„Ein Bürgerrat kann Vertrauen schaffen“

18. Oktober 2025
Initiative Offene Gesellschaft

Im Dezember 2024 und Januar 2025 hat sich der Bürgerrat Bördehalle in Welver mit der Zukunft der maroden Sport- und Veranstaltungshalle befasst.

Das Besondere: Die Einberufung dieses von der Initiative Offene Gesellschaft im Auftrag der Gemeinde durchgeführten Bürgerrates knüpfte an die vom GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften durchgeführten Befragung an, auf deren Grundlage untersucht wurde, ob sich die Menschen in Welver bei Entscheidungsprozessen ausreichend gehört fühlen und wie die Bürgerbeteiligung dabei verbessert werden kann.

Befragung zur Demokratiezufriedenheit

In zwei begleitenden Online-Umfragewellen (vor sowie nach den Bürgerrat-Sitzungen) wurden unter anderem Themen wie Demokratiezufriedenheit und das Verhältnis zur Politik abgefragt. Untersucht wurde der Effekt des Bürgerrats als Beteiligungsmaßnahme auf diese Einstellungen.

Die Ergebnisse zeigen: Der Bürgerrat wurde von einer Mehrheit als vertrauensvolles Gremium bewertet und die Durchführung hat dazu beigetragen, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kompromissen gewachsen ist.

Interview mit Andreas Meinlschmidt

Andreas Meinlschmidt, Programmkoordinator für Partizipation bei der Initiative Offene Gesellschaft und verantwortlich für den Bürgerrat in Welver hat in seinem Interview über seine Perspektiven auf Bürgerräte und die Rolle von Beteiligung für das Demokratievertrauen gesprochen.

Das Interview erschien zuerst auf der Internetseite der Initiative Offene Gesellschaft.

Frage: Was will die Initiative Offene Gesellschaft mit Beteiligungsformaten, wie Bürgerräten, bewirken?

Meinlschmidt: Demokratie‬‭ lebt‬‭ davon,‬‭ dass‬‭ Menschen‬‭ sich‬‭ begegnen,‬‭ einander‬‭ zuhören‬‭ und‬ gemeinsam‬‭ nach‬‭ Lösungen‬‭ suchen.‬‭ Doch‬‭ genau‬‭ diese‬‭ Räume‬‭ fehlen‬‭ häufig.‬‭ Viele‬‭ fühlen‬‭ sich‬‭ politisch‬‭ nicht‬‭ vertreten, andere‬‭ haben‬‭ kaum‬‭ Berührung‬‭ mit‬‭ dem,‬‭ was‬‭ außerhalb‬‭ ihrer‬‭ eigenen‬‭ Lebenswirklichkeit‬‭ passiert.‬‭

Als Initiative Offene Gesellschaft schaffen wir mit Beteiligungsformaten Räume für Diskussion, für Entwicklung konkreter Ideen, für konstruktive Kritik und gesellschaftliche Teilhabe.

Frage: Welche Funktion hat dabei das Beteiligungsformat Bürgerrat?

Meinlschmidt: Auf Bürgerräte werden aktuell große Hoffnungen für die Demokratie gesetzt. In Kooperation mit GESIS‬‭ – ‬‭Leibniz-Institut‬‭ für‬ Sozialwissenschaften‬‭ und der Gemeinde Welver haben wir 2024/25 das Projekt „NexCiCo“ umgesetzt und mehr dazu herausgefunden, ob und unter welche Bedingungen Bürgerräte das gewünschte Demokratie-Upgrade sein können.

In‬‭ der‬‭ Gemeinde‬‭ Welver‬‭ haben wir den‬‭ Bürgerrat Bördehalle durchgeführt. Besonders war, dass eine wissenschaftlich‬‭e Untersuchung den Bürgerrat begleitet hat, um herauszufinden,‬‭ welche‬‭ Effekte‬‭ ein‬ solches‬‭ Format‬‭ auf‬‭ das‬‭ politische‬‭ Klima‬‭ in‬‭ einer‬‭ Kommune und das Vertrauen in die Demokratie‬‭ haben‬‭ kann.‬‭

Mit der Zukunft um den Verbleib der Bördehalle - einer lokalen Veranstaltungshalle - stand‬‭ eine‬‭ konkrete,‬‭ über‬‭ Jahre‬‭ hinweg‬‭ umstrittene‬‭ Frage‬‭ innerhalb‬‭ der‬ ‭ Gemeinde im Zentrum der Auseinandersetzung. 30 geloste Bürgerinnen und Bürger diskutierten das Thema über drei Sitzungen hinweg und präsentierten ihre Ideen am Ende dem Gemeinderat in einem Empfehlungsbericht.

Frage: Jetzt die entscheidende Frage: Sind Bürgerräte ein probates Mittel, um das Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen? Was habt ihr im Projekt herausgefunden?

Meinlschmidt: Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die bisherige Forschung zeigt: Dialogorientierte Formate wie Bürgerräte können wichtige demokratische Funktionen erfüllen.

Viele Teilnehmende empfinden politische Entscheidungen im Anschluss an Bürgerräte nachvollziehbarer und gerechter. Besonders durch das Losverfahren beziehen Bürgerräte auch jene Menschen ein, die sich sonst selten oder gar nicht politisch engagieren. Es ist allerdings noch unklar, ob und wie Bürgerräte über die Teilnehmenden hinaus auch indirekt auf die breite Bevölkerung wirken.

Das haben wir versucht mit zwei Umfragen im Projekt „NexCiCo“ herauszufinden. Dafür hat unser wissenschaftlicher Partner vor und nach der Sitzungszeit des Bürgerrats jeweils eine Umfrage durchgeführt und untersucht, inwieweit sich die Stimmung bei den Befragten verändert hat. Gefragt wurde unter anderem nach Kompromissbereitschaft, Vertrauen in die Politik und Fairness im Bürgerrat-Prozess. Als Initiative Offene Gesellschaft gehen wir mit fünf zentralen Erkenntnissen aus dem Prozess.

1. Ein Bürgerrat kann Vertrauen schaffen

Der Bürgerrat wird nicht nur von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sondern auch in der breiteren Bevölkerung als glaubwürdig wahrgenommen. Das Vertrauen in das Gremium lag sogar über dem Vertrauen in den Gemeinderat. Die Arbeit wurde als faktenbasiert und einsichtig eingeschätzt. Für Kommunen zeigt sich darin ein wichtiges Potenzial: Gut gemachte Beteiligung kann Legitimität schaffen - besonders ergänzend zu etablierten Institutionen und gerade in konflikthaften oder politisch festgefahrenen Situationen.

2. Ein Bürgerrat darf nicht das einzige Beteiligungsformat bleiben

Der Bürgerrat hat in einer vergleichsweise kleinen Kommune hohe Bekanntheit erreicht. Gleichzeitig blieben die Möglichkeiten zur aktiven Auseinandersetzung begrenzt. Damit Beteiligung über den Kreis der Teilnehmenden hinaus Wirkung entfalten kann, braucht es offene, niedrigschwellige Zugänge und Formate, die auch außerhalb des Gremiums Berührungspunkte schaffen. Möglich wären hier die Abgabe von Meinungen on- sowie offline oder öffentliche Debatten, mit deren Impulsen sich der Bürgerrat in Sitzungen beschäftigt.

3. Ein Bürgerrat wirkt nur auf bestimmte Aspekte des Demokratieverständnisses

Der Bürgerrat hat in einzelnen Bereichen Wirkung gezeigt, etwa in der veränderten Haltung zu politischen Kompromissen. Andere Einstellungen wie das Gefühl politischer Selbstwirksamkeit oder die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung blieben dagegen weitgehend auf dem gleichen Niveau. Das zeigt: Wer Beteiligung nachhaltig stärken will, muss über punktuelle Formate hinausdenken und dauerhafte Wege zur Mitgestaltung schaffen.

4. Ein Bürgerrat muss von der Politik ernst genommen werden

Der Bürgerrat konnte Wirkung entfalten, weil Thema, Verfahren und politische Einbindung gut aufeinander abgestimmt waren und weil der Prozess von der lokalen Politik mitgetragen wurde. Die Empfehlungen wurden in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung entgegengenommen und erfuhren mediale Aufmerksamkeit.

Beteiligung entfaltet besonders dann Wirkung, wenn sie nicht als symbolisches Zusatzangebot behandelt wird, sondern als ernst gemeinte politische Aushandlung. Für die langfristige Wahrnehmung ist entscheidend, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird. Dabei geht es nicht um eine vollständige Umsetzung im Wortlaut, sondern darum, dass politische Entscheidungen im Anschluss transparent begründet und sichtbar an den Prozess rückgebunden werden. Nur so entsteht Vertrauen, dass Beteiligung mehr ist als reine Symbolik und ein einmaliges Format.

5. Ein Bürgerrat steigert die Kompromissfähigkeit

Der Bürgerrat hat gezeigt, dass deliberative Formate dabei helfen können, verhärtete politische Einstellungen aufzulockern. Deutlich wurde dies an der veränderten Haltung zu Kompromissen: Die Zustimmung zur Aussage, politische Kompromisse seien ein Verrat an Prinzipien, nahm im Verlauf des Projekts spürbar ab. Diese Entwicklung lässt auf eine gestiegene Bereitschaft schließen, unterschiedliche Perspektiven anzuerkennen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Beteiligungsformate wie Bürgerräte können nicht nur zur Bearbeitung konkreter Sachfragen beitragen, sondern auch das Verständnis für demokratische Aushandlungsprozesse stärken. Sie fördern eine politische Kultur, in der Konflikte durch gemeinsame Verständigung gelöst werden.

Fazit: Genauerer Blick notwendig

Frage: Wie bewertest du abschließend die Rolle von Bürgerräten für die Demokratie?

Meinlschmidt: Die fünf genannten Erkenntnisse sind (...) allgemeine Ableitungen für uns als Zivilgesellschaft und ein Ausgangspunkt für die weitere Arbeit. Wichtige Fragen müssen in Folgeprojekten erforscht werden.

Ich empfehle einen Blick auf die genauen Zahlen aus der Umfrage, die wir in einem Bericht veröffentlicht haben. Ein Blick in den Bericht „Kompromiss, Vertrauen, Fairness“ lohnt sich, weil er:

  • das Spannungsfeld Hoffnung und Herausforderungen rund um Bürgerräte und Demokratie aufmacht,
  • Verweise auf aktuelle Studien zum Thema liefert,
  • den Prozess des Projekts „NexCiCo“ detaillierter beschreibt,
  • Zahlen und Vergleichswerte aus dem „Bürgerrat Welver“ liefert,
  • weitere 10 konkrete Empfehlungen und Erkenntnisse vorstellt.

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