutionalisierungsformel besteht darin, das Verfahren über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, ohne das Mandat der Bürger zu verlängern. Das Verfahren ist langfristig, nicht das Engagement der Bürger.
  • Das Vorhandensein eines nationalen Einwohnermelderegisters (in Belgien und Deutschland) erleichtert die Zufallsauswahl erheblich.
  • Nicht alle Verfahren müssen institutionalisiert werden.

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