Das Losglück kehrt nach Köln zurück

27. März 2025
Mehr Demokratie / Robert Boden

Wie möchten wir uns in unserem Stadtviertel bewegen? Was trägt dazu bei, dass wir uns wohlfühlen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich seit 28. März 2025 der erste Kölner Bürgerrat. Nach bereits 1979 durchgeführten Planungszellen zu einer Stadtentwicklungsfrage ist der Bürgerrat die zweite Kölner Losversammlung zu einem lokalen Thema.

Am Bürgerrat nehmen 55 Kölnerinnen und Kölner teil, die per Losverfahren ausgewählt wurden. Sie entwickeln mithilfe von Fachleuten in einem moderierten Verfahren ein stadtweites Konzept, wie künftig die Straßen und Plätze in Quartieren mit überwiegender Wohnnutzung in Köln aussehen könnten.

7.000 Einladungen

Zur Gewinnung von Mitgliedern für den Bürgerrat hatte die Stadt 7.000 Personen aus einer zufällig gezogenen Stichprobe des Melderegisters angeschrieben. 1.395 Eingeladene (19,9 Prozent) hatten sich für eine Teilnahme beworben. 

Weil es immer bestimmte Gruppen gibt, die über schriftliche Einladungen nur schwer erreicht werden und in öffentlichen Debatten meistens nicht ausreichend Gehör finden, wurden neun Bürgerrat-Mitglieder über Multiplikatoren eingeladen. Hier gab es eine enge Zusammenarbeit mit der Sozialraumkoordination in Köln sowie der Kölner Freiwilligen Agentur als stadtgesellschaftlicher Teil des kooperativen Büros für Öffentlichkeitsbeteiligung.

Diese Organisationen hatten Menschen angesprochen, die häufig aus sozial oder ökonomisch benachteiligten Verhältnissen kommen und teilweise das Vertrauen in demokratische und politische Prozesse verloren haben oder sich davon nicht angesprochen fühlen. Dazu zählen beispielsweise Menschen mit Armutserfahrungen, niedrigem Einkommen, eingeschränktem Bildungszugang, Migrationshintergrund oder Behinderung. Über die Multiplikatoren konnten soziale Einrichtungen und Organisationen erreicht werden, die wiederum direkten Kontakt zu den stillen Gruppen haben und die Menschen persönlich zum Bürgerrat einladen konnten.

"Wichtiger Schritt für mehr Bürgerbeteiligung"

Die per Brief oder über die Multiplikatoren Eingeladenen hatten per Online-Formular oder postalisch über einen Rückmeldebogen Angaben zu Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnort, Migrationshintergrund, Form des privaten Haushalts und Verkehrsverhalten gemacht. Anhand dieser Angaben wurden mit Hilfe des geschichteten Losverfahrens 60 Personen für den Bürgerrat so ausgewählt, dass sie nach den gemachten Angaben ein Abbild der Kölner Bevölkerung sind. Fünf aus diesen Bewerbungen Eingeladene erschienen jedoch nicht. Alle Bürgerrat-Mitglieder erhalten für ihr Engagement eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro.

"Ich bin stolz, dass so viele Kölnerinnen und Kölner am ersten Bürgerrat der Stadt teilnehmen möchten. Dies ist ein wichtiger Schritt für mehr Bürgerbeteiligung in Köln. So können die Kölnerinnen und Kölner ihre Ideen direkt in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Den 60 Mitgliedern des Pilotprojekts wünsche ich einen offenen Austausch und konstruktive Diskussionen", erklärte Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum Start der Losversammlung.

Bürgerrat erarbeitet Empfehlungen

Der Bürgerrat erarbeitet bis zum 11. Mai 2025 in fünf Sitzungen Empfehlungen zum Thema "Mobil im lebenswerten Quartier". Diese sollen Maßnahmen umfassen, mit denen die Kölner Viertel in Zukunft nachhaltig und lebenswert gestaltet werden können. Das Konzept soll zeigen, anhand welcher Kriterien geeignete Räume in Köln priorisiert werden und wie die Kölnerinnen und Kölner bei der Umsetzung beteiligt werden können.

Begleitet und unterstützt werden die Bürgerrat-Mitglieder durch Fachleute aus der Verwaltung und einer externen Beratung. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Planung und Zivilgesellschaft vermitteln Ihnen das nötige Hintergrundwissen.

Aufgaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Ziel des Bürgerrates ist es, Empfehlungen für die stadtweite Konzeption zur zukunftsfähigen Straßenraumgestaltung in den Kölner Vierteln zu erarbeiten. Hierzu sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

  1. Ziele für die Gestaltung von Straßenräumen entwickeln
  2. konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele vorschlagen
  3. Kriterien dazu erarbeiten, welche geeigneten Räume hierfür vorrangig zu nutzen sind und
  4. Ideen zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Umsetzung entwickeln

Der Bürgerrat wird vom städtischen Büro für Öffentlichkeitsbeteiligung organisiert. Durchführer sind der Beteiligungsdienstleister ifok sowie der Verein "Zukunftsrat Köln". Das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) der Bergischen Universität Wuppertal begleitet die Losversammlung wissenschaftlich. Expertinnen und Experten des Instituts sind bei allen Sitzungen anwesend. Sie protokollieren den Verlauf, befragen Mitglieder des Bürgerrates und bewerten Qualität und Wirkungen des Verfahrens in einem Abschlussbericht.

Planungszellen 1979

Mit dem Bürgerrat kehrt Köln nach 46 Jahren zur Losdemokratie zurück. Bereits 1979 hatten 250 Kölnerinnen und Kölner in zufällig gelosten Planungszellen Vorschläge zur Gestaltung des Bereichs um das historische Rathaus und und den aus dem Mittelalter stammenden Veranstaltungsort Gürzenich gemacht.

Ein Bürgergutachten dokumentierte auf 124 Seiten die von den Ausgelosten erarbeiteten Empfehlungen. Auffallend waren die Abweichungen der Vorschläge zur Flächennutzung durch die Architektinnen und Architekten auf der einen und die Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

Wohnungen statt Büros

Während die Architektur-Fachleute für die Wohnnutzung nur einen Anteil von 19,4 Prozent vorgeschlagen hatten, hatten die Planungszellen-Mitglieder einen Anteil von 48,7 Prozent empfohlen. Die Bürgerinnen und Bürgern wollten der Verwaltungsnutzung nur einen Anteil von 6,2 Prozent einräumen, die Architektinnen und Architekten hingegen 35,5 Prozent.

Der Stadtentwicklungsausschuss des Stadtrates stimmte am Ende dem Vorschlag der Losversammlung zu. 

„Planung auf den Kopf gestellt“

„Auswärtige Beobachter sprachen davon, dass die vorausgegangene Planung durch das Bürgergutachten ‚auf den Kopf gestellt‘ wurde“, schrieb Planungszellen-Erfinder Prof. Peter C. Dienel in seinem Buch „Bürger planen das Rathausviertel“ über das Beteiligungsverfahren in Köln. Prof. Dienel war als Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren an der Gesamthochschule Wuppertal Impulsgeber des Kölner Beteiligungsverfahrens. Die praktische Durchführung des Kölner Verfahrens lag in den Händen der Forschungsstelle.

Was hat die Verwaltung aus dem Beteiligungsverfahren gelernt? „Das Experiment des Einsatzes des Planungszellenverfahrens unter großstädtischen Bedingungen in Köln ist im Ganzen positiv verlaufen“, fasste der seinerzeitige städtische Beigeordnete Dr. Rüdiger Göb die gemachten Erfahrungen zusammen.  Ein Erfahrungsbericht der Stadt Köln zur Erarbeitung des Bürgergutachtens empfahl die weitere Anwendung des Planungszellenverfahrens. Trotzdem ließ die Rückkehr der Losdemokratie nach Köln 46 Jahre auf sich warten.

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