Das Geschenk Bürgerrat entwickeln

14. Oktober 2024
Anita Back, Robert Bosch Stiftung

Am 7. Oktober 2024 veranstalteten die Robert Bosch Stiftung, der Verein „Klimamitbestimmung“ und das Netzwerk der Ernährungsräte das Zukunftsforum Bürgerräte. Dazu waren etwa 75 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft in Berlin zusammengekommen. Ein Bericht von Klimamitbestimmung.

Im ersten Teil des Zukunftsforums blickten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zurück auf den ersten Bürgerrat des Bundestages, den Bürgerrat „Ernährung im Wandel“. Dieser hatte im Februar 2024 seine Empfehlungen an den Bundestag übergeben.

Bürgerrat Ernährung mit hoher Qualität

Teilnehmer und Durchführer des Bürgerrates, Wissenschaftler, die den Bürgerrat begleitet haben, und Bundestagsabgeordnete aus dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft attestierten dem Bürgerrat eine hohe Qualität. Anschließend wurden gemeinsam Umsetzungsperspektiven diskutiert und Netzwerke gebildet.

Im zweiten Teil des Forums stand die Zukunft von Bürgerräten im Mittelpunkt. Beispiele von Bürgerräten in Erlangen und Kirchanschöring zeigten eindrucksvoll auf, wie Kommunen mit Hilfe von Bürgerräten gesellschaftliche Herausforderungen besonders in konfliktbehafteten Politikfeldern wirkungsvoll angehen.

Beispiele aus Erlangen und Kirchanschöring

In Erlangens Klimaaufbruch wurde deutlich, wie eine Verknüpfung von Bürgerrat und Interessengruppen-Beteiligung funktionieren kann. Die Erfahrungen der bayerischen Kommune Kirchanschöring veranschaulichten, wie Bürgerräte gerade auch in ländlichen und konservativ geprägten Landesteilen erfolgreich sein können.

In zwei Podiumsdiskussionen mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags sowie Karen Bömelburg und Biggy Kewitsch, Teilnehmerinnen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ ging es darum, was nun mit den Empfehlungen passiert und ob es auch in Zukunft weitere Bürgerräte aus Bundesebene geben wird.

Umsetzung von Empfehlungen braucht Zeit

Anfang 2024 hatte der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ neun Empfehlungen an den Bundestag übergeben. Viele Umsetzungen benötigen laut den Abgeordneten mehr Zeit. Bei zwei Empfehlungen wollen Renate Künast (Grüne) und Daniela de Ridder (SPD) aus dem zuständigen Ernährungsausschuss aber noch vor der nächsten Bundestagswahl zu Entscheidungen kommen - bei einer Altersgrenze für Energydrinks und der Weitergabe von Lebensmitteln, die nicht mehr verkauft werden können. Beide Empfehlungen wurden zuletzt in öffentlichen Fachgesprächen im Bundestag diskutiert.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Verian, das im Rahmen der Evaluation des Bürgerrates Ernährung durchgeführt wurde, unterstützen 88 Prozent der Bevölkerung eine gründliche Befassung mit den Empfehlungen des Bürgerrates.

Unterstützung aus Unternehmen und Organisationen

Auf der Veranstaltung gab es weitere Unterstützung durch Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen. Julius Palm von Followfood überreichte einen offenen Firmenbrief, den auch Unternehmen wie Oatly unterzeichnet hatten. Patrick Müller vom BUND übergab einen Brief im Namen von 79 zeichnenden Organisationen. Und Helena Hahne und Magnus Wagner waren Briefboten der Briefe von Privatpersonen. Initiiert wurde die Aktion im Rahmen der Kampagne „Hört auf den Bürgerrat“ von den Climate Guardians und dem Verein Klimamitbestimmung.

Albert Stegemann (CDU) ging beim Thema Altersgrenze für Energydrinks auf seine Kolleginnen von der SPD und Grünen zu. Eine überparteiliche Einigung wäre ein starkes Signal an den Bürgerrat.

„Bürgerrat hat neue Impulse gesetzt“

Stegemann äußerte sich darüber hinaus überraschend positiv zu Bürgerräten. “Es weiß ja jeder, dass wir anfänglich unsere Probleme damit hatten“. Er habe den Prozess jedoch nicht so wahrgenommen, als würde er die Legitimation des Parlaments untergraben. Stattdessen sei der Bürgerrat ein sehr konstruktiver Prozess gewesen. „Wenn wir uns im Ausschuss unterhalten, kreisen wir immer wieder um dieselben Argumente und der Bürgerrat hat wirklich neue Impulse gesetzt.“ so Stegemann.

Der CDU-Abgeordnete betonte, dass Bürgerräte „nur ein Instrument sein [können], weil wir natürlich eine parlamentarische Demokratie haben.“ Gleichzeitig bezeichnete er das Format als Geschenk, „und wenn wir dieses Geschenk so entwickeln, dass man Demokratie stärkt, dann ist das ein Gewinn für uns“. Eine solche Aussage ist bemerkenswert, da sich Stegemann wie viele seiner Fraktionskollegegen bisher kritisch gegenüber Bürgerräten geäußert hatte.

Mit Bürgern Lösungsvorschläge machen

Anders ist das bei CSU-Bürgermeister Hans-Jörg Birner aus Kirchanschöring. Er führt regelmäßig Bürgerräte durch und berichtete auf der Veranstaltung begeistert von seinen Erfahrungen. Für die Bedenken seiner konservativen Kolleginnen und Kollegen im Bund habe er kein Verständnis. „Es kann doch nur hilfreich sein, wenn ich gemeinsam mit den Bürgern ein Thema bearbeite und dann gemeinsam einen Lösungsvorschlag mache“, so Birner.

Seiner Ansicht nach fehlt es in der Bundes-Union an Aufklärung über die Stärken dieses Instruments sowie an konkreten Erfahrungen erfolgreicher Umsetzungen.

Weiterer Bürgerrat vor Wahl fraglich

Offen bleibt, ob auch weitere Vertreter der Unionsparteien dem Instrument Bürgerrat zukünftig positiver begegnen werden. Dem zuständigen Berichterstatter der CDU/CSU- Fraktion, Philipp Amthor, war eine Teilnahme am Zukunftsforum nicht möglich.

Ob es noch vor der Bundestagswahl 2025 einen weiteren Bürgerrat geben wird, ist fraglich. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Sommer einen Bürgerrat zur Corona-Aufarbeitung ins Spiel gebracht. SPD und FDP konnten sich innerhalb der Bundesregierung diesbzgl. nicht darüber einigen. Stephan Thomae von den Liberalen bestätigte bei der Veranstaltung, dass es nicht gut aussehe für einen weiteren Bürgerrat in dieser Legislaturperiode.

Mehr Bürgerräte gewünscht

Ob es weiterhin Bürgerräte auf Bundesebene geben wird, hängt damit an der nächsten Koalition. Eine nach dem Bürgerrat Ernährung vom Meinungsforschungsinstitut Verian durchgeführte Umfrage zeigt, dass unabhängig von Parteivorlieben eine deutliche Mehrheit in Deutschland sich das wünscht.

In einer Zeit, in der viele Menschen „die da oben“ als abgehoben wahrnehmen, könnte eine „Politik des Gehörtwerdens“ ein vielversprechendes Wahlkampfthema sein. Die SPD-Abgeordnete Rita Hagl-Kehl bestätigte jedenfalls, dass ihre Partei sich bei möglichen Koalitionsverhandlungen wieder für Bürgerräte einsetzen werde. Auch bei den Grünen ist wohl davon auszugehen.

Es liegt an der Union

Am Ende wird es an der Union liegen. Die Frage ist, ob die Konservativen auf Bundesebene bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Bürgerräten bleiben, oder ob die CDU/CSU sich in Regierungsverantwortung zurückbesinnt auf Wolfgang Schäuble.

Schäuble hatte sich in seiner Zeit als Bundestagspräsident mit den Worten „Es isch notwendig“ für Bürgerräte stark gemacht. Die Stimmen, die aus unionsregierten Kommunen wie Kirchanschöring oder dem Ernährungsausschuss beim Zukunftsforum Bürgerräte anklangen, deuten jedoch darauf hin, dass auch in der Union noch um eine Position gerungen wird.

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