Bürgerrat zu Schulzeiten in Frankreich

07. Mai 2025
cese

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat am 2. Mai 2025 die Einberufung eines Bürgerrates zur Frage angekündigt, wie lang das französische Schuljahr und der Schultag sein sollen - und ob die Sommerferien verkürzt werden sollen.

„Ich halte es für notwendig, dass wir daran arbeiten, die Organisation des Schulalltags so zu gestalten, dass er der Entwicklung und dem Lernen der Schüler förderlicher ist, und dass wir ein Gleichgewicht finden, um das Leben für Familien zu erleichtern“, sagte Macron in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Parisien.

„Kinder fallen in Leistungsniveau zurück“

„Wir haben sehr, sehr lange Sommerferien. Kinder, die keine familiäre Unterstützung haben, fallen oft in ihrem Leistungsniveau zurück. Der Bürgerrat scheint mir das geeignetste Instrument zu sein, um die französische Bevölkerung zu befragen“, so Macron.

Es handele sich um ein sehr komplexes Thema, das einen Konsens zwischen allen Betroffenen erfordere, darunter Eltern, das Bildungswesen einschließlich der außerschulischen Angebote, lokale Behörden und sogar Tourismusfachleute.

Der Bürgerrat soll dazu beitragen, ein Bild von den Meinungen eines Querschnitts der französischen Bevölkerung zu bekommen und die Bürgerinnen und Bürger direkter in die Arbeit der Regierung einzubeziehen.

Zwei Monate Sommerferien

Französische Schülerinnen und Schüler haben in der Regel zwei Monate Sommerferien, wobei das Schuljahr in der ersten Juliwoche endet und am oder kurz nach dem 1. September wieder beginnt.

Obwohl die „grandes vacances“ die längsten Ferien sind, gibt es während des Schuljahres noch viele andere Ferien. Schülerinnen und Schüler (und Lehrerinnen und Lehrer) haben so mehrere zweiwöchige Ferien. Dazu gehören die Herbstferien zu Allerheiligen, die Weihnachtsferien im Dezember, die Winterferien im Februar/März und die Frühlingsferien im April/Mai.

Insgesamt haben die Schulen 16 Wochen im Jahr Ferien und 36 Wochen Unterricht. Damit hat Frankreich eines der kürzesten Schuljahre der Welt - der Durchschnitt in den OECD-Staaten liegt bei 38 Wochen. Etwa ein Drittel aller Länder weltweit hat ein Schuljahr von 40 Wochen oder mehr. Allerdings liegt Frankreich laut OECD bei der Anzahl der Unterrichtsstunden pro Jahr über dem Durchschnitt.

Bürgerrat beginnt im Juni

Der Bürgerrat zu den Schul- und Betreuungszeiten von Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 18 Jahren soll Anfang Juni 2025 beginnen und bis zum Herbst dauern. Die Organisation der Losversammlung wurde dem Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat (CESE) übertragen.

„Das Demokratie-Unbehagen unserer Mitbürger ist auch eine Krise der Wirksamkeit des staatlichen Handelns. Und genau hier kommt die partizipative und soziale Demokratie zum Tragen, indem sie das notwendige Material für besser konzipierte, besser umsetzbare und besser akzeptierte öffentliche Maßnahmen liefert“, erklärte dessen Präsident Thierry Beaudet.

Kritik aus Gewerkschaft

Die Initiative des Präsidenten wird von der wichtigsten Lehrergewerkschaft für Mittel- und Oberschulen kritisiert. „Emmanuel Macrons Vorschlag geht am Thema vorbei“, erklärte Sophie Vénétitay, Generalsekretärin der Gewerkschaft Snes-FSU, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. “Er lenkt davon ab, sich nicht um dringende Probleme zu kümmern, und verschleiert den desolaten Zustand der Schulen: Es fehlen Lehrer, wir haben die am meisten überfüllten Klassen in Europa.“

Grégoire Ensel, Vizepräsident der Elternvereinigung FCPE, begrüßt den Bürgerrat hingegen: „Wir sind der Meinung, dass das Bildungssystem an einem Punkt angelangt ist, an dem es nicht mehr funktioniert, und dass wir die Schule in ihren Erwartungen und Zielen grundlegend überdenken müssen, und dazu muss eine gesellschaftliche Debatte stattfinden.“

„Fordern umfassenderen Ansatz“

„Wir müssen die Frage der Schulzeiten überdenken (...), aber wir fordern einen viel umfassenderen Ansatz für die Kinder. Es gibt viele andere Themen, die angegangen werden müssen: die Frage der sozialen und schulischen Durchmischung, die Frage der Inklusion Behinderter, die Frage der Klassengrößen“, so Ensel.

Die Schulzeiten anzutasten, birgt Risiken. Der ehemalige Bildungsminister Vincent Peillon war 2013 mit einer Reform gescheitert, mit der er die viereinhalbtägige Schulwoche eingeführt hatte. „Die Franzosen waren mehrheitlich für eine Reform, aber weder die Eltern noch die Lehrer“, erinnert sich der Bildungshistoriker Claude Lelièvre.

Ungleichheiten bei Nachmittagsbetreuung

“Die Gebietskörperschaften mussten nachmittags außerschulische Angebote einrichten, aber sie hatten nicht alle die gleichen Mittel, was zu Ungleichheiten führte. Der zusätzliche Unterricht am Mittwoch hatte zusätzliche Kinderbetreuungskosten für die Lehrer und eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zur Folge“, erinnert sich Guislaine David, Co-Generalsekretärin der SNUipp-FSU (Gewerkschaft für Grundschullehrer).

Eine weitere Schwierigkeit: Der Zeitplan für Reformen ist eng. Im März 2026 finden Kommunalwahlen und im April 2027 Präsidentschaftswahlen statt. „Das würde den Bürgerrat zwingen, sehr schnell zu arbeiten und seine Empfehlungen im November vorzulegen. Und dass bis zum Schuljahresbeginn 2026 Entscheidungen getroffen werden müssen“, rechnet Guislaine David vor.

Kommunen müssten mit anpacken

Sollte der Bürgerrat eine Verkürzung des Schultages vorschlagen, müssten die Kommunen mit anpacken, um außerschulische Angebote zu organisieren. „Sie sind jedoch bereits jetzt von Haushaltskürzungen betroffen“, merkt Claude Lelièvre an. Eine sofortige nationale Reform der Schulzeiten wäre seiner Meinung nach ebenfalls problematisch. „Der einzige Ausweg wäre eine Reform mit variablen Verfahren, die je nach den Bedürfnissen der Regionen angepasst werden kann“, meint er.

Der Bürgerrat zu Schul- und Betreuungszeit ist die dritte nationale Losversammlung in Frankreich. Zuvor hatte es bereits Bürgerräte zu den Themen Klimaschutz und Sterbehilfe gegeben.

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